Predigt am Sonntag Invocavit (1. März
2020)
1. Mose 3, 1-24: Der Sündenfall
1 Und die Schlange war listiger als
alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der
Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im
Garten? 2 Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der
Bäume im Garten; 3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott
gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! 4
Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, 5
sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan,
und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6 Und die Frau sah, dass von dem Baum
gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil
er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der
bei ihr war, auch davon und er aß. 7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan
und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter
zusammen und machten sich Schurze.
8 Und sie hörten Gott den Herrn, wie
er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit
seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des Herrn zwischen den Bäumen im Garten. 9
Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Und er sprach:
Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum
versteckte ich mich. 11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?
Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon
essen? 12 Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem
Baum und ich aß. 13 Da sprach Gott der Herr zur Frau: Warum hast du das getan?
Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.
14 Da sprach Gott der Herr zu der
Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen
Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen
dein Leben lang. 15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau
und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und
du wirst ihn in die Ferse stechen.
16 Und zur Frau sprach er: Ich will
dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder
gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr
sein.
17 Und zum Mann sprach er: Weil du
gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir
gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um
deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18
Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde
essen. 19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du
wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub
kehrst du zurück.
20 Und Adam nannte seine Frau Eva;
denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. 21 Und Gott der Herr machte Adam
und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. 22 Und Gott der Herr
sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und
böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und nehme auch von
dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! 23 Da wies ihn Gott der Herr
aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. 24 Und
er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim
mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des
Lebens.
Orgelimprovisation
Es fehlt
Es scheint Eva etwas zu fehlen. Auch
Adam und vielleicht auch der Schlange. Was es auch immer gewesen ist. Es fehlte
ihnen etwas. Es fehlt immer etwas. Immer ist da irgendwo, irgendwann eine
Lücke, ein Loch, etwas, was noch nicht da ist, noch nicht geschehen ist, was
noch aussteht, was kommt, was sein könnte, was noch möglich wäre.
Und das, was fehlt, erweckt Sehnsucht
im Menschen, hält sie wach, provoziert sie, vielleicht auch ein Bedürfnis, die
Lücke zu schließen, das Unbekannte zu entdecken, das Ferne sich nah zu machen.
Vielleicht ist es ein Verlangen, ein Kostenwollen, ein schon Schmecken, jener
kleine Moment, bevor Menschen in den Sündenapfel, das dann sich als Böse
Zeigende beißen, vielleicht Lust, vielleicht komisch-tragische Not.
Was fehlt, bietet eine bestimmte
Angriffsfläche, und sei sie noch so klein, eine Angriffsfläche, für so etwas
wie Begierde, Habenwollen, Habenmüssen. Das, was fehlt, markiert eine spürbare,
immer stärker werdende Lücke: klitzekleiner Spalt im menschlichen Leben, ein
Bruchteil von Sekunden offen, verlockt, verführt, überlistet, getäuscht zu
werden, und hineinzubeißen in etwas, was die Lücke füllt, die sonst gar nicht
da wäre, würde Mensch nicht sie füllen wollen.
Fein listig eröffnet die Schlange
eine kleine Welt von Möglichkeiten, von Deutung, von „Könnte es sein …“, von
„Wäre es nicht besser“ … Eine kleine Distanz, aus der Eva ein bisschen zu lange
über Gott nachdenkt, sich ein Gottesbild vor ihren Gott schiebt und sie die
Grenze im Kopf schon verrückt hat und zubeißt, kaut, runterschluckt, sich die
Sünde und das kleine Böse einverleibt und weitergibt, ihren Biss dem Adam und
der uns allen, so wie wir die Schuld weitergeben, auf einen anderen schieben,
uns nur scheinbar entschuldigen, aber doch die sind, die wir sind: uns fehlt
was, wir füllen es. Auf tragische Weise.
Nackt
Nackt werden Menschen geboren und im
Grunde sterben sie auch nackt. Unsere Nacktheit verbergen wir und nur die Liebe
kennt uns ganz entblößt. Eva und Adam reißt die Sünde die Augen auf, ganz weit,
sie sehen alles, sie entdecken sich, und was sie sehen lässt sie fürchten,
fürchten um das, was sie entdecken, nämlich fürchten um sich selbst.
Nackt sind Menschen wehrlos,
ausgesetzt, auch sich selbst. Nichts bekleidet sie, nichts ummantelt sie,
nichts kaschiert sie und macht sie anders als sie sind. Nackt wissen wir um
uns, nackt an Leib und Seele sind wir pur, ganz pure Menschen. Und wir sehen,
was wir immer schon wissen und sehen: wir sind anders als andere und wir sehen deutlicher
unsere Scham, unser Intimstes, unser Ureigenstes, und wir müssen es schützen, behalten,
bewahren, und können es doch nicht, nicht immer, sind verletzbar, verletzte
selbst im Blick und erfahren Momente der Peinlichkeit. Wir verstecken uns, weil
wir nie wissen, ob wir vor dem anderen ganz da sein dürfen, ob er uns sehen
kann und mag. Wir werden zu gesuchten, gefragten, verborgenen Menschen, die
sich, ihren Körper bedecken und sich fürchten vor dem Zugriff des anderen, und
Gott wird uns zur Frage, es hallt bis in unsere Ohren sein Wo von damals, Sein:
Wo bist du, Mensch?
Beschwerlich
Und mühsam wird unsere Antwort, nur
mühsam können wir Gott sagen, uns bei ihm benennen; wir haben die Natürlichkeit
verloren. Es könnte immer auch anders sein, es könnte immer auch nicht sein.
Eva und Adam wurde das Leben zum mühsamen, beschwerlichen Fluch. Unter Mühen
und Qual erleben sie das, was sie ganz natürlich tun könnten: gebären und
ernähren. Und dieses mühsame Leben liegt auch in unserem. So glücklich, so
schön, so leicht vieles ist, genauso vieles und mehr ist es nicht, ist daneben
schwer, mühevoll und müssen wir den Dingen, den Umständen, anderen abringen.
Das Leben ein immerwährendes Alltagsringen, eines mit Macht, mit Herrschaft,
mit Gegensätzen, mit Feinden. Als wolle man uns einfach nicht in Ruhe lassen.
Ein Leben als Arbeit, mit Staub und Dornen, Disteln und Dreck, mit Händen, die
sich schmutzig machen, mit Gedanken, die manchmal am Abgrund denken, mit
zwiespältigen Gefühlen, mit Argwohn, Unlust und Bitterkeit zersetztes Leben.
Leben auch als Last, vergängliches,
vertriebenes Leben, ein Leben, das sich verbraucht, die Jahre, die Hoffnung,
die Nahrung, die Dinge, die anderen, Götter und manchmal auch die Liebe. Ein
Leben hinausgetrieben zu leben, unstetes Leben, suchendes Leben, dem
nachjagend, was es schon längst verloren hat, nie hatte: ein Paradies, eine
ungeahnte Naivität, ein durch den Garten Eden schlendernder, nur ganz nahen Gott.
Behütet
So auch ist unser Leben, nie ganz und
gar, aber auch. Wir sind beides, und heute im dunklen Schatten dieses Textes
das zweite, in die Sünde gefallene Menschen. Es könnte auch anders sein, nur
dieses Auch ist jenes trügerische Etwas, was uns als klaffende Lücke und Wunde
heute erscheint.
Und trotzdem gibt Adam Eva einen
Namen, zieht Gott den beiden Menschen Röcke an, bleibt Gott der Wächter im kalten
Abendhauch und der Baum des Lebens scharf bewacht. Das sind nicht mehr als
kleine Hoffnungsschimmer in einen durch und durch bedrohlich uns beschreibenden
Text. Es sind aber solche Lichter durch das Dunkel hindurch:
Mitten in der Sünde erscheinen Adam und
Eva als sich still Liebende vielleicht. Er gibt ihr einen Namen, sie ist ihm
ein benanntes Gegenüber, ein lebendiges Du, die Mutter alles Lebens, der Anfang
von allem, was Leben nach dem Paradies ist. Und Gott, der mitten in der Sünde
schrecklich umdenkt, neu schafft die Schlange und die Bedingungen des Menschen,
beide zu kriechenden und mühsamen Kreaturen macht, der gleiche Gott scheint
einzusehen, dass sie Schutz doch brauchen, verwandelt ihren Schurz in einen
festen Rock, scheint sie fast zärtlich mit Röcken zu umkleiden, fast
fürsorglich, fast als verzweifelt Liebender und Gott bleibt auch hinter den
Toren zum verlorenen Paradies immer noch der, der am Abend als treuer Wächter
da ist und da bleibt, der unser Leben durchstreift und behütet, und der Baum
des Lebens, ein Stück gesuchter, erhoffter, benötigter Ewigkeit, der bleibt auch
stehen, als Grenze, als wahre Verheißung. Er bleibt inmitten der Sünde und wird
ebenfalls bewacht, beschützt, als würde er von Menschen noch gebraucht werden.
Amen.
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