Samstag, 31. Januar 2015

Wissen, was zählt



Predigt zum Abschluss der ökumenischen Bibelwoche 2015 (Septugesimae, 1.2.15)

Wissen?
Menschen lieben. Warum sie jemanden lieben, können sie in Worte und Sätze fassen; nicht aber alles davon. Sie können ihre Liebe begründen, aber nicht bis ins Letzte. Sie wissen um ihre Liebe und den, den sie lieben, es bleibt aber auch ein Geheimnis.
Menschen wissen. Insgesamt wissen wir ungeheuer viel. Füllen Bücher, Büchereien, ganze digitale Welten damit. Manche wissen mehr, manche weniger. Es gibt ganz kluge Menschen, ihr Kopf scheint voller Wissen, es gibt Professoren, deren Beruf das Wissen ist, es gibt Menschen mit wenig Wissen, keiner hat es ihnen geschenkt oder sie können es einfach nicht fassen. Behinderte haben ihr ganz eigenes Wissen.
Wissen kann man sich aneignen, man kann es lernen, abrufen, zeigen, damit Quizspiele gewinnen, damit prahlen, schamvoll verstecken, oder so tun, als wüsste man viel. Lebenslang begleitet uns das Wissen, und am Ende des Lebens tauchen viele ab ins Vergessen. Und manchmal ist es wirklich gut, etwas nicht zu wissen und Bestimmtes, was man quälend wusste, wieder zu vergessen; und keiner von uns kann alles wissen, es würde unser doch dann kleines Leben sprengen, und weise Menschen, die Wissen, Erfahrung und Liebe verbinden, wissen, was sie nicht wissen, respektieren die Grenzen um sich herum.
Wissen ist wie eine zweite Wirklichkeit über der wirklichen, wie eine Welt der Abstraktionen, der Fakten, Informationen, Netzwerke, voll Zahlen, Sätzen, Modellen. Ein Baum kann man anschauen, vom ihm Früchte genießen, ihn pflanzen und mögen; und man kann vom gleichen Baum vieles wissen: wie groß er ist, wie die Früchte heißen, wie alt er ist, wie viele verschiedene Insekten er beherbergt. Dieses Wissen ist wie eine zweite Wirklichkeit und atmet genau unsere Wirklichkeit: Wissen kann gebraucht und missbraucht werden, kann helfen oder schaden, kann arrogant sein oder ärmlich, kann mächtig sein oder hilflos machen.
In der Bibelwoche hat Paulus im Galaterbrief genau gewusst, was zu wissen, ist, gegen die, die falsches Wissen hatten; sein Wissen war und ist kompromisslos. Für ihn ist das, was er weiß, wahr, weil von Christus offenbart. Was wusste Jesus? Wahrscheinlich nicht weniger, aber auch nicht mehr als ein durchschnittlicher Jude damals; aber wenn Jesus Menschen begegnete, dann wusste er alles, dann sah er mehr, dann verband er alles, was zu wissen war, mit Gottes Welt. Und Gott? Weiß Gottes alles; muss wohl so sein, sonst hätte Gott Lücken, Wissenslücken. Seine Gedanken sind mehr als der Sand. Und was macht Gott mit seinem alle umfassenden Wissen?

