Predigt zur Arbeit „Drops . 4,567 Milliarden Jahre“ von Jochen Kitzbihler
Wort aus dem Anfang
Es ist egal, wie Sie das Bild in
Ihren Händen drehen. Es zeigt immer den fein geschliffenen Querschnitt eines
kleinen Steinmeteoriten, eines sogenannten Chondriten, der mikroskopisch von
einem Künstler aufgenommen und dann zu einem Bild vergrößert wurde. Dieses
Kunstwerk, das auch noch mehrere Bilder solcher Steinmeteoriten zeigt, hängt im
Haus der evangelischen Kirche in der Habsburgerstraße, dort im Andachtsraum als
lichtdurchflutete Installation.
Der Chondrit, dessen Abbdilung Sie in
den Händen halten, ist bei seiner Entstehung ein gasförmiger, energiereicher
Tropfen gewesen. In einem gewaltigen Temperaturwechsel ist er schockartig zu
Materie geworden. Das war vor ca. 4, 567 Milliarden Jahren, als unser
Sonnensystem entstand. Damals gab es die Erde noch nicht, geschweige denn Leben
oder gar Menschen. Der Mensch entstand erst gut vor 2-3 Millionen Jahren, also
4, 565 Milliarden später als dieser Chondrit.
Ist dieser Chondrit so etwas wie ein
Urwerk Gottes? Etwas ganz vom Anfang? Von Gott uranfänglich geschaffen und
gewollt? Steine, Meteoriten, Planten, Sonnensysteme, beginnendes Leben,
Pflanzen, Bäume, die ersten kriechende Tiere, Lebenwesen, all dies antwortet
auf Gott in seinen Sprachen, viele von ihnen sind uns eher stumm und
unverständlich, aber sie sind geschaffen, um Gott gegenüber ihm Antwort und
Ehre zu geben. Je auf ihre Weise.
Der Mensch gibt Gott seine Antwort. Als
Geschöpf ist er von Gott als Gegenüber gewollt und Gott wartet auf Antwort auf
seine Schöpfertat und seine Leibe. Er wartet geduldig, beharrlich, liebevoll.
Unser Leben ist Antwort auf Gottes Frage nach mir und dir - und ihm. Menschen
sind nicht vom Himmel gefallen, sie sind entstanden aus dem Leben vor ihnen, es
ist eine Kette von Antworten, die letztlich beim Menschen, bei uns jetzt
angekommen ist; es gehört zur gnadevoll zugesprochenen Freiheit, dass wir
geworden sind aus dem, was vor uns war, dass wir auf Antwortversuche vor uns
fußen – und vielleicht ganz andere Antworten auch nach uns noch kommen.
Der Chondrit ist auf seine Weise Antwort
auf Gottes Schöpferliebe, wir sind es auf unsere Weise. Die Anwtort des
Chondriten und unsere werden beide von Gott gehört. Uns ist die des Chondriten
sichtbar gemacht:
Querschnitt
Wir sehen seine Antwort im
Querschnitt. Der Künstler hat mikroskopisch den Chondriten genommen und ihn
durchgeschnitten, so sehen wir ihn als Bild im Querschnitt. Viele Dinge werden
uns im Querschnitt dargestellt, die Biologie- und Chemiebücher sind voll davon,
ob Zellen, Atome oder Zähne. Häuser werden von Architekten im Querschnitt
gezeichnet und an Bäumen sehen wir im Querschnitt die Jahresringe.
Selbst Menschen werden im Queschnitt
gezeigt, wenn sie im Tomographen liegen und untersucht werden.
Wir betrachten unser Leben an Punkten,
an Phasen, oft leben wir es, ohne es zu betrachten, auf seinen Lauf und Kern
hin es zu beschauen. Menschen schreiben Tagebücher und Lebensgeschichten auf
und oft wird Leben in seiner Chronologie der Tage und Ereignisse gesehen, als Abfolge
vom ersten Geburtsschrei bis zum letzten Atemzug; fast wie im Längsschnitt mit
offenen Fragen: Was kommt raus? Wo war der rote Faden? Wer waren wir?
