Montag, 26. Oktober 2015

Ein besonderer Mensch



Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis (25. Oktober 2015)

Matthäus 5, 38-48
Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.«  Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

erfüllt
Vollkommen. Danach suchen Menschen. Nicht alle, vielleicht, nicht immer, aber irgendwie schon. Menschen streben nach Vollkommenheit, nach gut und besser werden, sein, nach ein bisschen fast perfekt, fast vollkommen im Denken, im Planen, im Tun, im Aussehen. Und manchmal gelingt es und Menschen sind ungeheuer stolz, manchmal ist vollkommen zu perfekt, zu glatt, zu viel des Guten; manchmal misslingt es Menschen und sie müssen sich mit weniger als perfekt abfinden und es tut ihnen weh.
Vollkommen wird man geboren und stirbt man. Menschen sind vollkommen, ohne dass sie was tun oder lassen. Vollkommen mit allen Falten und den Fehlern, vollkommen mit ihren Sorgen und Fragen, vollkommen im Suchen und Verlieren, vollkommen mit ihren je eigenen Geschichten, Verletzungen, Wunden, Merkwürdigkeiten, Sünden, hässlichen Momenten und Wundern; vollkommen schon immer, immer wieder.
Gott schenkt Menschen Vollkommenheit, vielleicht eine andere, wie sie suchen, wie sie sich wünschen, aber er schenkt ihnen alles, was sie zu Menschen macht und sie ausmacht. Mehr brauchen sie nicht. Gott erfüllt Menschen vollkommen, ganz und gar, randvoll, er füllt Menschen mit sich, mit all dem, was er ist, an Vollkommenheit, Gott macht Menschen vollkommen durch seine Vollkommenheit, vollkommen geliebt und in Güte betrachtet, vollkommen begleitet und beseelt, vollkommen geborgen und bedacht von Gott. Unendlich, unausschöpflich, vollkommen, jeden Atemzug und jeden Augenblick. Gottes.
Nie leer
Und niemand kann das dem Menschen nehmen, rauben, abzwingen, verloren machen. Niemand, ganz gleich, wie schlimmes dem Menschen widerfährt, wie sehr sein Leben hin und her geworfen wird, wie sehr er sich im Spiegel selbst unerträglich erblickt. Das von Gott in und an ihm, seine Vollkommenheit ist nicht kaputtbar, nicht klein zu kriegen, nicht auszulöschen. Sie hat etwas zutiefst wunderbares an sich, sie füllt sich von Gott immer wieder auf. In jeden Moment, in dem droht, dass sie nichtig gemacht wird, macht Gott Menschen wieder zu mehr, wieder vollkommen.
Sie kann niemals vernichtet und geleert werden, nicht verloren werden. Menschen werden geschlagen, bedroht, gezwungen, beraubt, entwürdigt; Menschen werden misshandelt, genötigt, ihnen wird alles abverlangt; Menschen werden erniedrigt, verfolgt, gehasst. Ihnen wird an Leib und Seele, an Hab und Gut, an Zeit und Raum Leben abgerungen, genommen: geschlagen auf die Backe, verletzt an der Seele; nackt ohne Mantel, müde und wund von weiten Umwegen, genervt und ausgemergelt vom Zeitraub, vom Ausborgen, vom gehasst werden.
Aber nichts kann Menschen ihre Vollkommenheit nehmen, sie bleiben in all dem vollkommen, mit unglaublicher würde und göttlicher Liebe erfüllt, selbst wenn alles um sie zur Hülle wurde. In aller Verletzlichkeit erstrahlt dennoch ihre göttliche Schönheit, gebrochen, aber nicht weggenommen, ramponiert, aber nicht ausgelöscht, entleert, aber nicht nichtig, unvollkommen vollkommen. Sie müssen nichts fürchten, können lieben.

Durchlässig
Menschen werden immer wieder erfüllt, erfüllt von Gottes vollkommener Liebe; Menschen bleiben davon erfüllt, werden in aller Verletzlichkeit, in Falten und eigenen Verstrickungen ganz und gar durchlässig für das, was sie von Gott bekommen, in sich tragen, sie werden transparent auf den hin, der sie erfüllt, werden durchlässig auf die hin, denen auch Gottes Vollkommenheit gilt. Guten wie Bösen. Sie fragen nicht nach Geben und Nehmen, nach Hin und Her, nach: Reicht es? Ist es genug? Könnte es mehr sein? Bin ich gut, besser, perfekt, vollkommen?
Menschen teilen furchtlos und verwundbar vollkommen von sich aus, von dem „von Gott“ in ihnen, sie teilen sich aus, ohne dass sie selbst weniger würden, sie geben weiter, weg von sich und hin zu anderen, noch eine Backe, noch ein Mantel, noch eine Meile, noch ein Kuss, noch ein Gebet, noch ein Regentropfen auf dürre Seelen, noch ein Sonnenstrahl für Kindergesichter, noch mehr von sich, sie geben weiter, werden aber immer mehr, werden und werden selbst nie leerer, werden immer heller, leuchtender, erfüllter, liebender.

vollkommen
Wundersam: Wunderbares Wesen Mensch.
Wunderbares Wesen Mensch: So sehr verwundbar und verletzlich: ohne Widerstand und Trotz, schmerzlich offen für das, was mit ihm geschieht, und unglaublich präsent, stark, Gott selbst geschehen zu lassen, demütig bescheiden großartig und herrlich bis zum Äußersten seine Liebe zu lieben. Wunderbares Wesen Mensch: Absolut dicht für Gottes Liebe, hineingegossen, nichts und niemand kann sie nehmen, verloren machen; und doch zu tiefst durchlässig, löchrig für jene Liebe: Jeder und jede bekommt sie geschenkt, soll sie sein nennen. Wesen Mensch, das sich jedem vorbehaltlos austeilt und ohne wenn und aber sich hergibt, ausleert und dabei nicht kleiner, nicht weniger, nicht leerer wird. Ganz im Gegenteil.
Wesen vollkommen. Amen.

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