Donnerstag, 13. April 2017

Bedeutungslos



Predigt an Karfreitag 2017 (14.4.2017)

Worte Sterbender
Menschen leben niemals ohne Worte. Immer sind welche da. Auch heute. Auch jetzt. Menschen leben in Wort-Welten, ihren und der der anderen, sie teilen Worte wie täglich Brot und bewohnen ihre ganze eigenen Worte, deren Sprache nur sie kennen. Für vier Tage haben wir uns den Worten Jesu in seiner Passion eingewohnt, provisorisch, gehörten seine Worte von jenem bitteren Kelch, vom Schwert, das ihn sucht, vom Menschensohn, vom Reich, das kommen wird, zu unseren. Wir haben uns eingewohnt in letzte Worte, und haben selbst solche, werden solche haben, wenn wir sterben und ein letztes Mal sprechen.
Letzte Worte klingen nach großen Worten, nach berühmten, nach Vermächtnis, und doch sind letzte Worte vielleicht nur Spiegel des eigenen Lebens, oder ganz anders, vielleicht sterben wir stumm, und das zuletzt gesagte Wort war ein ganz und gar unbedachtes, beiläufiges, vielleicht gelingt uns ein letztes schönes Wort in Liebe, mit Blick auf die, die uns leiben, vielleicht sprechen dann auch nur noch unsere Körper, wie sie wundgelegen sich dem Tod langsam zubewegen, vielleicht sind letzte Worte elend und würdevoll genauso wie unser ganzes Leben.
Unter Qualen, am Ende seiner Kräfte, mit trockener Kehle, geschunden sprach Jesus seine letzten Worte. Das fleischgewordene Wort Gottes hängt am Kreuz und mit ihm hängen da merkwürdig all seine Worte, die er auf seiner weiten Wanderschaft wunderbar sprach, sie hänge da alle und verstummen immer mehr, und Jesus presst die letzten Worte aus sich heraus. Was alles hätte das Wort Gottes am Kreuz noch sagen können, wie mächtig, wie wortmächtig hätte es sein können, sich wortgewaltig wehren, kämpfen, trotzen können, noch einmal wunderbarste Worte aus sich schöpfen können und sie der Welt ein letztes Mal sagen.

Wie der Tod spricht
Wenn Menschen sterben, dann sterben auch die Worte mit ihnen. Zumindest die, die sie sprechen. Mit dem Tod verklingen auch die Stimme, der Atem, die Sprache und auch die Worte. Es bleiben nur noch die einst mal gesagten Worte, die Erinnerung an die gehörte Stimme, das Bild, mit dem sich Worte, Gesten und Sprache vermischten. Es bleiben dann nur noch die Worte über den Toten, wie er war, wie er fehlt, was er gesagt und was er bedeutet hat. Mit dem Tod bleibt manchmal ganz viel an Worten und manchmal kaum etwas, so wie Menschen waren, vielleicht noch am ehesten die einst geschriebenen Worte, die man las und immer wieder lesen kann, bis der Schmerz des Abschieds langsam nachlässt und eine stille Seelenruhe kommt.
Im allerletzten Moment des Lebens, wenn Atem und Stimme enden und sterben, spricht vielleicht nur der Tod, mit unsäglichen, unausweichlichen, wortlosen Worten. Vielleicht sagt er was, vielleicht bittet er zu sich, vielleicht ruft er auch, seine Stimme wird nie Freund, sie bleibt der Fremde, seine Stille ist ein merkwürdiges Reich, ein Reich des Nichts, ein Reich vielleicht der ewigen Wortlosigkeit.