zählen
Gott zählt. Zumindest sagt das Jesus, all unsere Haare auf unseren Häuptern, eines jedes ist ihm wichtig. Gott zählt ab: ihm ist der eine Verlorene wichtiger als alle anderen. Jeder einzelne ist ihm unschätzbar wichtig. Wie unglaublich groß muss seine Liebe sein.
Menschen zählen und lieben Zahlen, nicht alle und je nach dem. Viele schwarze Zahlen vor dem Komma und auf dem Bankauszug machen manche glücklich; andere zählen Schafe um endlich einschlafen zu können vor Sorge. Durchgezählt werden Klassen und Kindergartengruppen, die Seiten in Büchern sind fein säuberlich mit aufsteigenden Zahlen versehen, und manch einer zählt die Minuten und Stunden voller Sehnsucht und schrecklich war und ist, dass Menschen mal Nummern bekommen haben auf ihren zerschlissenen Sträflingskleidern. Seit wir denken können, zählen Menschen, zählen vorwärts und rückwärts, zählen auf und ab, und auch erzählen ist wie das Aneinanderreihen von Sätzen, Bildern und Geschichten. Und jede dieser erzählten Geschichte, jede noch so kleine Zahl erzählt davon, dass wir endlich sind, dass wir selbst eingereiht sind in solche, die vor uns waren und nach uns kommen.
Was zählt bei all dem. Was zählt, wissen wir. Theoretisch. Freunde zählen; die Hoffnung nicht zu verlieren, zählt; eine gute Ausbildung zählt; das richtige Wort zum richtigen Augenblick, zählt, dem einen geliebten Menschen zu begegnen zählt; Glaube, Gott zählt. Was zählt, ist entscheidend, ist bleibend wichtig, ist grundlegend, auf das Ganze und im Augenblick. Was zählt, ist kostbar, ist eigentlich unzählig, unbezahlbar, hat einen unermesslichen Wert. „Du bist alles für mich“, vielleicht so. Was zählt, merken wir, können wir nur sehr bedingt machen, wir können es wissen, wir können uns darauf einstellen, wir können versuchen es zu erkennen, dafür offen und gegenwärtig zu sein; aber was zählt, das bekommen wir, das bekommen wir geschenkt, gewährt, das können wir verfehlen, daran scheitern, es verlieren, weggenommen bekommen, daran verzweifeln, darum kämpfen. Was zählt, wissen wir, bleibt Geheimnis. Wie die Liebe. Was zählt bist du.

Gott liebt Wissen
Nicht ganz wenige Dus haben sich vergangene Woche an vier Abenden zu Bibelwoche zum Galaterbrief gefunden und unter diese Motto „Wissen, was zählt“ gestellt. Die Bibelwoche ist ökumenisch, so waren und sind diese Dus evangelisch und katholisch, gemeinsam haben wir gesungen, nachgedacht, gehört, gelesen, gebetet und gefeiert.
Gemeinsam als katholische und evangelische Christen wissen, was zählt. Zählt bei uns das Gleiche? Wirklich? Ist bei euch Katholiken und bei uns Evangelischen das Gleiche gleich wichtig? Wie geht eigentlich gemeinsam wissen? Ist es voneinander wissen? Ist es miteinander wissen? Gemeinsam wissen ist wie gemeinsam beten, hoffen, glauben, singen: Jeder weiß etwas, weiß das seine und wir setzen es zusammen, legen es nebeneinander und zusammen ergibt es etwas, ergibt mehr, zusammen wird es gemeinsam und gemeinsam ist es wunderbar, ragt er herein an das große Geheimnis von all dem, was zu wissen wäre, was zu zählen, erzählen, zu hoffen und zu glauben wäre.
Wir, katholische und evangelische Christinnen und Christen, werden immer Unterschiedliches glauben, werden aus unterschiedlichem Wissen schöpfen, werden den Reichtum der Gnade Gottes mit unterschiedlichen Augen und Herzen sehen. Wo wir das Unterschiedliche gemeinsam wissen und schätzen, sind wir auf dem Weg Liebende zu werden.
Letztlich ist Gott alles Wissen, und wir alle haben nur und Gott sei Dank Anteil an diesem einen Wissen Gottes, das uns alle, ob katholisch oder evangelisch, bei weitem übersteigt und heilvoll umfasst. Gott weiß alles, wirklich alles, alles von uns und seiner Welt und weil er alles von uns weiß, kommt zu seinem Wissen seine Liebe, ist sein Wissen Liebe, liebt er wie kein anderer, das, was er weiß.
So mag unser Wissen immer mit Liebe einhergehen, mag es selbst Anteil haben an Gottes  allwissender Liebe. Wir mögen wie Gott unsere gegenseitigen Unterschiede, ja sogar unsere Gegensätzlichkeit, dass wir verschieden das gleiche wissen und glauben, lieben, gegenseitig lieben als Formen der einen gemeinsamen Suche nach Wissen und Wahrheit, die allein Gott ist. Die Liebe weiß um das Geheimnis, darum, was wirklich zählt, sie verbindet das Gegensätzliche zärtlich und kennt den Reichtum des Verschiedenen. Wir werden als zwei Konfessionen immer verschieden sein, aber als Liebende können wir eins sein. Amen.

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