Samstag, 1. Juli 2017

Auf den Schultern



Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis (2. Juli 2017)

Lukas, 1-7
1 Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. 3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? 5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. 6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Dem Leben verloren gehen
Verlieren können Menschen Dinge und sie wiederfinden, sie können sie verlegen, kurz suchen und wieder in Händen halten. Manchmal verlieren Menschen ein wertvolles Ding, suchen lange und sind glücklich, es wieder gefunden zu haben. Menschen verlieren wirklich Dinge, finden sie nicht wieder, wie verschwunden, weg für immer. Manchmal verlieren Menschen Dinge  für immer, die ihnen ganz wertvoll waren, die zu ihnen gehören, zu denen sie wie eine Beziehung hatten. Dann tut verlieren weh.
Verlieren können Menschen manchmal die Hoffnung, für einen Augenblick und gewinnen sie wieder. Sie können auch die Geduld verlieren und werden unruhig, fahrig und mitunter wütend. Menschen verlieren aus Versehen, unachtsam sind sie; sie verlieren mutwillig, viel zu unvorsichtig, sie verlieren absichtlich, warum auch immer; sie verlieren tragisch, gegen ihren Willen und Plan. Manchmal verlieren Menschen den Sinn, die Kraft, schleichend; manchmal die Liebe, und weinen Tränen; immer verlieren Menschen andere Menschen, stehen an Gräbern, spüren den Kloß des Abschieds im Hals, trauern, verzweifeln, müssen ohne geliebten Menschen weiterleben.
Manchmal und gar nicht so selten geht Menschen das Leben verloren, das eigene, mitten während sie leben, geht ihnen, geht in ihnen das Leben wie verloren, der Zugang dazu, die Kraft daraus, der Wille dafür; fühlen sie sich wie abgeschnitten vom Leben, schneiden sich selbst manchmal ab vom Leben, gehen irgendwie zugrunde, kommen im lebendigen Leibe um, verlassen das Leben, das Leben sie, auf eigentümliche Weise, verlassen sie auch die Quelle des Lebens, Gott, wenden sich ab von ihm, heißen sie Sünder. Und Gott fühlt sich verlassen, und Gott verliert, verliert einen seiner Menschen, den er zum Leben bestimmt hat, zur Gemeinschaft mit ihm, er verliert ihn und fühlt jenen Schmerz des Verlustes, wenn Liebgewonnenes verloren geht, verloren ist, jene Trauer, jene Verzweiflung, jenes: „Wo bist du“ von Liebenden.

Göttlich vermissen
Und Gott geht ihnen nach, sucht sie, bricht immer wieder auf am Morgen dieser Menschen und am Abend. Gott sucht sein Leben lang diese Menschen, in allen ihren Ecken und Ende, an entlegenen winkeln, dort, wo sie sind, Gott sucht sie selbst, ihre Seele wieder, seine Liebe wieder. Er sucht und wartet, Gott wartet wie jemand, der nicht mehr suchen kann, der bitter akzeptieren muss, das der andere geht, seinen Weg geht, sich verliert, der den anderen verliert, ihn tot fühlt und nur noch warten kann. Gott wartet mit einem göttlichen Gedanken in sich:
Mir fehlt dieser Mensch. Ein unglaubliches göttliches Vermissen. Ein in sich suchender Gott, der den, den er verloren hat, nicht vergisst, nicht vergessen kann, den Gott in sich trägt als Sehnsucht, als offene und wunde Frage, als stete stille innerliche Suche nach dem unwiederbringlich Verlorenen, nach dem, den Gott über alle Maßen vermisst, nach dessen Wohin und Wiederendlichzurück Gott unablässig fragt.
Ein Mensch, der ursprünglich zu Gott gehört, den Gott in großer Liebe geschaffen hat, den er mit Liebe begabt hat, den er zur Gemeinschaft mit ihm bestimmt hat. Ein Mensch unter unzählig vielen anderen in Raum und Zeit, ein Mensch aber für Gott, immer einer, der bestimmter Mensch; für Gott immer der Mensch, den er unendlich vermisst, der ihm schmerzlich fehlt als sein Gegenüber, als sein Teil. Ein Mensch, der ihm das wichtigste ist, nicht ein Teil, sondern immer das Teil von ihm, ohne das alles nichts ist, ein Lücke bliebe, ein dunkles Nicht-Da.

Endlich wieder umschließen
Gott findet diesen Menschen, im Warten, im Fragen, im unbändigen Vermissen. Gott umschließt ihn mit all seinem göttlichen Leben und Lieben. Endlich das Vermisste wiedergefunden. Endlich der Verlorene wieder da. Endlich das Leben wieder bei ihm. Endlich, zwei Liebenden gleich, endlich wieder vereint. Gott nimmt in die Hand, umarmt, trägt auf seine göttliche Schulter, auf der die Welt, die Last, das Kreuz, die größten Hoffnungen liegen.
Es muss, es kann nicht anders sein, in Gott eine unendliche, alle übersteigende, himmlische Freude sein, über diesen Menschen, den er vermisst hat und der wieder bei ihm ist, über jeden der verloren geht und der wieder das Leben findet, über jeden Sünder, der vom Weg umkehrt und sich angstvoll, aber doch endlich in Gottes liebende Arme wirft. Ein Freude muss da sein, unüberhörbar und unheimlich still, ein Lobgesang des Kosmos und der Herzen, ein Beben und Klingen; ein tief empfundene glücklich machende frohe Freude in Gott, in dem, der wieder da ist, der verloren war und wieder gefunden ist.
Eine Freude, wie sie Liebende kennen, wie sie Liebende leben, für die ein Leben ohne den anderen undenkbar ist, für die der andere immer alles ist, in denen, in deren Augen eine still-laute Freude am anderen um seiner selbst willen ist, ein Freude, dass man einander hat, einander das Leben teil. So eine Freude, nur noch mehr, hat Gott, wenn seine liebende Sehnsucht nach dem Menschen, der verloren geht, uns endlich findet. Amen.

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