Predigt zur Neugestaltung der
Kapelle im Mutterhaus am 29.1.17
Lebenswege
Menschen gehen Wege, viele, unzählige, alltägliche,
neue und alte, zusammen und einsam. Menschen gehen, haben ihre Lebenswege, vom
ersten bis zum letzten Atemzug, von Geburt bis zum Sterben, und hoffentlich
darüber hinaus, Lebenswege mit Höhen und Tiefen, mit Freuden und Wunden, mit
Liebe und Verzweiflung, mit so vielen anderen Menschen und Orten. Menschen
gehen Lebenswege und ab und zu, regelmäßig, nur manchmal und oft kehren sie ein
an Orte, die Gottes Verheißung tragen, die Zeichen seiner Liebe sind, die man
Kirchen, Gottesdiensträume, Kapellen wie diese unsere nennt. Menschen gehen
hierher, mitten aus ihrem gewöhnlichen Tag, setzen sich nieder, singen, beten,
hören, nehmen zu sich Brot und Wein, gehen wieder zurück in ihr Leben.
Und jeder Gottesdienst selbst war dann ein Weg, wurde
zum Weg, ein kleiner Weg, im Sitzen und Stehen gegangen, nachvollzogen,
verheißen, hineingenommen. Ein Weg, in dem sich eigentlich unser ganzes Leben,
von seiner Geburt bis zum Ende abbildet, wiederfindet. Dieser Weg hat vier
Schritte:
Eröffnung und Anrufung
Der erste Schritt: Der Gottesdienst wird eröffnet mit
dem Votum „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Deshalb sind wir hierher gekommen.
Es erinnert uns daran, warum wir überhaupt da sind, auf
die Welt gekommen sind. Woher kommen wir? Wem gehören wir? In wessen Namen
leben wir unser Leben? Wozu sind wir da? Irgendwie erinnert uns der Beginn des
Gottesdienstes an unseren eigenen Beginn, hat er mit Geburt und dem beginnenden
Werden im Leben zu tun.
Dann singen wir im Gottesdienst das erste Lied; und
merkwürdig wir merken, dass wir nicht allein sind, da singen Menschen mit uns,
sind Menschen mit auf dem Weg, da beantworten Menschen die Frage nach dem Warum
mit mir. Und das erste Lied erinnert uns immer an die ersten Lieder unseres
Lebens, vielleicht an der Wiege gesungen oder als eine Partnerschaft begann.
Im Gottesdienst folgt auf das Lied ein gemeinsam
gebeteter Psalm, ein alter Psalm, alte Worte; wir spüren, wir hören, wir sagen
es selbst: Wir sind eingebettet in eine lange Geschichte, da waren und sind
Menschen vor uns, nicht wir bringen unser Leben hervor, sondern wir werden
geboren, wir werden am Anfang hineingestellt in eine Welt von Menschen, in
Menschen, die auch beten, hineingestellt in das Volk Israel, in seine
Geschichte, hineingestellt, hinein gebetet in die Geschichte Gottes mit seinen
Menschen. Demütig nehmen wir alte Worte auf, sprechen sie zu unseren, kommen
wir in Klagen, Hoffen, Loben und Bitten vor Gott.
Dann folgt das Eingangsgebet. Wir bringen unser Leben,
all, das was in ihm ist, was sich angesammelt hat an Frage, an Hellem und
Dunklen, schütten es vor Gott aus, manchmal werfen wir es ihm auch vor, als
wollten wir uns umdrehen und gleich wieder gehen. Wir bringen das Leben vor
Gott, wie am Anfang des Lebens das Leben noch vor uns selbst ist, all das, was
noch kommen mag, an Hoffen und Bangen, an Lieben und Hassen, an Leben und
Werden. Das Gebet mündet in das Kyrie, in das sich-Gott-in-die-Arme-werfen,
mündet ein in die Bitte um Zuwendung und liebendes Erbarmen. Wie ein Kind. Und
Gott wendet sich uns zu. Im Gnadenspruch hören wir das, spüren wir das, sagt
sich Gott uns zu und macht uns frei zu Kindern seines Wohlgefallens. Bleibendes
Zeichen des ersten Schritts ist die Taufe.
