Freitag, 23. Dezember 2016

Gott fängt mich sich selber an



Predigt am Christvesper (24.12.16)

„Wir fassen keinen andern Gott als den, der in jenem Menschen ist, 
der vom Himmel kam. Ich fange bei der Krippe an.“ (Martin Luther)

Wo anfangen
Ein Anfang ist uns gesetzt. Wir werden geboren. Über unsere Zeugung und unsere Geburt entscheiden nicht wir. Beides werden wir. Wir werden gezeugt. Wir werden geboren. Von bestimmten Menschen, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort. Mit uns wird angefangen.
Und seitdem fangen wir an, fangen wir an zu lächeln, zu sprechen, zu denken, zu stehen, zu gehen, zu leben. Unser Leben ist voller Anfängen, der Anfang eines Tages am Morgen, der Anfang einer Nachricht mit einem ersten Wort, der Anfang mit einem Menschen durch eine erste Begegnung, der Schulanfang, der Anfang des Studiums, der Stelle, der Arbeit, der Anfang einer großen Liebe. So viele Anfänge, so viele Enden, so viel anfangen und aufhören, kommen und gehen, so viel Leben dazwischen.
Wir fangen mit Dingen und Menschen, Sachen und Vorhaben, Großen und Kleinem an, wir fangen vorsichtig, zärtlich, behutsam, mutig, ängstlich, hoffnungsvoll, mit letzter Kraft an. Wir fangen an an bestimmten Orten, an Orten, die wir erinnern, die bedeutsam sind, an denen manches, manch alles begann. Ort des Anfangs. Inmitten, dass so vieles immer gleich ist, sich ähnelt, regelmäßig ist und widerkehrt, lebt unser Leben vom Anfang her, vom Anfangen.
So viele Heilige Abend haben wir schon erlebt, verschieden und doch immer ähnlich in der Sehnsucht nach dem Heiligen daran, so viele Weihnachten haben wir schon wiederkehren erlebt, verschieden und doch immer mit dem Blick auf diese eine Geburt. Womit anfangen an diesem Abend? Wo anfangen? Überhaupt anfangen? An diesem Heiligen Abend?

Gott fassen
Gott fassen. Gott fassen mit den Gefühlen, mit dem Verstand, mit den Händen irgendwie. Gott erfassen, verstehen, aufnehmen, irgendwie ihn berühren und vernehmen.
So vieles fassen wir und wieder auch nicht. So vieles fassen wir mit Hirn und Herz, mit Nachdenken und Empfinden, mit unseren Händen, andere Dinge, Ideen, Sachen, Menschen, auch uns selbst. Wir erfassen Leben, seit wir auf der Welt sind, nach und nach und mehr, Größeres und Ferneres, ganz nahes, und werden erhoben als Menschen, wenn wir etwas nicht erfassen, aber dennoch berührt werden, erfasst werden, in unserer Seele. Wir fassen zärtlich und gewaltsam, beherzt und zögerlich, ehrfürchtig und gewaltsam, wir erfassen und wahren Freiheit, wir erfassen und machen gefügig, erfassen und besitzen, erfassen nicht und lieben.
Gott kann man nicht fassen. Gott entzieht sich jedem Besitz, jedem Zugriff. Gott lässt sich nicht abbilden, nicht einschränken, nicht festmachen. Gott ist unfassbar, er ist über uns hinausgehende Macht, alles und alle erfüllenden Liebe, uns unsichtbar spürbar einender Geist. Er ist größer, weiter, tiefer, höher als all unser Fassungsvermögen.
Und doch treibt uns die Sehnsucht, der Wunsch, ihn dennoch zu fassen, ihn irgendwie zu fassen und sei es am Saum seines göttlichen Gewandes, sei es im Nachgehen seiner Herrlichkeit, sei es zuerst erfasst von ihm. Wir wollen Gott gar nicht besitzen und verfügbar machen, ihn ganz und gar erfassen, wir wollen ihn aber dennoch irgendwie ins Leben ziehen, seine Worte verstehen, seine Zeichen vernehmen, in seine Geschichte eintauchen, sein Heil erhalten, seine Hand fassen, an der er uns fasst.

Jener
Ein Mensch, der vom Himmel kommt. Den gibt es nicht. Menschen leben auf der Erde. Menschen sind Menschen, und kein Mensch kommt vom Himmel. Jener Menschen kommt aber vom Himmel. In jenem Mensch ist aber Gott. An Weihnachten bestimmt sich Gott. Auf unfassbare Weise. Er, der unfassbare, gibt sich ein „Jener“. Jener ist ein Demonstrativpronomen. Als zeigte Gott, der unfassbare, auf sich selbst und macht sich damit ganz demonstrativ sichtbar, erkennbar, fassbar, auf abenteuerliche Weise wird er zu einem fassbaren Gott, in Jenem, in jenem, Menschen, der von Himmel kam.
In diesem Jenem, in diesem bestimmten Jemand, ist Gott, existiert Gott, lebt Gott, ist er ganz und gar. Jener ist sein Ort, sein Dasein, seine Gegenwart und Erscheinung. Mit Jenem wird Gott selbst einer unter anderen, er wird fassbar, anschaulich, verortbar, zu einem, zu jenem, den man unter anderen antreffen, sagen, weitersprechen, versprechen, predigen, schenken kann. Er wird in Jenem Mensch, unglaublicher Mensch vom Himmel.

Neugeboren
Keinen anderen Gott fassen wir als diesen, als jenen. Wir können keinen anderen fassen. Kein anderer lässt sich fassen als dieser. Vorher war für uns Gott nicht, wir konnten keinen fassen, jetzt ist Gott und wir können ihn fassen. Und kein andere ist dann Gott für uns als in jenem Mensch, der vom Himmel kam.
Wo fangen wir an, mit einem Knoten im Kopf. WO fängt Gott an? In jenem Mensch, in jener Geburt des Menschen vom Himmel her. Gott fängt im aller wahrsten Sinne mit sich selbst an. Er fängt mich sich an und gebiert sich selbst hinein in unsere Welt, in die damalige und immer neu in unsere. Hier will er geboren werden, gebiert er sich selbst.
Gott wird nicht geboren. Er gebiert sich selbst. Er macht einen Anfang mit sich und mit uns. Einen radikalen und ganz und gar göttlichen, sich selbst in die Welt gebenden Anfang. Er gebiert sich, alles Göttliche in und an ihm: Gott ist auf der Welt. Er setzt sich frei in die Welt, entbindet sich und die Welt wird zu seinem Geburtsort, zu seinem Lebensort, mit allem, was mit jeder Geburt getan wird: Voller neuen Leben in die Freiheit hinein, ins Risiko des Lebens, ins Ungewisse, in die Verantwortung, in die Verletzlichkeit bis ans Kreuz.
Gott fängt mit uns bei der Krippe an. Ganz demonstrativ. Hier können wir ihn fassen und hier werden wir von ihm erfasst. Hier sehen wir seine Geburt und unsere. Hier fangen wir an. Mit uns. Mit ihm. Amen.

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