Predigt an Karfreitag 2017 (14.4.2017)
Worte Sterbender
Menschen leben niemals ohne Worte.
Immer sind welche da. Auch heute. Auch jetzt. Menschen leben in Wort-Welten,
ihren und der der anderen, sie teilen Worte wie täglich Brot und bewohnen ihre
ganze eigenen Worte, deren Sprache nur sie kennen. Für vier Tage haben wir uns
den Worten Jesu in seiner Passion eingewohnt, provisorisch, gehörten seine
Worte von jenem bitteren Kelch, vom Schwert, das ihn sucht, vom Menschensohn,
vom Reich, das kommen wird, zu unseren. Wir haben uns eingewohnt in letzte
Worte, und haben selbst solche, werden solche haben, wenn wir sterben und ein
letztes Mal sprechen.
Letzte Worte klingen nach großen
Worten, nach berühmten, nach Vermächtnis, und doch sind letzte Worte vielleicht
nur Spiegel des eigenen Lebens, oder ganz anders, vielleicht sterben wir stumm,
und das zuletzt gesagte Wort war ein ganz und gar unbedachtes, beiläufiges,
vielleicht gelingt uns ein letztes schönes Wort in Liebe, mit Blick auf die,
die uns leiben, vielleicht sprechen dann auch nur noch unsere Körper, wie sie
wundgelegen sich dem Tod langsam zubewegen, vielleicht sind letzte Worte elend
und würdevoll genauso wie unser ganzes Leben.
Unter Qualen, am Ende seiner Kräfte,
mit trockener Kehle, geschunden sprach Jesus seine letzten Worte. Das
fleischgewordene Wort Gottes hängt am Kreuz und mit ihm hängen da merkwürdig
all seine Worte, die er auf seiner weiten Wanderschaft wunderbar sprach, sie
hänge da alle und verstummen immer mehr, und Jesus presst die letzten Worte aus
sich heraus. Was alles hätte das Wort Gottes am Kreuz noch sagen können, wie
mächtig, wie wortmächtig hätte es sein können, sich wortgewaltig wehren,
kämpfen, trotzen können, noch einmal wunderbarste Worte aus sich schöpfen
können und sie der Welt ein letztes Mal sagen.
Wie der Tod spricht
Wenn Menschen sterben, dann sterben
auch die Worte mit ihnen. Zumindest die, die sie sprechen. Mit dem Tod
verklingen auch die Stimme, der Atem, die Sprache und auch die Worte. Es
bleiben nur noch die einst mal gesagten Worte, die Erinnerung an die gehörte
Stimme, das Bild, mit dem sich Worte, Gesten und Sprache vermischten. Es
bleiben dann nur noch die Worte über den Toten, wie er war, wie er fehlt, was
er gesagt und was er bedeutet hat. Mit dem Tod bleibt manchmal ganz viel an
Worten und manchmal kaum etwas, so wie Menschen waren, vielleicht noch am
ehesten die einst geschriebenen Worte, die man las und immer wieder lesen kann,
bis der Schmerz des Abschieds langsam nachlässt und eine stille Seelenruhe
kommt.
Im allerletzten Moment des Lebens,
wenn Atem und Stimme enden und sterben, spricht vielleicht nur der Tod, mit
unsäglichen, unausweichlichen, wortlosen Worten. Vielleicht sagt er was,
vielleicht bittet er zu sich, vielleicht ruft er auch, seine Stimme wird nie
Freund, sie bleibt der Fremde, seine Stille ist ein merkwürdiges Reich, ein Reich
des Nichts, ein Reich vielleicht der ewigen Wortlosigkeit.
