Predigt an Reminiscere (12. März
2017)
„Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von
Ewigkeit her gewesen sind.“ (Psalm 25, 6)
verwundet
An manches wollen sich Menschen nicht
mehr erinnern, die Erinnerung täte weh, erneut weh und vieles käme wieder nahe,
was besser ferner, weit weg wäre. An manches können sich Menschen nicht mehr
erinnern; sie haben es vergessen. Es hat sich ihnen nicht eingeprägt, und
manches menschliches Leben dämmert im Älterwerden einem tiefen Vergessen, auch
seiner selbst, entgegen. Manchen wollen Menschen niemals vergessen, werden es
auch nie, tief liegt es in ihnen, irgendwo zwischen Gefühlen und Gehirn, und es
ist ihnen wichtig, heilsam, es immer wieder für sich herauszukramen und nahe
bei sich zu haben.
In all dem, was Menschen erinnern,
was sie vergessen, liegt ihr Leben, und so bitter und schön, so wunderbar und
bestürzend, so klar und verdunkelt wie ihr Leben ist auch ihre Erinnerung.
Erinnerung und mein eigenes Gedächtnis sind lebendiger Lagerraum, Schatzhaus,
Schreckenskamme rund Irrgarten zugleich. Wir denken zurück und durchwandern
unsere Zeiten, sehen innerlich Menschen, Begegnungen, Szenen, Lichter, Töne und
Stimmen, unser Leben erzählt sich nochmal, nochmal und anders in Erinnerung,
verstärkt, gemildert, verbittert, geläutert, schmerzlicher, verwundet. Wir
denken zurück, durchlaufen die Zeiten, sammeln Gedanken an Früheres, was jetzt
noch ist, halten fest, erkennen wertvoll, schließen Augen, suchen Vergessen.
All diese Gedanken sind wie unser Innerstes
sind, da und lebendig, bevor sie Sprache und Sätze finden, bevor sie klar
hervortreten und fassbarer werden. Menschen mit Gedankenwelten, wunderbarer und
wundersame Gedankenwelten, die sich sehnen und wünschen, die ergründen und
finden, die enttäuscht werden und nachts wachhalten. Gedanken, die verbinden,
nach hinten und vorne, Vergangenes und Zukünftiges, irgendwie um uns herum
Seiendes zu unserem.
Herr!
Gedenke, Herr. Was für eine Zumutung.
Was für eine Nähe. Gott soll sich erinnern, er soll daran denken, er soll in
sein Denken, in sich zurück, in sich
einholen, was da an Vergangenem ist. Eine Bitte, ein Wünschen, ein Flehen und
Fordern, ein Gott anstoßen und drängen. Denke, Gott. Fast übergriffig, fast zu
weit gehend, fast ungehörig intim:
Da ist unser Gedenken und wir
sprechen Gott an, dass er gedenke. Da ist unsere Erinnerung und wir wünschen,
dass er sich erinnere. Da sind unsere Gedanken und nun bitten, dass er gedenkt.
Da ist unser Denken und wir fordern Gott auf, dass er denke. Wie nahe sind uns
unsere Gedanken. Wie sehr sind sie manchmal das fast Ureigenste von uns, und
wie gut überlegen wir, wem wir sie sagen, wem wir sie anvertrauen, wen wir
hineinnehmen in unsere Gedanken, wem wir daran Anteil geben, haben lassen.
Und jetzt Gott nahe: Bitte denke Du,
bitte erinnern dich, bitte, o Herr, gedenke.
Unvergesslicher Gott
Unvergleichlich. Gott gedenkt seiner
Menschen. Er lässt sich bewegen, erinnern, in seine Gedanken hinein sprechen,
von uns. Es kann im Grunde nur Liebe sein, warum er dies zulässt, warum er dies
tut, warum er sich erinnern lässt. Gott gedenkt seiner Menschen, ihren Wegen,
Bündnissen, ihrer Zeiten und ihrem Tun. Gott gedenkt, erinnert, denkt: seit
Beginn, dass Gott denken, sich erinnern kann. Wie unheimlich groß und weit,
gefüllt und schrecklich merkwürdig leer müssen seine Gedanken, seine Erinnerung
sein, wie sich dort alles, wirklich alles quälend und erfreuen, müheselig und
leicht, wunderbar und fade einfindet, gesammelt wird von ihm.
Sein Gedächtnis ist wahrlich auch
Schatzhaus, Schreckenskammer, Irrgarten, nur noch viel größer, umspannender, ausgehalten
von Gott, geborgen, umwoben hoffentlich von seiner Liebe.
Inmitten dieses Weltengedächtnis:
Gott gedenkt seiner Menschen. Er achtet auf sie, wendet seinen Blick nicht von
ihnen ab, er vergisst sie niemals und nicht. Gottes Gedenken kennt keine Zeit,
alles ist ihm, den Ewigen, gleich gegenwärtig. Er kennt kein Erinnern, als wäre
etwas vergangen für ihn. Alles und jeder ist ihm gegenwärtig, gleich da für
ihn. Gott vergisst uns Menschen nicht, er lässt uns niemals herausfallen aus
der Nähe zu ihm, er hält uns geborgen immer und stets, überall und unablässig
in seiner Liebe.
Seine Güte und seine Barmherzigkeit
sind von Ewigkeit her. Sie sind ewig, wie Gott der Ewige ist. Sie kennen kein
vergehen, kein Werden, kein weniger werden. Sie sind Gottes bleibende Nähe,
sein beständiger Wille, sein immer gleiche, nie endende Leidenschaft für seine
Geschöpfe. Gott lässt sich an sie gern erinnern, er hat sie in seinem Denken
immer wach, er lebt sie, ganz gleich, wo, wie und wann wir leben, ganz gleich, an
was wir uns erinnern, worauf wir hoffen. Gott ist barmherzig und gütig zu uns.
Er gedenkt meiner.
verziehen
Menschen erinnern, sie denken und ab
und zu gedenken sie auch, sie gedenken dort, wo das, an was sie erinnern und
denken, sie etwas ahnen lässt von der Größe und der Würde des Lebens. Auch der
eigenen inmitten all der Gedankenwelten der Zeit. Zur Würde des Menschen gehört,
dass Menschen Zeit haben, und ihre Seele sie braucht. In der Zeit geschieht
Menschen ihr Leben und so müssen sie leben je mit ihrem leben, müssen sie
versuchen, irgendwie mit all dem, was da ist und passiert, zurecht zu kommen.
Gott gedenkt der Menschen und
Menschen sind solche, an die sich Gott erinnert, die Gott nicht vergisst.
Menschen sind solche, die Gott barmherzig und gütig anschaut, derer er sich
annimmt und an die er immer in Liebe denkt. Menschen sind solche, deren eigenes
Erinnern und Denken im Gedenken Gottes ein anderes wird.
Der Irrgarten, das Schatzhaus, die
Schreckenskammer, was unser Leben in Erinnerung, im Gedenken an uns selbst ist,
das wird geliebt von Gott, dem wird Leben noch im Vergangenen geschenkt, dem
wird von Gott geschenkt, sich zu erinnern, und trotzallem sich und den anderen zu
verzeihen, zu vergeben, zu vergessen, selbst geheilt zu werden, dankbar zu
werden, Gott zu loben.
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