Samstag, 18. August 2012

Vielmehr als Durchschnitt



Predigt zur Arbeit „Drops . 4,567 Milliarden Jahre“ von Jochen Kitzbihler

Wort aus dem Anfang
Es ist egal, wie Sie das Bild in Ihren Händen drehen. Es zeigt immer den fein geschliffenen Querschnitt eines kleinen Steinmeteoriten, eines sogenannten Chondriten, der mikroskopisch von einem Künstler aufgenommen und dann zu einem Bild vergrößert wurde. Dieses Kunstwerk, das auch noch mehrere Bilder solcher Steinmeteoriten zeigt, hängt im Haus der evangelischen Kirche in der Habsburgerstraße, dort im Andachtsraum als lichtdurchflutete Installation.
Der Chondrit, dessen Abbdilung Sie in den Händen halten, ist bei seiner Entstehung ein gasförmiger, energiereicher Tropfen gewesen. In einem gewaltigen Temperaturwechsel ist er schockartig zu Materie geworden. Das war vor ca. 4, 567 Milliarden Jahren, als unser Sonnensystem entstand. Damals gab es die Erde noch nicht, geschweige denn Leben oder gar Menschen. Der Mensch entstand erst gut vor 2-3 Millionen Jahren, also 4, 565 Milliarden später als dieser Chondrit.
Ist dieser Chondrit so etwas wie ein Urwerk Gottes? Etwas ganz vom Anfang? Von Gott uranfänglich geschaffen und gewollt? Steine, Meteoriten, Planten, Sonnensysteme, beginnendes Leben, Pflanzen, Bäume, die ersten kriechende Tiere, Lebenwesen, all dies antwortet auf Gott in seinen Sprachen, viele von ihnen sind uns eher stumm und unverständlich, aber sie sind geschaffen, um Gott gegenüber ihm Antwort und Ehre zu geben. Je auf ihre Weise.
Der Mensch gibt Gott seine Antwort. Als Geschöpf ist er von Gott als Gegenüber gewollt und Gott wartet auf Antwort auf seine Schöpfertat und seine Leibe. Er wartet geduldig, beharrlich, liebevoll. Unser Leben ist Antwort auf Gottes Frage nach mir und dir - und ihm. Menschen sind nicht vom Himmel gefallen, sie sind entstanden aus dem Leben vor ihnen, es ist eine Kette von Antworten, die letztlich beim Menschen, bei uns jetzt angekommen ist; es gehört zur gnadevoll zugesprochenen Freiheit, dass wir geworden sind aus dem, was vor uns war, dass wir auf Antwortversuche vor uns fußen – und vielleicht ganz andere Antworten auch nach uns noch kommen.
Der Chondrit ist auf seine Weise Antwort auf Gottes Schöpferliebe, wir sind es auf unsere Weise. Die Anwtort des Chondriten und unsere werden beide von Gott gehört. Uns ist die des Chondriten sichtbar gemacht:

Querschnitt
Wir sehen seine Antwort im Querschnitt. Der Künstler hat mikroskopisch den Chondriten genommen und ihn durchgeschnitten, so sehen wir ihn als Bild im Querschnitt. Viele Dinge werden uns im Querschnitt dargestellt, die Biologie- und Chemiebücher sind voll davon, ob Zellen, Atome oder Zähne. Häuser werden von Architekten im Querschnitt gezeichnet und an Bäumen sehen wir im Querschnitt die Jahresringe.
Selbst Menschen werden im Queschnitt gezeigt, wenn sie im Tomographen liegen und untersucht werden.
Wir betrachten unser Leben an Punkten, an Phasen, oft leben wir es, ohne es zu betrachten, auf seinen Lauf und Kern hin es zu beschauen. Menschen schreiben Tagebücher und Lebensgeschichten auf und oft wird Leben in seiner Chronologie der Tage und Ereignisse gesehen, als Abfolge vom ersten Geburtsschrei bis zum letzten Atemzug; fast wie im Längsschnitt mit offenen Fragen: Was kommt raus? Wo war der rote Faden? Wer waren wir?
Würden wir unser Leben im Querschnitt betrachten, so mittendurch seziert und aufgeklappt, was bekämen wir da zu Gesicht? Alles und jeden? Einen Kern? Die Wachstumsringe? Unsere Beziehungsfelder? Durchschnitt und mehr?
Der Chondrit in Ihren Händen hat verschiedene Farben, es gibt dunkle Stellen, schwarz, Löcher. Da ist weiß, Helligkeit und Licht; da ist blau, fast himmlisch und rot, hellgrün auch. Wie in unserem Leben mit seinen dunklen Momenten, den Lebenslöchern, in die wir fallen; die hellen Augenblicke, Phasen voller Glück und Gemischtes von Himmel, Erde, Blut, Tränen und Hoffnung. Manche Stellen sind unkenntlich. Alles ist da.
Die Konturen sind unklar, offen nach außen, ein bißchen durchlässig, die Form ist eher rund als eckig; nach innen fast wie eine Zwiebel, aber ein Kern: Das bin ich, gibt es nicht. Wir sind alles. Ein wenig unsortiert, fast chaotisch, einzelen Streifen, wie Abschnitte, die sich zusammenlegen, außen wie ein kleiner Streifenmantel zum Schutz?, innen verschwimmend. Jeder Chondrit ist nicht wie dieser, aber jeder ist ganz individuell, so wie unsere Antwort auf Gott im Querschnitt des Lebens.

Feinschliff Gottes
Wie mag Gott unser Leben betrachten? Auch im Querschnitt? Was mag er da sehen? Was sieht er und was möchte er sehen? Gottes Blick ist der eines Schöpfers, der sein Geschöpf aus Liebe geschaffen hat und in Liebe ansieht, ein Geschöpf, das sein Leben, seine Farben, seine Strukturen und Konturen, sein Chaos und seine Angesicht von Gott hat. Ein Geschöpf, das von Gott bleibend gewollt, geliebt, gehalten wird, und das antwortet, in einer Sprache wie die des Chondriten.
Der Künstler Jochen Kitzbihler hat die Sprache des Chondriten empfunden und herausgearbeitet. Er hat den kleinen Stein ganz groß gesehen. Wie wunderbar. Das sollten wir bein klein gemachten Menschen öfter tun. Er hat den kleinen Stein seinen Querschnuitt gegeben und ihn fein geschliffen, richtig schön gmacht. Wie Gott, der Menschen schön macht, schön schaut, sie fein schleift, zart, mit möglichst wenig Schmerz, bis Menschen in einem Lichtglanz glänzen können.
Als sein Kunstwek fertig war und es im Andachtsraum im Haus der evangelischen Kirche installiert wurde, wurde neben die Installation eine ganz zarte, feine, fast durchsichtige Schrift angebracht, ein Satz aus Psalm 19, den wir vorhin alle zusammen Gott antworteten:
Die Himmel rühmen den Lichtglanz Gottes. Das endlose Weltall verkündet seiner Händewerk.“
Die ganze Schöpfung ist Antwort auf Gottes uranfängliches und wiederholtes Liebeswort. Und so rühmen die Himmel Gott und das endlose Weltall verkündet ihn. Die Welt wird ls Schöpfung sein Händewerk und sein Lichtglanz. Sie ist eine Polyphonie aus ganz verschieden gesprochenen, gestotterte, gemalten Antworten, samt den unglaublichen und tragischen Missklängen, die ihm im göttlichen Ohr gällen. Aber eben auch herrliche Antworten, wie dies des ganz kleinen und uralten Chondriten, wie vieles um uns herum, gerade in der Sommerzeit, und wie unsere eigene Antwort auf Gottes Schöpfertat. Wir selbst, ich und du im Querschnitt gesehen, sind ein ganz bestimmter, lieb gehörter Ton im unendlichen langen und großen Rühmen von Himmel und Erde. Wir selbst, du und ich, sind seiner lieben Hände Werk, sind zart sein Lichtglanz. Amen.

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