Würden wir unser Leben im Querschnitt
betrachten, so mittendurch seziert und aufgeklappt, was bekämen wir da zu
Gesicht? Alles und jeden? Einen Kern? Die Wachstumsringe? Unsere Beziehungsfelder?
Durchschnitt und mehr?
Der Chondrit in Ihren Händen hat
verschiedene Farben, es gibt dunkle Stellen, schwarz, Löcher. Da ist weiß,
Helligkeit und Licht; da ist blau, fast himmlisch und rot, hellgrün auch. Wie
in unserem Leben mit seinen dunklen Momenten, den Lebenslöchern, in die wir
fallen; die hellen Augenblicke, Phasen voller Glück und Gemischtes von Himmel,
Erde, Blut, Tränen und Hoffnung. Manche Stellen sind unkenntlich. Alles ist da.
Die Konturen sind unklar, offen nach
außen, ein bißchen durchlässig, die Form ist eher rund als eckig; nach innen
fast wie eine Zwiebel, aber ein Kern: Das bin ich, gibt es nicht. Wir sind
alles. Ein wenig unsortiert, fast chaotisch, einzelen Streifen, wie Abschnitte,
die sich zusammenlegen, außen wie ein kleiner Streifenmantel zum Schutz?, innen
verschwimmend. Jeder Chondrit ist nicht wie dieser, aber jeder ist ganz
individuell, so wie unsere Antwort auf Gott im Querschnitt des Lebens.
Feinschliff Gottes
Wie mag Gott unser Leben betrachten?
Auch im Querschnitt? Was mag er da sehen? Was sieht er und was möchte er sehen?
Gottes Blick ist der eines Schöpfers, der sein Geschöpf aus Liebe geschaffen
hat und in Liebe ansieht, ein Geschöpf, das sein Leben, seine Farben, seine
Strukturen und Konturen, sein Chaos und seine Angesicht von Gott hat. Ein
Geschöpf, das von Gott bleibend gewollt, geliebt, gehalten wird, und das antwortet,
in einer Sprache wie die des Chondriten.
Der Künstler Jochen Kitzbihler hat
die Sprache des Chondriten empfunden und herausgearbeitet. Er hat den kleinen
Stein ganz groß gesehen. Wie wunderbar. Das sollten wir bein klein gemachten
Menschen öfter tun. Er hat den kleinen Stein seinen Querschnuitt gegeben und
ihn fein geschliffen, richtig schön gmacht. Wie Gott, der Menschen schön macht,
schön schaut, sie fein schleift, zart, mit möglichst wenig Schmerz, bis
Menschen in einem Lichtglanz glänzen können.
Als sein Kunstwek fertig war und es
im Andachtsraum im Haus der evangelischen Kirche installiert wurde, wurde neben
die Installation eine ganz zarte, feine, fast durchsichtige Schrift angebracht,
ein Satz aus Psalm 19, den wir vorhin alle zusammen Gott antworteten:
„Die
Himmel rühmen den Lichtglanz Gottes. Das endlose Weltall verkündet seiner
Händewerk.“
Die ganze Schöpfung ist Antwort auf
Gottes uranfängliches und wiederholtes Liebeswort. Und so rühmen die Himmel
Gott und das endlose Weltall verkündet ihn. Die Welt wird ls Schöpfung sein
Händewerk und sein Lichtglanz. Sie ist eine Polyphonie aus ganz verschieden
gesprochenen, gestotterte, gemalten Antworten, samt den unglaublichen und
tragischen Missklängen, die ihm im göttlichen Ohr gällen. Aber eben auch
herrliche Antworten, wie dies des ganz kleinen und uralten Chondriten, wie
vieles um uns herum, gerade in der Sommerzeit, und wie unsere eigene Antwort
auf Gottes Schöpfertat. Wir selbst, ich und du im Querschnitt gesehen, sind ein
ganz bestimmter, lieb gehörter Ton im unendlichen langen und großen Rühmen von
Himmel und Erde. Wir selbst, du und ich, sind seiner lieben Hände Werk, sind zart
sein Lichtglanz. Amen.
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