Träumen
Von was träumen wir? Nicht in den Nachtträumen.
In den Tagträumen. Wenn wir in uns etwas ausmalen, vorstellen, wünschen, etwas was
werden soll. Erreichbares und Unerreichbares. Bilder, Gedanken, Wünsche, die
uns entheben vom Alltag, beflügeln, vertrösten, täuschen. Was wir uns
erträumen, hängt von dem ab, wie unsere Wirklichkeit aussieht, ob sie uns
bedrückt, ob sie grau ist, ob sie etwas übrig hat, von dem wir träumen, was
anders, besser, schöner werden soll.
Träumen wir überhaupt noch? Oder
haben wir uns das schon lange verboten? Hat die Realität uns das Träumen
ausgetrieben oder ist alles, so wie es sein soll? Haben wir schon alles
ausgeträumt? Wir kennen, haben Alpträume, dunkle Bilder, wie schrecklich es
sein kann und auch manchmal ist. Haben wir dagegen auch und vielleicht mehr,
stärkere Träume, wie es wieder gut wird? Träume sind keine Visionen,
Leitbilder, die man mit Zielsetzungen und guten Methoden erreichen könnte.
Träume bewegen sich fast spielerisch, sehnsüchtig in Balance, auf dem Grat zwischen
unerreichbar und doch machbar, zwischen unwirklich und doch möglich.
Träumen wir gemeinsame Träume?
Träume, die nicht nur ich habe oder du, sondern wir beide, wir gemeinsam, die
wir teilen, wie etwas, nach dem es sich gemeinsam streben, auf das sich
gemeinsam hoffen lässt. Träume, die die Menschheit träumt? Irgendwo tief
verankert in unserer gemeinsamen Geschichte und in einer gemeinsamen Zukunft.
Träume davon, wie unser Leben gemeinsam aussehen soll, könnte, wie es für uns,
für uns alle besser wäre. Ist da schon alles eingelöst?
I still have a dream
Martin Luther King hatte so einen
Traum. Vor fast genau 50 Jahren, am 4. April 1968 wurde er in Memphis Opfer
eines Attentats und ist gestorben. Aber sein Traum ist nicht gestorben. Er hat
für uns alle einen gemeinsamen Traum in bis heute nachhallende Worte gefasst.
Er hatte einen Traum von einer Oase der Gerechtigkeit, von einem Tisch der
Brüderlichkeit, von einem neuen Exodus in die Freiheit hinein.
Sein Traum war ein gemeinsamer Traum. Auch wenn er immer wieder Ich sagte, träumte er für
alle, mit allen, träumte er alle, Schwarze und Weiße, Arme und Reiche,
Schwestern und Brüder. Sein Traum war ein
alter, ewiger, wahrer Traum. Einer, der Wurzeln hatte, die hinunter reichen
in das tiefe Bewusstsein der Menschen, der uneingelöst war, der versprochen war,
der jetzt geträumt wird, der jetzt sich beginnt zu erfüllen, dessen Tag
gekommen ist, der die Zukunft in Bilder so herbeiholt, dass sie beginnen zu
werden, einer, der kleine und klein gemachte Menschen in seiner Größe
hineinnimmt und sie so zu seinem Teil, zu seiner Bewegung macht.
Sein Traum war ein kämpferischer Traum. Einer, der aber mit den Waffen des Geistes, der
Wort, der Hoffnung und des Glaubens kämpfte, der nie gewaltsam gegen andere kämpfte,
der Leiden ertrug und darin erlösende Kraft sah, der unzufrieden war, aber nie
aufgab, der beharrlich war und nie verzweifelte, der die Kraft gab,
aufzustehen, zu singen, erschallen zu lassen überall, von was er träumte. Sein Traum war ein ganz alltäglicher Traum.
Einer, der Menschen von ihm faszinierte, der in Menschen selbst diesen Traum
erwachen ließ und sie dorthin diesen Traum sagen, leben ließ, wo sie waren,
lebten. Ein Traum, der nicht fern der Wirklichkeit war, sondern der für die
Wirklichkeit war, in ihr seine Wurzeln hatte und Menschen ihn dort weiter träumen
ließ, wo sie lebten, wo der Traum ihre Wirklichkeit zu einer andere werden
ließ.
Gott träumt
Christen träumen Gottes Traum.
Nirgendwo wird in der Bibel gesagt, dass Gott träumt. Nirgends. Und doch ist
dieses Buch, sind diese Worte ein einziger Traum Gottes, seine Vorstellung,
sein Wunsch, sein Wollen, sein Hoffen, seine Vision, seine Bestimmung von der
Welt, von Menschen, von mir und von dir, von uns.
Martin Luther King hat einen
göttlichen Traum geträumt. Denn Gottes
Traum ist ein gemeinsamer Traum, ist ein alter, ewiger, wahrer Traum, ist ein
kämpferischer, ist ein alltäglicher Traum. Denn Gott ist ein liebender
Gott, der uns alle schon immer und immer wieder ewig liebt, der uns
leidenschaftlich, kämpferisch liebt, der uns als seine alltägliche Menschen liebt,
so wie wir sind.
Gott hat seinem Traum ein Gesicht
seiner Liebe gegeben. Sein Traum gewinnt Gestalt in Jesus Christus. Er ist das
Ebenbild Gottes, in das Menschen hineinverwandelt werden sollen, so dass sie zu
Gottes Ebenbild werden. Menschen sind unterschiedlich, immer. Sie werden nicht
gleich geboren, die einen werden in den Slums geboren, die anderen im
Nobelviertel, die einen sind homosexuell, die anderen heterosexuell, die einen sind
intelligent, die anderen mit großen Herz, die einen haben schwarze Haut, die
anderen weiße. Menschen haben Unterschiede, von Anfang an und noch mehr im
Leben, das unterschiedlicher manchmal nicht sein könnte, und manchmal reiben Menschen
sich an ihrer Unterschiedlichkeit bis zur Unerträglichkeit, benachteiligen und
bevorzugen einander, beherrschen einander und lassen Unterschiede herrschen.
Gottes Traum ist es aber, dass
Menschen einander immer zuerst als seine Ebenbilder anschauen, wahrnehmen,
erkennen, achten; immer wieder, auch wenn´s an die Schmerzgrenze geht. Sein
Traum ist es, dass Menschen im anderen Christus, sein Bild, suchen, sehen,
entdecken, auch wenn es dazu immer einen zweiten, dritten, beharrlichen, zu
recht liebenden Blick braucht.
In diesem Blicken würden die
Unterschiede nur eine zweite Rolle spielen, sie würden nicht den Ausschlag
geben. Denn: Gottes Licht fiele auf alle, alle würden zuerst als seine
geliebten Geschöpfe einander erscheinen, Geschöpfe, denen Leben und Zukunft
gehört, deren Würde in Gott gründet. Alle würden gleich gesehen werden, alle
würden einen gemeinsamen An-Blick teilen und Brüder und Schwestern sein, alle würden
frei werden, frei so zu leben wie geliebte Menschen, wie Christus vor Gott.
Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen