Predigt am 17. Sonntag nach Trinitatis (27.9.2015)
Matthäus
15, 21-28: Die kanaanäische Frau
Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die
Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet
und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird
von einem bösen Geist übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten
seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie
schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den
verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und
sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass
man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja,
Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren
fallen.
Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein
Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu
derselben Stunde.
sehr gewünscht
Gesund werden. Wieder gesund werden. Endlich
gesund werden. Wie groß mag dieser Wunsch sein. Nicht mehr krank, nicht mehr
geplagt, nicht mehr eingeschränkt, abhängig, nicht mehr Schmerzen, nicht mehr
Untersuchungen, nicht mehr Angst. Endlich gesund werden - nach vielen bitteren Wünschen und Versuchen wie
diese Frau auf ein kleines großes Wunder hoffen, auf Hilfe, auf jemanden, auf
etwas, das endlich hilft und gesund macht. Damit geschieht, was so sehr
erhofft, so sehr gewünscht, so sehr gewollt wird.
Und wenn diese Wunder ausbleiben,
wenn es kein „wieder gesund“ gibt. Wenn Kinder nicht wieder gesund werden, wenn
sie krank bleiben, vielleicht unheilbar; wenn es nicht so geschieht, wie Eltern
es inständig hoffen, sich morgens und abends, nachts, tags wünschen, bitten?
Ist da dann zu wenig Gelingen und Glück, zu wenig Hilfe und Wunder, zu wenig
Glaube und Vertrauen, zu wenig von der Frau? Zu wenig von Jesus?
nicht wegwerfen!
Jesus ist wenig. Jesus ist
erschreckend abweisend. Er zieht sich auf seinem Weg zurück, äußerlich und
spürbar auch innerlich. Er spricht kein Wort zur Frau, gibt keine Antwort auf
sie. Er bleibt wie stumm. Jesus wirkt anders, fremd, wird von den Jüngern
genötigt, gezwungen, sich der Frau doch irgendwie zuzuwenden, doch ihr etwas zu
sagen, etwas, zwei, drei Sätze, wenigstens.
In diesen zwei Sätzen erinnert Jesus irgendwie
merkwürdig dunkel, ja fremd daran. Daran, dass das Heil ungeheuer kostbar ist,
wertvoll, exklusiv, dass das Heil unverfügbar ist, Geschenk, unglaubliche Gabe;
dass es etwas ganz Besonderes ist, dass es heilig ist, um heil machen zu
können, dass es teuer ist, um viel zu geben und zu sein. Nicht wegwerfen! Wie
vieles weggeworfen wird, verbraucht und wertlos wird und ist. Nicht wegwerfen!
Nicht verschleudern, nicht billig machen, nicht gering achten, nicht
verramschen, nicht wie Allerweltsware anbieten, anbiedern, verkaufen, nicht
einfach geben, weggeben! Es ist ungeheuer einmalig kostbar, das Heil. Es ist
wie ein Schatz zu bewahren, aufzubewahren, in Jesus heilig zu halten, zu achten,
auf es aufzupassen, es genau zu dosieren, vorsichtig zu schenken, dass es sich
nicht verliert.
Erde fressen
Die Frau scheint das zu ahnen, sie
schreit um Hilfe, sie bittet um Erbarmen, sie bittet um Heil, um Rettung, um
Wunder. Sie bittet nicht für sich, sie bittet für jemanden anderen, sie bittet
für ihr Wichtigstes, für ihr Kind, für ihre Tochter. Sie bittet hartnäckig, sie
bleibt dran, sie verstrickt, verbindet merkwürdig Jesus in Worte, in einen
tiefsten Wunsch nach Gesund, in eine große Sehnsucht nach Leben, in erbärmliche
Not eines Menschen.
Die Frau scheint die Kostbarkeit des
Heils zu ahnen, sie weiß, dass nur ein Brosamen davon, nur ein Krümel, nur ein
kleines Bruchstück davon helfen, retten, heilen, gesund machen kann. Sie weiß,
dass sie vom Abfall des Heils leben könnte, von jenem kleinen Stück, das zu ihr
herunterfällt, dass sie ganz klein kostbar am Boden aufliest. Sie ist bereit,
das kleinste Stückchen Heil auf den Boden der bitteren Tatsachen zu empfangen,
es demütig zu fressen, in ihr Leben, das voll Hunger ist für ihre Tochter, zu
nehmen, vom Abfall, Herabgefallenen zu nehmen, wieder leben.
wunder
Jesus und Frau begegnen einander.
Irgendwie gezwungen, genötigt, kaum freiwillig, aber notwendig. Sie begegnen
einander, treten einander gegenüber, bitten und bleiben stumm, wechseln Worte,
Bilder, Vorstellungen, reiben sich aneinander:
Jesus ablehnend, die Frau verwundet
offen. Jesus gesandt, die Frau demütig. Jesu Worte abstrakt, reden abstrakt von
„man“, „es“ und allgemeinen Wahrheiten, fast leer. Die Worte der Frau konkret, laut
und Schrei, vehement gefüllt von Du und mein, von Hilf mir und Ja, Herr! Jesus
hat Bilder im Kopf von seiner Sendung, vom Verlorenen, von Herde und Schafen,
von Wegnehmen und Wegwerfen. Die Frau hat Bilder im Kopf von Erbarmen, von
ihrer Tochter, von Plage, vom bösen Geist. Beide haben Bilder im Kopf von
Kindern und Brot, von Hunden und Brosamen.
Und ihre Bilder im Kopf ringen
miteinander, setzen sich auseinander: Gedanken an die Heiligkeit der Dinge, an
die tiefe Not von Menschen; Gedanken an die Gerechtigkeit von Vielen und die
unglaubliche Bedürftigkeit von Einzelnen und ganz Vielen; Gedanken, an die Kostbarkeit
des Lebens und die tiefen Abgründe darin, an die eigene Bestimmung auf seinem
Weg und den Zufall von Begegnung, an den geheimnisvollen Wert Gottes und die
Liebe zu seinen Geschöpfen.
Und mitten drin geschieht doch ein
Wunder. Etwas vom Außergewöhnlichen, vom Wunderbaren: Das Heilige ereignet sich,
das Heil wird wirklich zuteil, die Not wird gewendet, vom Brot fällt ein Stück
herab in unser Leben. Beides noch so klein. Es geschieht vielleicht, was wir so
sehr wünschen, und vielleicht gerade nicht. Das Kind wird vielleicht nicht
wieder gesund. Doch einen Brosamen Heil gibt es sicher. Wir ringen es Gott ab. Seiner
Liebe. Amen.
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