Mittwoch, 26. November 2014

Mit Tränen benetzt



Predigt am Ewigkeitssonntag 2014 (23.11.14)
 Klappkarte Tränendes Herz
Eine leere Klappkarte
Eine leere Klappkarte halten Sie in den Händen. Leer. Nur ein Spruch auf der einen Seite. Sonst leer. Unbeschrieben. Als wolle jemand sie beschreiben, mit seiner Handschrift. Sie erinnert an die Zeilen, die Sätze, die Briefe, Postkarten, Zettel, die ihr lieber, verstorbener Mensch geschrieben hat, an seine Handschrift, an die Worte, an ihn, an das, was er gedacht, geschrieben, gesagt hat, an seine Schrift, an seine Hände.
Es schimmern leicht durch auf der leeren Klappkarte all die Karten, die Briefe, die Sie bekommen haben, einzelne, einige, formelhafte, herzvolle, mit denen Ihnen geschrieben wurde, die Sie lasen, die ihnen Worte schenkten, Trost sprachen, die Leere, die sich um sie auftat, als ihr lieber Menschen den letzten Atemzug tat und starb, etwas anfüllte. Die leere Klappkarte, geöffnet in Ihren Händen, spiegelt etwas wieder von der Leere des Todes, des Abschieds, der Trauer, der Leere, die bleibt, wenn Menschen, die Leben gefüllt haben, gehen.
Ein dagegen kleiner Vers auf der linken Seite: Gott spricht: „Ich habe deine Tränen gesehen.“ Gott spricht. Das ist gut. Er bleibt nicht stumm, nicht abwesend, nicht auch leer, er spricht. Und er spricht, dass er deine Tränen gesehen hat. Er hat sie gesehen, nicht er wird sehen oder er sieht. Nicht Futur, nicht Gegenwart, sondern Perfekt: Er hat sie gesehen. Unverrückbar. Sicher. So ist es. Er hat sie gesehen, eure Tränen.
Wie manche. Wie manche eure Tränen gesehen haben. Nicht viele, vielleicht nur die, die euch nahestehen, die ihr in euer Gesicht, auf Euch sehen haben lasst. Die haben eure Tränen gesehen, schon vorher, als ihr manche Nacht weintet, weil pflegen, begleiten, mit jemanden auf den Tod zugehen, uns so nahe berührt; dann eure Träne, als der Tod eintrat und klar war, nun ist er gegangen, und Tränen zur einzigen noch sagbaren Sprache wurden. Die Tage und Wochen danach, Tränen bei der Beerdigung, Tränen, wenn man an den lieben Menschen dachte, über ihn sprach, Tränen in einsamen Stunden und manchen Abenden. Was wir vielleicht lieber verbergen, was unsichtbar in uns ist, tritt heraus und wird sichtbar, wenn wir weinen, in unseren Tränen.

Herz an Herz
Unter dem Spruch von Gott sehen wir zwei kleine Herzen, miteinander verschlungen. Vielleicht beginnen die Tränen im Herzen, sammelt und wohnt dort im Herzen das, was wir beweinen, und aus dem Herzen steigen die Tränen irgendwie in uns hoch, steigen in die Augen und beginnen dort sichtbar zu werden leicht glasig und dann tropfen sie die Wange hinab.
Herztränen.
Gott sieht diese Tränen. Er sieht das Herz und was darin ist, er sieht die Tränen dort sein und er sieht, wie ihr sie weint. Gott schweigt nicht zu unseren Tränen. Bevor er unsere Tränen im Krug sammelt, er sie in unseren Augen wie verheißen abwischt, sieht er sie, ist er ihnen und uns nicht fern, nicht in Distanz. Er ist unseren Tränen nahe. Sie berühren ihn. So wie die Tränen der Sünderin, die zu Jesus Füßen saß, und seine Füße mit kostbarsten Öl salbte, und deren Tränen seine Füße benetzen, berührten, Jesus berührten, sein Herz berührten, weil ihre Tränen so kostbar waren wie das Öl für ihn, weil beide wussten, was sterben und weinen heißt, und dass Gott denen nahe ist, die weinen und sterben.
Gott sieht eure Tränen. Herz an Herz. Verschlungen.

Tränendes Herz
So können wir die Karte zuklappen. Und sehen selbst. Sehen die Blüten der Pflanze „Tränendes Herz“. Blüten, die aussehen wie Tränenherzen. Eines davon, stellen wir uns vor, mag unser tränendes Herz sein. Die tränenden Herzen sind nicht alleine, nebeneinander hängen sie dort, eines neben das andere; wie Sie nebeneinander in den Bankreihen sitzen, Tränenherz neben Tränenherz, Trauer neben Trauer, Abschied neben Abschied, Geschichte neben Geschichte, Trost neben Trost, Mensch neben Mensch. Ihr. Wir.
Verbunden sind die tränenden Herzen durch einen zarten Spross, der irgendwo ungesehen zur Wurzel führt, von dort das Leben bekommt, entlang des Sprosses hinein ins tränende Herz. Das Leben hört nicht auf. Wir bleiben verbunden mit ihm, hängen an ihm, werden getragen, bis hinunter zur Wurzel, die wir manchmal nicht sehen, die aber da ist, aus der wir heraus leben, Leben bekommen.
Die tränenden Herzen scheinen wie zu weinen, ein Tropfen scheint aus ihrem Herzen zu tropfen. Wie in einem Moment festgehalten wird sichtbar, wie aus dem Herzen, vielleicht randvoll gefüllt mit Tränen, Tränen tropfen. Wohin ist egal, warum ist egal. Sie tropfen, sie lassen ihre Tränen aus sich heraus und werden leichter, tränenleerer.
Die tropfenden Tränen der tränenden Herzen sind selbst Blüten, weiße Blüten. Die Tropfen der tränenden Herzen sind Blüten. Jede Träne, die wir weinen, die in sich all die Trauer und Traurigkeit trägt, die von Tod und Abschied erzählt, von Schmerz und Leid weiß, jede dieser Tränen, eurer, ist eine zarte weiße Blüte. Wie das ganze Tränenherz. In jeder Träne wohnt auch das neue Leben, verborgen, zart, unsichtbar vielleicht, es wohnt aber darin. Es wird in der Trauer sachte euch blühen.

Auf der Rückseite
Drehen wir die zugeklappte Karte, zum Schluss. Noch mal das gleiche Bild, und ein kleiner so alltägliche Hinweis, wie das Bild heißt, woher es kommt und wer es gemacht hat. Nach dem Tod Rückkehr in den Alltag. Das Bild der tränenden Herzen ist verblasst. Noch ist eure Erinnerung an das Sterben und an den Abschied ganz präsent. Es mag sachte verblassen, und im Verblassen wünsche ich euch, dass sichtbar werde - wie die ewige Liebe, wie „Herz an Herz“ - die Erinnerung an eure lieben Menschen, dankbar lebendig.
Und seid gewiss:
Innen drin ist Gottes Wort für euch: „Ich habe deine Tränen gesehen.“ Bei jedem von Euch. Sein Herz an eurem. Gerade wenn es weint. Eng verbunden. Für eure Leere. Keine Leere. Gott schenkt euch seine Fülle, sich. Amen.

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