Verkündigung und Bekenntnis
Nach diesem ersten Schritt folgt der zweite. Im
Gottesdienst kommt nun nach dem Eingangsteil der Teil der Verkündigung und des
Bekenntnisses. Das Schriftwort der Bibel tritt uns entgegen. Die Menschen
bekennen gemeinsam ihren Glauben. Es wird von Gott gepredigt. Worte werden uns
gegenüber gestellt, geschenkt, zu geworfen; wir müssen uns dazu stellen, zum
Hörer werden, aufnehmen oder nicht. Wir müssen erwachsen sein. So will uns Gott.
Die Worte erinnern uns daran, wie vieles uns auf den Weg gelegt wird, gesagt
wird, an wohlgemeinten. Den Weg müssen wir selbst gehen, auswählen,
entscheiden, eigene Worte, eigene Standpunkte finden, im gegenüber zu Gott,
manchmal auch gegen ihn. Leben heißt Worte hören und selber finden, sich
bekennen und sich etwas sagen lassen, selbst anderen etwas sagen, weitersagen
und dennoch im Hören bleiben. Symbol und Ort für diesen zweiten Schritt ist die
Kanzel. Gottes erhobenes Wort, das sich uns zuwendet, um unseres zu werden.
Abendmahl
Nun folgt der dritte Schritt: Neben der Predigt ist das
Abendmahl die Mitte des Gottesdienstes. Nach dem unsichtbaren Wort von der
Kanzel, können wir Gott unter sichtbaren Mitteln spüren, macht er sich spürbar
gegenwärtig. Wir finden Gemeinschaft, Trost, neues Leben, Hoffnung, werden für
den holprigen Weg zugerüstet, mit Brot und Wein.
Predigt und Abendmahl erinnern uns an die Mitte des
Lebens. Gibt es die überhaupt? Wann ist die? Und wie alt müsste man sein. Vielleicht
wenn sich die Geschäftigkeit, das allzu Anstrengende abgelegt hat, das
zwingende … wenn man mit den zugefügten
Wunden zu leben gelernt hat, wenn man ankommt wie von selbst, wenn man zu
lässt, wenn man bereit ist sich zu versöhnen, mit sich und anderen; wenn man genießen.
Mitte des Lebens, letztlich von Gott geschenkt.
Im Gottesdienst werden Worte und Abendmahl dargereicht,
geschenkt, schenkt sich Gott selbst. Die Mitte ist neben Kanzel der Altar, das
dritte Zeichen, hierum versammeln sich die Menschen, hier steht das
Wesentliche, Kelch und Brot, Erinnerung an Jesus, seinen Weg, den er für uns
mit uns geht, seine Lebensgaben, von denen wir nehmen und Leben, immer wieder,
unerschöpflich, gemittet, eine Mitte in ihm gefunden.
Sendung und Segen
Der vierte und der letzte Schritt. Am Ende. Erinnerung
an das Ende des Lebens. An das Sterben und die Frage nach dem Wohin jetzt? Am
Anfang: Woher, am Ende: Wohin? Es gibt viele Antworten auf diese Frage. Manche
antworten: Nirgends mehr wohin. Schluss. Aus. Nicht Christen, nicht wir.
Am Ende des Gottesdienstes wird die Gemeinde gesendet
und gesegnet. Auf sie gelegt wird: Sinn und Inhalt, Zweck und Ziel, Liebe und
Kraft, auf sie gelegt für den Weg nach draußen, in den Alltag, in seine
Aufgaben und Hindernisse. Ein zarter, aber deutlicher Hinweis. Man kann nicht
dauernd bei Gott bleiben, man muss auch wieder raus, aber etwas von Gott bleibt
auf mir, bei mir, trägt mich.
Am Ende des Lebens gesendet und gesegnet für das
draußen, für das, was kommt, zugerüstet für die andere Welt. Gott bei mir.
Tröstlich wäre das. Am Ende wird das letzte Lied im Gottesdienst gesungen, noch
mal: Ich bin nicht allein, Menschen
singen mit, ich singe mich hinaus. Am Ende des Gottesdienstes auch das Gebet
für die Welt, ich bin nicht das wichtigste, den Blick und den Horizont für die
anderen öffnen, dann die Abkündigungen, ja gleich wieder hinein in die
Normalität des Alltags und dann dieser uralte Segen des dreieinigen Gott, in
seinem Namen haben wir begonnen und enden auch. Zeichen ist das Kreuz. Beim
Rausgehen haben wir es gesehen und haben es im Rücken, aber immer auch als
Licht des Auferstandenen für alle unsere Wege. Amen.
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