Ich setzte den Fuß in die Luft
Kurz vor seinem Tod spricht Jesus
seine letzten Worte. Drei Sätze sind es, aus drei Evangelien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?“ (Matthäus 27,46 und Markus 15,34). „Vater, ich befehle meinen Geist
in deine Hände!“ (Lukas 23,46) „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30). Diese
Worte haben keine Abfolge, als läge darin ein Erkenntnisgewinn, ein Fortschritt,
Sie haben auch nicht einen Hauptsatz, als wären die anderen nur Nuancen. All
das lässt der Tod nicht zu. Alle drei sind zusammen zu hören, wie in einem
Atemzug des fleischgewordenen Wortes, wie eine dissonante gottmenschliche
Komposition aus unheimlichen Worten. Worte die schwanken, die wie irr gehen
zwischen Ich, Du und es; die tasten, schreien, suchen, die sich Gott hinschreien,
hinwerfen, in ihm unbedingt bergen wollen, die alte Worte, Worte uralter
Tradition nehmen, da selbst haltlos, wortlos und in diesen hergebrachten Worten
auf Altes sich stützend sich selbst retten wollen, betende, klagende,
hingebende, ungewisse, wahnwitzige letzte Worte.
Worte, die gegen allen Augenschein
trotzig von Vollenden, vom Vollbringen stammeln, die am eigenen Leib spüren so
bitter Vergänglichkeit spüren, Scheitern sehen und trotzdem von Erfüllung
reden, von einem Auftrag, der hier und nur hier zum Ende zur verborgenen Vollendung
kommt. Worte, die nicht abgesichert schon wissen, was kommt, die sich wie im
freien Fall befinden, die ungewiss sich irgendwie los lassen, fallen lassen,
ohne zu wissen, wo der freie Fall endet, wo das Leben im Tod hingeht, wer all
die strebende Hoffnung aufbewahrt, wohin all die heilsam gesprochenen Worte
kommen. Worte, die einsamer kaum sein könnten, Worte, die sich verlassen
fühlen, die einsam klagen, alleine fragen, denen keine Antwort zu kommt, deren
Schrei verhallt, als hörte keiner darauf, als wären niemals Worte vorher
erklungen.
Worte sterben
Wie sterben Worte? Was haben Jesu
letzte Worte mit unseren Worten zu tun? Was geschieht mit all unseren Worten,
Wort-Welten am Kreuz, an dem Jesus sterbend hängt? Trägt er all unsere Worte
mit ans Kreuz, erträgt er sie dort? Spricht er Worte, die wir auch sprechen,
und wir sprechen Worte, die er auch sprach und teilen wir so Worte, verbinden
sich seine und unsere in einer Gemeinschaft am Kreuz? Ist Jesus das für uns
sterbende Wort? Müssen wir nicht mehr an den Worten sterben, für die er
gestorben ist? Hat er in unserer Worte-Welt Worte zum Sterben gebracht?
Nochmal: Wie sterben Worte? Die, die
uns quälen, die uns verletzt haben, mit denen wir andere verletzten, mit denen
wir uns versündigen, mit denen die Sünde sich wortmächtig in unserem Leben
Platz und Unheil verschafft? Wie sterben Worte? Worte sterben nicht, sie
bleiben, mal gedacht, mal ausgesprochen, Worte sind Buchstaben in einer
bestimmten Reihenfolge, so zusammengesetzt, dass sie einen Sinn, eine Bedeutung
ergeben. Was sterben kann, könnte ist die Bedeutung von Worten, die Bedeutung,
die sie für uns haben. Was passieren kann ist: dass Worte aufhören, Sinn zu
haben, Sinn zu transportieren, auf uns zu wirken, wie ein alter böser Traum,
aus dem wir nicht mehr entlassen werden. Worte sterben da, wo sie ihre
Bedeutung für uns verlieren, so diese stirbt und wir von diesen Worten, von
ihrer schweren, unheilvollen Wirkung frei werden.
Jesus ist das fleischgewordene Wort
Gottes, das EINE Wort, in dem alle göttliche und für Menschen heilsame Fülle
sich einwohnt. Mit seinem Tod am Kreuz stirbt das fleischgewordene Wort Gottes,
stirbt jenes Wort der Fülle, sterben alle Worte, verlieren alle Worte
angesichts des Todes des Gottessohnes ihre Bedeutung, wird alles bedeutungslos.
Vielleicht, wahrscheinlich, hoffentlich auch genau die Worte aus unserer Welt,
die uns quälen und ersticken, die der Sünde. Amen.
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