Predigt am Christvesper (24.12.16)
„Wir fassen keinen andern Gott als den, der in jenem
Menschen ist,
der vom Himmel kam. Ich fange bei der Krippe an.“ (Martin Luther)
Wo anfangen
Ein Anfang ist uns gesetzt. Wir
werden geboren. Über unsere Zeugung und unsere Geburt entscheiden nicht wir.
Beides werden wir. Wir werden gezeugt. Wir werden geboren. Von bestimmten
Menschen, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort. Mit uns wird
angefangen.
Und seitdem fangen wir an, fangen wir
an zu lächeln, zu sprechen, zu denken, zu stehen, zu gehen, zu leben. Unser
Leben ist voller Anfängen, der Anfang eines Tages am Morgen, der Anfang einer
Nachricht mit einem ersten Wort, der Anfang mit einem Menschen durch eine erste
Begegnung, der Schulanfang, der Anfang des Studiums, der Stelle, der Arbeit,
der Anfang einer großen Liebe. So viele Anfänge, so viele Enden, so viel
anfangen und aufhören, kommen und gehen, so viel Leben dazwischen.
Wir fangen mit Dingen und Menschen,
Sachen und Vorhaben, Großen und Kleinem an, wir fangen vorsichtig, zärtlich,
behutsam, mutig, ängstlich, hoffnungsvoll, mit letzter Kraft an. Wir fangen an
an bestimmten Orten, an Orten, die wir erinnern, die bedeutsam sind, an denen
manches, manch alles begann. Ort des Anfangs. Inmitten, dass so vieles immer
gleich ist, sich ähnelt, regelmäßig ist und widerkehrt, lebt unser Leben vom
Anfang her, vom Anfangen.
So viele Heilige Abend haben wir
schon erlebt, verschieden und doch immer ähnlich in der Sehnsucht nach dem
Heiligen daran, so viele Weihnachten haben wir schon wiederkehren erlebt,
verschieden und doch immer mit dem Blick auf diese eine Geburt. Womit anfangen
an diesem Abend? Wo anfangen? Überhaupt anfangen? An diesem Heiligen Abend?
Gott fassen
Gott fassen. Gott fassen mit den
Gefühlen, mit dem Verstand, mit den Händen irgendwie. Gott erfassen, verstehen,
aufnehmen, irgendwie ihn berühren und vernehmen.
So vieles fassen wir und wieder auch
nicht. So vieles fassen wir mit Hirn und Herz, mit Nachdenken und Empfinden,
mit unseren Händen, andere Dinge, Ideen, Sachen, Menschen, auch uns selbst. Wir
erfassen Leben, seit wir auf der Welt sind, nach und nach und mehr, Größeres
und Ferneres, ganz nahes, und werden erhoben als Menschen, wenn wir etwas nicht
erfassen, aber dennoch berührt werden, erfasst werden, in unserer Seele. Wir
fassen zärtlich und gewaltsam, beherzt und zögerlich, ehrfürchtig und
gewaltsam, wir erfassen und wahren Freiheit, wir erfassen und machen gefügig,
erfassen und besitzen, erfassen nicht und lieben.
Gott kann man nicht fassen. Gott
entzieht sich jedem Besitz, jedem Zugriff. Gott lässt sich nicht abbilden,
nicht einschränken, nicht festmachen. Gott ist unfassbar, er ist über uns
hinausgehende Macht, alles und alle erfüllenden Liebe, uns unsichtbar spürbar
einender Geist. Er ist größer, weiter, tiefer, höher als all unser
Fassungsvermögen.
Und doch treibt uns die Sehnsucht,
der Wunsch, ihn dennoch zu fassen, ihn irgendwie zu fassen und sei es am Saum
seines göttlichen Gewandes, sei es im Nachgehen seiner Herrlichkeit, sei es zuerst
erfasst von ihm. Wir wollen Gott gar nicht besitzen und verfügbar machen, ihn
ganz und gar erfassen, wir wollen ihn aber dennoch irgendwie ins Leben ziehen,
seine Worte verstehen, seine Zeichen vernehmen, in seine Geschichte eintauchen,
sein Heil erhalten, seine Hand fassen, an der er uns fasst.
Jener
Ein Mensch, der vom Himmel kommt. Den
gibt es nicht. Menschen leben auf der Erde. Menschen sind Menschen, und kein
Mensch kommt vom Himmel. Jener Menschen kommt aber vom Himmel. In jenem Mensch
ist aber Gott. An Weihnachten bestimmt sich Gott. Auf unfassbare Weise. Er, der
unfassbare, gibt sich ein „Jener“. Jener ist ein Demonstrativpronomen. Als
zeigte Gott, der unfassbare, auf sich selbst und macht sich damit ganz
demonstrativ sichtbar, erkennbar, fassbar, auf abenteuerliche Weise wird er zu
einem fassbaren Gott, in Jenem, in jenem, Menschen, der von Himmel kam.
In diesem Jenem, in diesem bestimmten
Jemand, ist Gott, existiert Gott, lebt Gott, ist er ganz und gar. Jener ist
sein Ort, sein Dasein, seine Gegenwart und Erscheinung. Mit Jenem wird Gott
selbst einer unter anderen, er wird fassbar, anschaulich, verortbar, zu einem,
zu jenem, den man unter anderen antreffen, sagen, weitersprechen, versprechen,
predigen, schenken kann. Er wird in Jenem Mensch, unglaublicher Mensch vom
Himmel.
Neugeboren
Keinen anderen Gott fassen wir als
diesen, als jenen. Wir können keinen anderen fassen. Kein anderer lässt sich
fassen als dieser. Vorher war für uns Gott nicht, wir konnten keinen fassen,
jetzt ist Gott und wir können ihn fassen. Und kein andere ist dann Gott für uns
als in jenem Mensch, der vom Himmel kam.
Wo fangen wir an, mit einem Knoten im
Kopf. WO fängt Gott an? In jenem Mensch, in jener Geburt des Menschen vom
Himmel her. Gott fängt im aller wahrsten Sinne mit sich selbst an. Er fängt
mich sich an und gebiert sich selbst hinein in unsere Welt, in die damalige und
immer neu in unsere. Hier will er geboren werden, gebiert er sich selbst.
Gott wird nicht geboren. Er gebiert
sich selbst. Er macht einen Anfang mit sich und mit uns. Einen radikalen und
ganz und gar göttlichen, sich selbst in die Welt gebenden Anfang. Er gebiert
sich, alles Göttliche in und an ihm: Gott ist auf der Welt. Er setzt sich frei
in die Welt, entbindet sich und die Welt wird zu seinem Geburtsort, zu seinem
Lebensort, mit allem, was mit jeder Geburt getan wird: Voller neuen Leben in
die Freiheit hinein, ins Risiko des Lebens, ins Ungewisse, in die
Verantwortung, in die Verletzlichkeit bis ans Kreuz.
Gott fängt mit uns bei der Krippe an.
Ganz demonstrativ. Hier können wir ihn fassen und hier werden wir von ihm
erfasst. Hier sehen wir seine Geburt und unsere. Hier fangen wir an. Mit uns.
Mit ihm. Amen.
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