Samstag, 6. Februar 2016

Bis an die Ewigkeit



Predigt am Sonntag Estomihi (7.2.16)

Unvorstellbar
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. (1. Korinther 13, 1-3)
Und hätte die Liebe nicht. Was wäre dann? Wer wären wir dann, dann, wenn wir die Liebe nicht hätten, in uns, bei uns, um uns herum, sie nicht hätten, die Liebe. Wer wären wir dann? Andere? Würden unsere Worte anders klingen, rauer, einsamer, ungeduldiger, unsere Bewegungen andere sein, unsere Hände, anders sich anfühlen, anders berühren. Unser Gesicht wäre das ein anderes, würde manche Falten fehlen, würde den Glanz wir vermissen? Wie würde unser Leben aussehen, der Lauf der Welt überhaupt? Würden die Dinge anders laufen, manches nicht passieren und anderes doch? Wäre alles das gleiche, oder weniger oder nichts.
Und hätten die Liebe nicht. Was wäre, wenn das Entscheidende fehlen würde, nicht da wäre. Das, was den Ausschlag gibt, was wirklich, wenn es fehlt. Ohne das, alles nicht das ist, was es ist und sein soll. Das, was die Dinge, was geschieht und die Menschen vollendet, ganz auf eigene, auf ihre Art, nicht perfekt macht, aber allem erst seine Tiefe und seinen Grund gibt, seine Würde und seinen Glanz, seine Güte und seinen Wert, sein Reichtum und seine kleine Ewigkeit. Das, ohne das, die Welt, wir nicht die sind, die wir wären.
Und hätten die Liebe nicht. Gott sei Dank: ein Konjunktiv, ein Irrealis, ein irres: Was wäre wenn. Aber: Indikativ: Wir haben die Liebe, wir haben sie bekommen, wir bekommen sie, zugesagt, zugesprochen zugedacht, hinzugegeben. Immer liebt uns einer zuerst, tiefer, inniger, bereitwilliger, länger, schöner. Immer sind wir zuerst Geliebte, angeschaute, barmherzig gemeinte Menschen. Ist die Liebe uns unendlich voraus und da.

Da sein lassen
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (1. Korinther 13, 4-7)
Die Liebe macht sich klein und ist so groß, so wunderbar gefüllt. Sie trägt alles in sich, das Leben selbst: Worte, die beistehen; Gedanken, die Sinn suchen; Freude, die umarmt; Schmerz, der um Verzerrung weiß; Hoffnung, die durch Zweifel geht; Wahrheit, die barmherzig ist. Die Liebe macht sich mit all dem klein und den, den sie liebt dadurch groß, wertvoll, vollendeter. Sie gibt ihm alles, was sie hat, teilt aus unerschöpflich, wird selbst beim anderen wahr und ganz sie selbst.
Die Liebe wartet auf den, den sie liebt, lässt ihm Raum und Zeit, wird nicht irr an Abständen und Distanzen, an offenen Fragen und stillen Minuten, an merkwürdig Entgegengebrachtem, am Widerständigem, am Dunklem. Sie stellt sich selbst nicht in den Mittelpunkt, sieht von sich weg, wendet sich zu, sie wird zum Mittelpunkt für den, den sie liebt, beide drehen sich um den anderen und finden sich, erkennen sich im anderen als die, die sie sind, für Sekunden, für sich, für andere, die Welt. Die Liebe macht sich klein und ist die größte, sie lässt dem anderen sein Dasein, will nur dies: sein Dasein, sie schenkt hm Dasein das jeden Moment, neu und immer wieder. Sie will, dass er da sein kann, dass er bleibt.

Bin bei dir
Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. (1. Korinther 13, 8-13)
Es bleibt nur übrig zu lieben. Das Leben selbst ist Stückwerk: Alles, was Menschen tun und lassen, reden und denken, ersinnen und planen, sehen und hören ist immer nur ein Stück, ein Stück neben anderen Stücken, ein Stück von vielen, ein Stück vom Ganzen, ein Ganzes, was wir nie ganz sehen, nie ganz wissen, nie haben. Alles setzt sich zusammen aus Einzelstücken und wird gleich einem Mosaik nach und nach zusammengesetzt und der letzte, ganze Sinn von allem, das ganze Bild wird erst am Ende sichtbar, nie jetzt schon in der Zeit. Da ist vieles Ausschnitt, Teilbereich, eine halbe Sache, bisschen wahr, da bleibt vieles offen, passt manches nicht recht zusammen, wirkt manchmal wie herausgebrochen, ja wie dunkel und noch merkwürdig verschlossen.
Es bleibt nur übrig zu lieben. Bis an die Ewigkeit heran, bis alles sein Ende hat und vollendet wird, bis alle Stücke gefunden, das Mosaik ein Bild, bis wir alle sehen, wer wir sind, wirklich geworden sind in all unseren Tagen und Stunden, in all unseren Taten und Versuchen, in all den Facetten und Möglichkeiten, Verlusten und Tränen, mit all den anderen. Bis alles klar ist und herrlich und wir ganz bei Gott und alle von Angesicht zu Angesicht da sind und Liebe es nicht mehr braucht.
Bis dahin und jetzt bleibt nichts anderes übrig als zu lieben. Das ist alles. Bis dahin brauchen wir die Liebe. Brauchen wir die Kraft, die wir nicht haben, besitzen oder gar sind, die da ist und wirkt, die da ist und uns trägt, die da ist und bleibt, die jedes Stückchen Leben so anschaut, so nimmt, so es umliebt als sei es schon das Ganze, als wäre es nicht Stück, als wäre es mein Leben ganz. Amen.

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