Predigt zur Einführung des neuen ESG-Gesangbuchs
am 21. Sonntag nach Trinitatis (20.10.13)
Labyrinth
„Durch Hohes und Tiefes“ lesen wird auf
dem Einband unseres neuen Gesangbuchs mit neuen Liedern. Ein Verb, ein Tuwort
fehlt. Nur eine Richtungsangabe: Durch Hohes und Tiefes, durch Hohes und Tiefes
hindurch, Tiefes und Hohes durchschreiten, durchleben. Und wenn wir länger
denken, länger gehen, dann wünschten wir uns, dass das „und“ auch fehlen würde,
nur durch Hohes hindurch.
Mit rotem Schriftzug steht aber
„Durch Hohes und Tiefes“ auf unserem Liederbuch. Rot, weil es ins Auge stechen
soll, weil das das Wesentliche ist: Das Hohe und Tiefe, die Höhepunkte und
Tiefpunkte, das was prägt, was Leben ausmacht. In roter Farbe wie ein roter
Faden, wie ein elementarer Geh-Weg im Leben. Dabei ist das „durch Hohes“
kleiner geschrieben als das „und Tiefes“, das Hohe kleiner als das Tiefe, weil
das Tiefe auch immer tiefer ist als das Hohe hoch, bittrer, schlimmer,
prägender?
Unter der Überschrift, den Titel, ist
in gleicher Farbe wie der ganze Einband etwas eingeprägt, ein Bild, eigentlich
zwei Bilder: ein Baum als Labyrinth, ein Labyrinth als Baum. Zwei Bilder
ineinander für das eine Leben: Der Baum steht für das Wachsen und Werden des
Lebens, für die Lebensäste, die unser Leben treibt, für totes Holz und
Abschiede, für Wurzeln, die wir haben, für die Krone, die uns mal aufgesetzt
wird, für das Blühen, Welken, den Atem, den wir haben und geben. Das Labyrinth
darin steht für Suchen und Finden, für Außen und Innen, für Mitte und Gehen.
Dieses Labyrinth hat keinen rechten Eingang und Ausgang. Man lebt immer darin.
Es hat Sackgassen, immer wieder heilsame Punkte der Umkehr, es hat keine rechte
Mitte, die man erreicht, immer nur Annäherung ans vollkommene Glück, wie im
Leben. Es hat geprägt Höhen und Tiefen, als würde man in ihm auf den hohen
Lebensgraden gehen können, erhoben, balancierend, absturzgefährdet, und als
würde man in den Tiefen eingeprägt gehen, eingefurcht, beklemmend eng, aber
irgendwie auch merkwürdig umgeben, eingerahmt.
Spielball
„Weder Hohes noch Tiefes“ kann uns
von der Liebe Gottes scheiden. Das haben wir vorhin zusammen Paulus
nachgesprochen, gebetet. Seine Gedanken sind Gedanken, sind Worte wie im
Labyrinth. Gehen im Kreis, gehen hin und her, fragen, suchen, tasten um die
Ecke, ins Dunkle, ins Vage: Was kann uns trennen von der Liebe Gottes? Was kann
passieren? Was könnte? Was könnte zwischen ihm und uns treten? Gibt es etwas,
was uns von ihm scheidet? Reißt der Lebensfaden? Verliere ich mich?
Wie ein Spielball das Fragen, das
Leben, man selbst wie ins Labyrinth geworfen, nicht mehr Herr der eigenen Lage,
der eigenen Kräfte, Geschichte, ausgesetzt, hin- und hergeworfen, Widersacher, Widerwärtiges,
Verlorenheit vor Augen, im Gefühl. In Tiefen und in Höhen ausgesetzt etwas
Größerem, etwas Mächtigem, etwas Mächtigeren als wir; wir nicht mehr, nie nur
unser selbst, sondern immer auch geworfene, gemachte, gelebte Menschen.
Am Ende der Gedanken von Paulus,
kreisend, im Labyrinth, steht, kommt zu stehen, erscheint: Gott ist für mich.
Er hat mich auserwählt, sich für mich und mein Leben entschieden. Er hat mich
mit Leben, mit Geist, mit Seele und Menschen beschenkt. Er tritt für mich ein.
Er hält uns. Nichts, gar nichts, nichts auf dem Weg im Labyrinth, auf Höhen und
Tiefenwegen, durch Hohes und Tiefes hindurch, Nichts kann uns scheiden,
trennen, wegbringen von Gott und seiner Liebe zu uns. Nichts. Überhaupt nichts.
Wir werden gehalten. Alles hat einen Grund, einen Tiefen-, ja Höhengrund, eine
Durchfärbung. Wie das kleine Gesangbuch, das wir in Händen halten.
Getragen
Mit ihm halten wir 444 Lieder in den
Händen, dazu Psalmen, biblische Texte, unzählige Worte, Worte von Leben, Gott,
Glaube, Hoffnung, Leiden, von Verwandlung, Lob, Liebe und Tod. Abertausende
Worte mit abertausenden Noten versehen, unzählige Noten, Töne, Erfahrungen,
Durchlebtes, Melodien, Lebengestimmtes – haben wir in Händen zum Singen bereit.
Mit jedem Ton, den wir singen, jeder
Notenlinie, jeder Melodie - und sei es noch so zaghaft, ungeübt, leise -
bleiben wir nicht stumm, nicht still, nicht bei uns. Wir singen etwas heraus
aus den gedruckten Buchseiten, aus dem Leben, das sich darin niedergeschrieben hat,
aus uns selbst. Wir singen unser Lied, in ihm klingt unser Leben, wir singen
aus der tiefen Quelle und Leben aus dir, Gott. Unsere Gedanken, Worte werden
laut, gewinnen Raum, erklingen, haben Resonanz, in diesem Gebäude, schallen ab,
in unseren Ohren gegenseitig, in unseren Herzen zurück.
Das, was wir singen, tritt uns wie
gegenüber, nicht wirklich sichtbar, aber hörbar, vernehmbar, all diese tonhaften
Worte, all diese klingenden Sätze, all das besungene Leben. Wir singen es
gemeinsam, zu gleichen Zeitpunkt die gleichen Worte in fast gleichen Töne, wir
singen miteinander, füreinander, zueinander. Wir sprechen uns nicht nur all das
zu, lesen es uns nicht nur vor, sondern wir stellen es uns gesungen wie
gegenseitig gegenüber und singen es uns zu, als das, was ich dir sagen, geben,
schenken möchte, aus Herzens Grund, eingeladen, geborgen in Gottes Angesicht.
Hohes und Tiefes geteilt, Leben eben,
erlebt, erfahren, erlitten, durchstanden. Hohe und tiefe Töne, aneinander
gereiht, zur einer Melodie, die wir auf dem Weg durchs Labyrinth singen, mal
leiser, mal mutiger, mal gefasster, mal fast verloren, mal kräftig, mal auf
Stimmenhilfe angewiesen, eine Melodie, die uns singt, in der Gott uns lichtfroh
geborgen fest in seinen Händen hält, Gott uns alle gemeinsam durch Hohes und
Tiefes hindurch trägt. Amen.
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