Samstag, 11. März 2017

Schatzkammer



Predigt an Reminiscere (12. März 2017)

„Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.“ (Psalm 25, 6)

verwundet
An manches wollen sich Menschen nicht mehr erinnern, die Erinnerung täte weh, erneut weh und vieles käme wieder nahe, was besser ferner, weit weg wäre. An manches können sich Menschen nicht mehr erinnern; sie haben es vergessen. Es hat sich ihnen nicht eingeprägt, und manches menschliches Leben dämmert im Älterwerden einem tiefen Vergessen, auch seiner selbst, entgegen. Manchen wollen Menschen niemals vergessen, werden es auch nie, tief liegt es in ihnen, irgendwo zwischen Gefühlen und Gehirn, und es ist ihnen wichtig, heilsam, es immer wieder für sich herauszukramen und nahe bei sich zu haben.
In all dem, was Menschen erinnern, was sie vergessen, liegt ihr Leben, und so bitter und schön, so wunderbar und bestürzend, so klar und verdunkelt wie ihr Leben ist auch ihre Erinnerung. Erinnerung und mein eigenes Gedächtnis sind lebendiger Lagerraum, Schatzhaus, Schreckenskamme rund Irrgarten zugleich. Wir denken zurück und durchwandern unsere Zeiten, sehen innerlich Menschen, Begegnungen, Szenen, Lichter, Töne und Stimmen, unser Leben erzählt sich nochmal, nochmal und anders in Erinnerung, verstärkt, gemildert, verbittert, geläutert, schmerzlicher, verwundet. Wir denken zurück, durchlaufen die Zeiten, sammeln Gedanken an Früheres, was jetzt noch ist, halten fest, erkennen wertvoll, schließen Augen, suchen Vergessen.
All diese Gedanken sind wie unser Innerstes sind, da und lebendig, bevor sie Sprache und Sätze finden, bevor sie klar hervortreten und fassbarer werden. Menschen mit Gedankenwelten, wunderbarer und wundersame Gedankenwelten, die sich sehnen und wünschen, die ergründen und finden, die enttäuscht werden und nachts wachhalten. Gedanken, die verbinden, nach hinten und vorne, Vergangenes und Zukünftiges, irgendwie um uns herum Seiendes zu unserem.

Herr!
Gedenke, Herr. Was für eine Zumutung. Was für eine Nähe. Gott soll sich erinnern, er soll daran denken, er soll in sein Denken, in  sich zurück, in sich einholen, was da an Vergangenem ist. Eine Bitte, ein Wünschen, ein Flehen und Fordern, ein Gott anstoßen und drängen. Denke, Gott. Fast übergriffig, fast zu weit gehend, fast ungehörig intim:
Da ist unser Gedenken und wir sprechen Gott an, dass er gedenke. Da ist unsere Erinnerung und wir wünschen, dass er sich erinnere. Da sind unsere Gedanken und nun bitten, dass er gedenkt. Da ist unser Denken und wir fordern Gott auf, dass er denke. Wie nahe sind uns unsere Gedanken. Wie sehr sind sie manchmal das fast Ureigenste von uns, und wie gut überlegen wir, wem wir sie sagen, wem wir sie anvertrauen, wen wir hineinnehmen in unsere Gedanken, wem wir daran Anteil geben, haben lassen.
Und jetzt Gott nahe: Bitte denke Du, bitte erinnern dich, bitte, o Herr, gedenke.

Unvergesslicher Gott
Unvergleichlich. Gott gedenkt seiner Menschen. Er lässt sich bewegen, erinnern, in seine Gedanken hinein sprechen, von uns. Es kann im Grunde nur Liebe sein, warum er dies zulässt, warum er dies tut, warum er sich erinnern lässt. Gott gedenkt seiner Menschen, ihren Wegen, Bündnissen, ihrer Zeiten und ihrem Tun. Gott gedenkt, erinnert, denkt: seit Beginn, dass Gott denken, sich erinnern kann. Wie unheimlich groß und weit, gefüllt und schrecklich merkwürdig leer müssen seine Gedanken, seine Erinnerung sein, wie sich dort alles, wirklich alles quälend und erfreuen, müheselig und leicht, wunderbar und fade einfindet, gesammelt wird von ihm.
Sein Gedächtnis ist wahrlich auch Schatzhaus, Schreckenskammer, Irrgarten, nur noch viel größer, umspannender, ausgehalten von Gott, geborgen, umwoben hoffentlich von seiner Liebe.
Inmitten dieses Weltengedächtnis: Gott gedenkt seiner Menschen. Er achtet auf sie, wendet seinen Blick nicht von ihnen ab, er vergisst sie niemals und nicht. Gottes Gedenken kennt keine Zeit, alles ist ihm, den Ewigen, gleich gegenwärtig. Er kennt kein Erinnern, als wäre etwas vergangen für ihn. Alles und jeder ist ihm gegenwärtig, gleich da für ihn. Gott vergisst uns Menschen nicht, er lässt uns niemals herausfallen aus der Nähe zu ihm, er hält uns geborgen immer und stets, überall und unablässig in seiner Liebe.
Seine Güte und seine Barmherzigkeit sind von Ewigkeit her. Sie sind ewig, wie Gott der Ewige ist. Sie kennen kein vergehen, kein Werden, kein weniger werden. Sie sind Gottes bleibende Nähe, sein beständiger Wille, sein immer gleiche, nie endende Leidenschaft für seine Geschöpfe. Gott lässt sich an sie gern erinnern, er hat sie in seinem Denken immer wach, er lebt sie, ganz gleich, wo, wie und wann wir leben, ganz gleich, an was wir uns erinnern, worauf wir hoffen. Gott ist barmherzig und gütig zu uns. Er gedenkt meiner.

verziehen
Menschen erinnern, sie denken und ab und zu gedenken sie auch, sie gedenken dort, wo das, an was sie erinnern und denken, sie etwas ahnen lässt von der Größe und der Würde des Lebens. Auch der eigenen inmitten all der Gedankenwelten der Zeit. Zur Würde des Menschen gehört, dass Menschen Zeit haben, und ihre Seele sie braucht. In der Zeit geschieht Menschen ihr Leben und so müssen sie leben je mit ihrem leben, müssen sie versuchen, irgendwie mit all dem, was da ist und passiert, zurecht zu kommen.
Gott gedenkt der Menschen und Menschen sind solche, an die sich Gott erinnert, die Gott nicht vergisst. Menschen sind solche, die Gott barmherzig und gütig anschaut, derer er sich annimmt und an die er immer in Liebe denkt. Menschen sind solche, deren eigenes Erinnern und Denken im Gedenken Gottes ein anderes wird.
Der Irrgarten, das Schatzhaus, die Schreckenskammer, was unser Leben in Erinnerung, im Gedenken an uns selbst ist, das wird geliebt von Gott, dem wird Leben noch im Vergangenen geschenkt, dem wird von Gott geschenkt, sich zu erinnern, und trotzallem sich und den anderen zu verzeihen, zu vergeben, zu vergessen, selbst geheilt zu werden, dankbar zu werden, Gott zu loben.

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