Predigt am Sonntag Rogate (5. Mai
2013) zum Vaterunser
Im Leben gesprochen
Auf dem Rücken liegend, mit Blick nach
oben in den dunklen Raum. die Beine möglichst gerade. Die Hände unter der
Bettdecke gefaltet. Es soll für Gott schon angemessen, würdevoll aussehen, wenn
ich es spreche, auch wenn mein müder Körper, meine Tages müden Gedanken, ein bisschen
abschweifen und ich mich morgens erinnere, dass ich vor dem Amen einschlief.
Wann und wie es so in mein Leben kam,
gekommen ist, weiß ich gar nicht mehr. Ob es meine Eltern sprachen, vielleicht
still auch abends, eher meine Mutter, mein Vater nicht, zusammen nie. In meiner
Konfirmandenzeit habe ich es wohl auswendig gelernt, und seitdem nicht
vergessen. Es behalten. Für abends und ich glaube für bestimmte Augenblicke,
wenn ich es brauche. Viele Jahre später wurde es zum Teil meines Berufs, bete
ich es beruflich, manchmal ein paar Mal am Tag.
Ich bete es an Gräbern, ein paar und
mehr Menschen vor mir, manchmal auch alleine, weil die mir gegenüber es nicht mehr
sprechen können; seine Worte klingen dann für die Wortlosen. Ich bete es an
Hochzeiten und Taufen, wenn es manchmal übertönt wird von unruhigen Worten
unruhiger Geister. Ich bete es in Gottesdiensten an unzähligen Sonntagmorgen gemeinsam
mit solchen wie ihr, welche die mir auf die ersten Worte folgen, einstimmen und
alle klingen im Gleichklang der Glocke bis eine kleine Stille uns entlässt. Ich
bete es an Kranken- und an Totenbetten, es ist das einzige, was ich dann tun
kann. Ich bete es bei Andachten und nach langen Gedanken schweren Sitzungen,
manchmal mit letzter Kraft bitte ich um seine und hoffe, dass mitten in unsere
Welt die seine komme.
Vorgesprochen
Der Mann aus Nazareth, den sie Jesus
nannten und wir Christus. Der hat diese Worte auf dem Berg gesprochen und sie
sind wichtige Teile seiner großen Vision, seiner Vorstellung und Idee von einem
anderen Leben, von einem ehrlichen, konzentrierten, liebenden, für Gott
leidenschaftlichen Leben, Leben von Menschen.
Er hat sie gesprochen, und er hat sie
gebetet, sicher in all seinen stillen Augenblicken. Er hat sie uns nie gelehrt,
weil dann wären sie schon fertig, abgeschlossen, Lehre; er hat sie wie
gefunden, aus seinem Gott geschöpft, vielleicht auch ihm abgerungen, er hat sie
aus Gottes Mund in seinen Mund genommen, gelegt bekommen und hat sie uns
gegeben, legt sie uns alltäglich in den Mund, damit wir sie aus und zu Gott hin
schöpfen, wie Quellenarbeit.
Diese Wort, ihr Gebet, sind offen,
welt – und gottoffen. Seit jenem Augenblick, als der, der auf dem Berg stand,
sie uns gab, werden sie immer gesprochen, seitdem all die Jahre, in denen die
Welt so oft eine andere wurde, spricht immer irgendwo zeitversetzt und
gelichzeitig einer das Gebet für sich, für uns, wird es durch sie nie still, umhüllt
es uns, den Erdball und seine Zeiten.
In all dem Wörtermeer, der überflüssigen,
fehlenden, der schweren, verletzenden, der herrlichen, frisch geborenen,
schnellen, liebenden, dahingesagten, durchlebten Worte sind es Worte wie eine
glänzend schöne Notration, wie Worte, die nichts anderes sein können als aus
Menschenbuchstaben zusammengesetzte, aber dennoch in sich und aus sich heraus
Göttliches, Heilsames zu sagen, zu tragen, unbedingt benötigte Wörter voller
Verheißung, erhöhrt zu werden.
Es gibt weniges, was mein Leben
zusammenhält, in seinem Inneren, diese Worte zähle ich dazu. Zählen mich dazu.
Wenn ich nicht Gottesdiensten vorstehe, sondern mitten unter den anderen bin,
dann bete ich es manchmal nicht mit. Wenn alle einstimmen, werde ich wortkarg, wortlos.
Wenn alle es sprechen, dann höre ich bei geschlossenen Augen, wie die neben mir
es sprechen, für mich, es mir zusagen und vorsagen, wie alle diese Worte mir
gelten, wie sie zu einem Gebet werden, das mir immer vorgesprochen ist, immer
vorgegeben, bevor ich geboren ward und sprechen lernte. Wie ich nicht verloren
gehen kann, in dieser manchmal so tragisch gefährlichen Welt, nicht verloren
gehen kann, weil ich schon immer aufgehoben bin in diesem Gebet, was ein
anderer spricht, der mein Innerstes zusammenhält.
Einbeten
Wir könnten auch andere Worte beten,
mehr oder weniger davon, oder mit einem Lied, ohne mit einem Stöhnen, mit einem
Blick in den Himmel. Wir könnten auch ganz wortlos beten. Alle Wörter kennt
Gott, hat er. Gott weiß sie, bevor wir denken, bevor wir spontan oder mühsam
die Worte in uns suchen und zu ihm beten.
Und es ist gut und heilsam, dass wir
uns in ihn einbeten, sein Du aussprechen, seinen Namen, sein Reich, seinen Willen,
seine Kraft und seine Herrlichkeit, sein Du nennen, es ansprechen, es über
unser Lippen uns gegenüber kommt, es in ein paar Worten nur seine Gestalt
gewinnt - und wir uns in seinem Du wie einfinden, einwohnen, in dieses Du, das
heilig, liebend, leidenschaftlich, kräftig, herrlich, ewig wir nennend uns
umfasst.
Wir könnten auch ohne Worte beten,
nichts sagen, nur still und stumm ihm gegenüber liegen, stehen, sitzen, unsere
manchmal wirren Gedanken im Kopf, Freud und Leid in uns tragend, könnten
einfach nur da sein und wortlos von uns beten. Alle unsere Worte kennt Gott,
hat er. Gott weiß, wer wir sind, was wir brauchen.
Und doch ist es gut und heilsam, dass
wir uns vor ihm finden, wir uns selbst aussprechen, aus uns heraussagen und
Wortgestalt gewinnt, wer wir sind: Hungrige, verletzliche und gefährdete
Menschen, Menschen, die von seiner Bergvision leben, dass Gott mit uns geschehe
und wir werden:
Er macht uns satt mit täglich Brot.
Er heilt unsere Verletzungen mit Vergebung. Er bewahrt uns vor eigenem und
fremdem Bösem. Er versöhnt uns mit unserem schmerzlichen Gestern. Er bewahrt uns
immer ein Morgen. Er hält unser Heute zart in Händen. Er spricht seine Liebe,
wenn wir zu ihm beten:
Vaterunser
Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.
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