Donnerstag, 24. September 2015

Eine wundervolle Begegnung



Predigt am 17. Sonntag nach Trinitatis (27.9.2015)

Matthäus 15, 21-28: Die kanaanäische Frau
Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

sehr gewünscht
Gesund werden. Wieder gesund werden. Endlich gesund werden. Wie groß mag dieser Wunsch sein. Nicht mehr krank, nicht mehr geplagt, nicht mehr eingeschränkt, abhängig, nicht mehr Schmerzen, nicht mehr Untersuchungen, nicht mehr Angst. Endlich gesund werden  - nach vielen bitteren Wünschen und Versuchen wie diese Frau auf ein kleines großes Wunder hoffen, auf Hilfe, auf jemanden, auf etwas, das endlich hilft und gesund macht. Damit geschieht, was so sehr erhofft, so sehr gewünscht, so sehr gewollt wird.
Und wenn diese Wunder ausbleiben, wenn es kein „wieder gesund“ gibt. Wenn Kinder nicht wieder gesund werden, wenn sie krank bleiben, vielleicht unheilbar; wenn es nicht so geschieht, wie Eltern es inständig hoffen, sich morgens und abends, nachts, tags wünschen, bitten? Ist da dann zu wenig Gelingen und Glück, zu wenig Hilfe und Wunder, zu wenig Glaube und Vertrauen, zu wenig von der Frau? Zu wenig von Jesus?

nicht wegwerfen!
Jesus ist wenig. Jesus ist erschreckend abweisend. Er zieht sich auf seinem Weg zurück, äußerlich und spürbar auch innerlich. Er spricht kein Wort zur Frau, gibt keine Antwort auf sie. Er bleibt wie stumm. Jesus wirkt anders, fremd, wird von den Jüngern genötigt, gezwungen, sich der Frau doch irgendwie zuzuwenden, doch ihr etwas zu sagen, etwas, zwei, drei Sätze, wenigstens.
In diesen zwei Sätzen erinnert Jesus irgendwie merkwürdig dunkel, ja fremd daran. Daran, dass das Heil ungeheuer kostbar ist, wertvoll, exklusiv, dass das Heil unverfügbar ist, Geschenk, unglaubliche Gabe; dass es etwas ganz Besonderes ist, dass es heilig ist, um heil machen zu können, dass es teuer ist, um viel zu geben und zu sein. Nicht wegwerfen! Wie vieles weggeworfen wird, verbraucht und wertlos wird und ist. Nicht wegwerfen! Nicht verschleudern, nicht billig machen, nicht gering achten, nicht verramschen, nicht wie Allerweltsware anbieten, anbiedern, verkaufen, nicht einfach geben, weggeben! Es ist ungeheuer einmalig kostbar, das Heil. Es ist wie ein Schatz zu bewahren, aufzubewahren, in Jesus heilig zu halten, zu achten, auf es aufzupassen, es genau zu dosieren, vorsichtig zu schenken, dass es sich nicht verliert.

Erde fressen
Die Frau scheint das zu ahnen, sie schreit um Hilfe, sie bittet um Erbarmen, sie bittet um Heil, um Rettung, um Wunder. Sie bittet nicht für sich, sie bittet für jemanden anderen, sie bittet für ihr Wichtigstes, für ihr Kind, für ihre Tochter. Sie bittet hartnäckig, sie bleibt dran, sie verstrickt, verbindet merkwürdig Jesus in Worte, in einen tiefsten Wunsch nach Gesund, in eine große Sehnsucht nach Leben, in erbärmliche Not eines Menschen.
Die Frau scheint die Kostbarkeit des Heils zu ahnen, sie weiß, dass nur ein Brosamen davon, nur ein Krümel, nur ein kleines Bruchstück davon helfen, retten, heilen, gesund machen kann. Sie weiß, dass sie vom Abfall des Heils leben könnte, von jenem kleinen Stück, das zu ihr herunterfällt, dass sie ganz klein kostbar am Boden aufliest. Sie ist bereit, das kleinste Stückchen Heil auf den Boden der bitteren Tatsachen zu empfangen, es demütig zu fressen, in ihr Leben, das voll Hunger ist für ihre Tochter, zu nehmen, vom Abfall, Herabgefallenen zu nehmen, wieder leben.

wunder
Jesus und Frau begegnen einander. Irgendwie gezwungen, genötigt, kaum freiwillig, aber notwendig. Sie begegnen einander, treten einander gegenüber, bitten und bleiben stumm, wechseln Worte, Bilder, Vorstellungen, reiben sich aneinander:
Jesus ablehnend, die Frau verwundet offen. Jesus gesandt, die Frau demütig. Jesu Worte abstrakt, reden abstrakt von „man“, „es“ und allgemeinen Wahrheiten, fast leer. Die Worte der Frau konkret, laut und Schrei, vehement gefüllt von Du und mein, von Hilf mir und Ja, Herr! Jesus hat Bilder im Kopf von seiner Sendung, vom Verlorenen, von Herde und Schafen, von Wegnehmen und Wegwerfen. Die Frau hat Bilder im Kopf von Erbarmen, von ihrer Tochter, von Plage, vom bösen Geist. Beide haben Bilder im Kopf von Kindern und Brot, von Hunden und Brosamen.
Und ihre Bilder im Kopf ringen miteinander, setzen sich auseinander: Gedanken an die Heiligkeit der Dinge, an die tiefe Not von Menschen; Gedanken an die Gerechtigkeit von Vielen und die unglaubliche Bedürftigkeit von Einzelnen und ganz Vielen; Gedanken, an die Kostbarkeit des Lebens und die tiefen Abgründe darin, an die eigene Bestimmung auf seinem Weg und den Zufall von Begegnung, an den geheimnisvollen Wert Gottes und die Liebe zu seinen Geschöpfen.
Und mitten drin geschieht doch ein Wunder. Etwas vom Außergewöhnlichen, vom Wunderbaren: Das Heilige ereignet sich, das Heil wird wirklich zuteil, die Not wird gewendet, vom Brot fällt ein Stück herab in unser Leben. Beides noch so klein. Es geschieht vielleicht, was wir so sehr wünschen, und vielleicht gerade nicht. Das Kind wird vielleicht nicht wieder gesund. Doch einen Brosamen Heil gibt es sicher. Wir ringen es Gott ab. Seiner Liebe. Amen.

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