Ich setzte den Fuß in die Luft
Kurz vor seinem Tod spricht Jesus seine letzten Worte. Drei Sätze sind es, aus drei Evangelien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46 und Markus 15,34). „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ (Lukas 23,46) „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30). Diese Worte haben keine Abfolge, als läge darin ein Erkenntnisgewinn, ein Fortschritt, Sie haben auch nicht einen Hauptsatz, als wären die anderen nur Nuancen. All das lässt der Tod nicht zu. Alle drei sind zusammen zu hören, wie in einem Atemzug des fleischgewordenen Wortes, wie eine dissonante gottmenschliche Komposition aus unheimlichen Worten. Worte die schwanken, die wie irr gehen zwischen Ich, Du und es; die tasten, schreien, suchen, die sich Gott hinschreien, hinwerfen, in ihm unbedingt bergen wollen, die alte Worte, Worte uralter Tradition nehmen, da selbst haltlos, wortlos und in diesen hergebrachten Worten auf Altes sich stützend sich selbst retten wollen, betende, klagende, hingebende, ungewisse, wahnwitzige letzte Worte.
Worte, die gegen allen Augenschein trotzig von Vollenden, vom Vollbringen stammeln, die am eigenen Leib spüren so bitter Vergänglichkeit spüren, Scheitern sehen und trotzdem von Erfüllung reden, von einem Auftrag, der hier und nur hier zum Ende zur verborgenen Vollendung kommt. Worte, die nicht abgesichert schon wissen, was kommt, die sich wie im freien Fall befinden, die ungewiss sich irgendwie los lassen, fallen lassen, ohne zu wissen, wo der freie Fall endet, wo das Leben im Tod hingeht, wer all die strebende Hoffnung aufbewahrt, wohin all die heilsam gesprochenen Worte kommen. Worte, die einsamer kaum sein könnten, Worte, die sich verlassen fühlen, die einsam klagen, alleine fragen, denen keine Antwort zu kommt, deren Schrei verhallt, als hörte keiner darauf, als wären niemals Worte vorher erklungen.

Worte sterben
Wie sterben Worte? Was haben Jesu letzte Worte mit unseren Worten zu tun? Was geschieht mit all unseren Worten, Wort-Welten am Kreuz, an dem Jesus sterbend hängt? Trägt er all unsere Worte mit ans Kreuz, erträgt er sie dort? Spricht er Worte, die wir auch sprechen, und wir sprechen Worte, die er auch sprach und teilen wir so Worte, verbinden sich seine und unsere in einer Gemeinschaft am Kreuz? Ist Jesus das für uns sterbende Wort? Müssen wir nicht mehr an den Worten sterben, für die er gestorben ist? Hat er in unserer Worte-Welt Worte zum Sterben gebracht?
Nochmal: Wie sterben Worte? Die, die uns quälen, die uns verletzt haben, mit denen wir andere verletzten, mit denen wir uns versündigen, mit denen die Sünde sich wortmächtig in unserem Leben Platz und Unheil verschafft? Wie sterben Worte? Worte sterben nicht, sie bleiben, mal gedacht, mal ausgesprochen, Worte sind Buchstaben in einer bestimmten Reihenfolge, so zusammengesetzt, dass sie einen Sinn, eine Bedeutung ergeben. Was sterben kann, könnte ist die Bedeutung von Worten, die Bedeutung, die sie für uns haben. Was passieren kann ist: dass Worte aufhören, Sinn zu haben, Sinn zu transportieren, auf uns zu wirken, wie ein alter böser Traum, aus dem wir nicht mehr entlassen werden. Worte sterben da, wo sie ihre Bedeutung für uns verlieren, so diese stirbt und wir von diesen Worten, von ihrer schweren, unheilvollen Wirkung frei werden.
Jesus ist das fleischgewordene Wort Gottes, das EINE Wort, in dem alle göttliche und für Menschen heilsame Fülle sich einwohnt. Mit seinem Tod am Kreuz stirbt das fleischgewordene Wort Gottes, stirbt jenes Wort der Fülle, sterben alle Worte, verlieren alle Worte angesichts des Todes des Gottessohnes ihre Bedeutung, wird alles bedeutungslos. Vielleicht, wahrscheinlich, hoffentlich auch genau die Worte aus unserer Welt, die uns quälen und ersticken, die der Sünde. Amen.

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