Samstag, 18. Mai 2013

Fürchte dich nicht



Predigt an Pfingsten 2013 (19. Mai) zur Theater-Themenwoche 
„Panik & Religion“


Isoliert
Angst ist nicht nur in uns. Angst ist um uns. Zwischen uns. Das Gutleuthaus stand früher vollkommen isoliert knapp an der Grenze zu Haslach. Beide trennten ein riesiges Feldstück. Die heutigen Gutleutmatten. Im Gutleuthaus lebten die Leprakranken und in Haslach wohnten die anderen Menschen. Die Leprakranken hatten Angst vor dem Tod, vielleicht auch vor sich und fluchten in stillen Nächten Gott ihren Aussatz. Die Haslacher hatten Angst vor den Leprakranken, Angst, angesteckt zu werden, selbst Aussatz zu haben und ins Gutleuthaus zu kommen.
Die Angst stand da wie auf den Gutleutmatten zwischen Haslach und den Leprakranken. Sicher auch vieles anderes war das. Vieles anderes fühlen Menschen, Freude, Lust, Glück, Schmerz, Trauer fühlen sie - und Angst. Angst beklemmt, überfällt, ergreift. Angst hilft vielleicht, zu flüchten, auszuweichen, sich zu schützen, aber keiner will sie wirklich haben und spüren, wenn das Herz etwas schneller schlägt, der Atem anders geht, die Hände leicht schweißig werden, wenn im Kopf, im Bauch sich etwas wie einnistet, die Angst, unbestimmt-bestimmt: Die Angst, jemanden zu verlieren; die Angst vor bestimmten Menschen, vor bestimmten Momenten; die Angst vor der Zukunft, Angst, die aus Sorge, aus Bedrohung kommt und zur Panik werden kann. Jeder hat seine Angst und woher sie kommt, warum sie einen überfällt ist nicht zu ergründen. Wüsste man es, hätte man die Angst nicht mehr so, hätte die Angst einen nicht mehr so.
Aber so hat einen die Angst, wie ein kleine Alltagsmacht, die sich breit macht, uns besetzt und manchmal ist eine Stimmung, ein Ort, ein Moment geprägt von Angst. Warum auch immer. Manchmal dominiert Angst, gemein gewöhnliche Angst, wie zwischen, unter uns, bei uns und sie beherrscht auch unser Zusammenleben, unmerklich, aber doch. Die Angst vor dem anderen, der selbst Angst hat vor uns, nur unter dem Deckel gehalten unten Konventionen, Vorschriften und einer ganz dünnen Folie von Gemeinsamkeiten, die oft keine sind.

Besetzen
Die Gutleutmatten wurden jüngst besetzt. Die Zeit hat sich verzögert und da, wo eigentlich bald die Bagger und die Baufirmen anrollen sollten, wuchsen wieder Grashalme und kleine Sträucher, Blumen und gingen Menschen mit Hunden spazieren. Eine unverhoffte grüne Wiese ließ auch Ideen und Gedanken ins Wilde sprießen und sie kamen und bauten eine kleine Bühne fast unter der Grasnarbe, einen Lichtung zwischen ein paar Bäumen und einen hölzernen Transporte und nannten das Theater, Spielstätte Gutleutmatten.
Und jetzt seit ein paar Tagen spielen sie uns auf unserer eigenen Wiese etwas vor, in den Raum, der früher Leprakranke und Haslacher trennte. Sie spielen Glaubensbekenntnisse verschiedener Religionen, sie holen Schauspieler, die predigen, taufen ein Essen auf freien Feld einfach Abendmahl und schleppen so den Bambigaresh, den sie auf das Stadttheater digital gesetzt haben, uns nach Haslach und stellen öffentlich Fragen, die sonst eher privat sind, und zerren, bringen, schürfen ans Licht, was eher verborgen ist: Das Vertrauen, was Menschen trägt; die Visionen, die sie tief in sich haben; die Opfer, wenn die Hoffnung stirbt; die Angst, wenn Religion zur gewaltsamen Macht wird, das Leben selbst, das manchmal ein traurig-fröhlicher Tanz ist.

Gott hat Angst
Und Gott schaut sich das an. All die Zeiten, das damals mit Gutleuthaus und heute mit Theater sind gleich angeblickt von ihm. Auch wir. Auch wir sind gleich angeblickt. Und Gott mag Angst haben. Er möchte sie nicht haben, und er hat sie nie wie wir. Er hat sie nicht, als ob sie ihn besäße, niemand besitzt Gott, auch nicht die Angst, aber er hat Angst um seine Welt, um seine Menschen, um mich und dich, dass uns etwas passiert, dass wir Schaden nehmen an unseren Seelen, dass Angst unsere Seele auffrisst und wir uns verlieren.
Es ist die Angst Gottes vor dem Nichts. Dem Nichts seiner Geschöpfe, dass er sie verliert. So wie wir Angst haben vor dem Nichts, das ein Loch in unser Leben reißt und wir verlieren. Aber Gottes Liebe umliebt dieses Nichts mit aller Kraft, er umliebt die Angst, und sie schwindet in ihm in den Moment, wo sie Teil seiner tiefen Liebe ist, wie immer.
Die Angst schwindet in uns, Gottes Liebe ergreift uns. Gott umliebt uns und unsere Angst und vertreibt sie so. Gottes Liebe kennt kein Halten, sie wendet sich uns zu und macht uns zum Teil, zum Du seiner Liebe. Gegen die Macht der Angst, die uns ergreift, setzt Gott seinen Geist, eine andere Macht, eine ganz andere: Gott ergreift uns, vollkommen behutsam und zärtlich, ja vorsichtig, hingebungsvoll, wie Liebende einander schenken.
An die Stelle der Angst, die immer wieder kommen mag, kann, setzt sich Gott in uns fest, sein Geist. Er ist in uns ein Fixpunkt, der uns immer wieder auf Gott hin uns beziehen lässt. Mit diesem Fixpunkt „Gott“ leben wir nicht mehr nur uns selbst und müssen uns nicht mehr fürchten uns zu verlieren. Denn Gottes Geist hat uns gefunden, hat uns.

Neubaugebiet
Nach dem Sommer ist der Zauber der Naturbühne Gutleutmatten vorbei. Dann irgendwann rollen wirklich die Bagger an und das Gebiet wird für die Baumaßnahmen erschlossen. Aus der grünen Wiese wird ein Wohngebiet und es füllt sich endgültig der gesamte Raum zwischen ehemaligen Gutleuthaus und dem ehemals kleinen Dörfchen Haslach mit Häusern, Straßen und Menschen.
Wer und was mögen da einziehen? Sicher zieht auch die Angst mit ein, manchmal ist sie schon da, wenn über Zufahrtswege, Integration, Katastrophenzentrum kontrovers diskutiert wird. Sicher ist dann das Theaterprojekt genauso längst vergessen wie dass da mal ein Gutleuthaus mit Leprakranken stand. Es wird dann auch hoffentlich Pfingsten geben und Menschen an Gottes Geist erinnern.
Neubaugebiet sind wir, wenn Gottes Geist in uns einzieht. Jesus hat es so beharrlich gesagt, von Anfang bis zum Ende und seinem Neuanfang: „Fürchtet euch nicht!“ Immer wieder. Jesus wollte und will eine Welt ohne Angst, ohne dass Angst dort regiert. Gottes Geist in uns macht Jesus lebendig in uns und zwischen uns. Er eröffnet seinen Raum für vorbehaltlose Liebe. Er schafft Ehrfurcht, eine tiefe Ehrfurcht vor allem, was lebendig ist und was auch im Kleinsten Gottes Ebenbild trägt. Er tröstet uns, schenkt Seelenfrieden und stärkt uns. In uns, zwischen uns, um uns ist nicht Angst lebendig, sondern Jesus, Gottes Liebe. Amen

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