Freitag, 11. November 2016

Geboren für die Ewigkeit



Predigt am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres (13.11.2016)

Römer 8, 18-23:
18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. 23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.



Wimmern
Es ist ein leises Wimmern. Kaum zu hören, manchmal wird es lauter und wird zum Schreien. Es ist im Grunde aber immer da, im Grunde nicht zu überhören. Es ist oft unterdrückt: Wie verdeckt unter dem Mantel der schon lange eingekehrten Normalität: Das Stöhnen, Ächzen, Keuchen, Klagen, Wimmern.
In dieses Wimmern der Schöpfung vermischt sich unser Wimmern, unser deutlich lauteres Klagen und Schreien; jenes Seufzen, das tief in uns ist, von Zeit zu Zeit herausbricht, und zu hören ist, bei dir und bei mir, bei uns. Im leisen Wimmern der ganzen Schöpfung ist auch unsere Stimme zu hören und wir klagen mit der Schöpfung und die Schöpfung klagt mit uns.
Es ist keine frei gewählte, keine freiwillige Klage. Als ob man auch anders könnte. Wir sind dem Seufzen unterworfen. Es herrscht über uns. Es herrscht über die Schöpfung. Es herrscht über alles. Es wie etwas im Leben, tief in uns drin, das nicht einfach wegzukriegen ist. Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, wimmern, klagen, schreien. Wir müssen, weil wir nicht anders können, weil wir wie dazu gezwungen sind. Es über uns kommt.
Seitdem und schon immer. Durch einen und durch alle. Gegenseitig und jeder für sich. Unterworfen der Vergänglichkeit, die uns seufzen, schreien, wimmern, leiden lässt. Alles ist vergänglich. Alles. Alles vergeht, stirbt ab, wird kleiner und weniger, wird faltig, porös, dement und läuft ab, verwest und geht kaputt, verändert sein steinernes, blühendes, menschliches Gesicht hin zum Tode, schneller oder langsamer, in 90 Jahren oder in Millionen Jahren. Alles ist vergänglich. Alles hat seine Zeit. Alles vergeht. Und Menschen leiden darunter. Menschen kämpfen dagegen an. Menschen wollen es nicht wahr, nicht wirklich, nicht haben. Menschen haben Angst davor.

Gott unaussprechlich in mir
Gott hält uns aber doch. Das Vergängliche, das Seufzen, das Klagen, das Absterben kann nicht Alles sein, nicht das Ganze, nicht die Hauptsache, nicht das Wesentliche. Gott wohnt unaussprechlich in mir. Gott wohnt doch uns inne. Sein Geist, sein Stück von ihm für mich. Ich und du sind doch sein Geschöpf immer, immer geliebt. Jesus ist doch das unverrückbare Zeichen seiner Liebe für das Vergängliche mitten im Vergänglichen. Er hat doch seinen Geist, seinen Raum in uns versprochen, geschenkt, in zerbrechliche Gefäße, zerbrechliche Menschen. Das von ihm, das mich doch noch aufstehen lässt, was mich doch noch rufen lässt, was mich doch suchen lässt, was mich doch nicht vergehen lässt, verzweifeln lässt, was mich doch antworten lässt.
Gott schreit in uns, wenn wir schreien unter der Last der Vergänglichkeit. Gott spricht in uns, wenn wir in Leiden die Sprache verloren haben. Gott seufzt in uns. Gott ist mitten im Vergehen, im Leben auf den Tod hin ein Stück Ewigkeit in uns. Hoffentlich …

Dem Seufzen wohnt ein Sehnen inne
Jedem Seufzen, jedem stillen Wimmern, selbst jedem Schrei der Schöpfung und unserer wohnt ein Sehnen inne, ein Harren, das fast trotzig ist, das letztlich, wenn wir uns auf es mit allerletzter Kraft verlassen müssen, unbändiges ist, da es nie nur unseres, sondern Gottes Harren in uns ist. Ein Warten. Etwas, was uns doch auf Hoffnung leben lässt, trotz allem.
Eines, was uns spüren lässt: Leiden, Vergehen, selbst Hass, Feindschaft, Vergeblichkeit, Zerstörung, all das, was Vergänglichkeit mit sich bringt, all das, was dunkle Vorboten des Todes sind, sind Geburtswehen, unermesslich, und vielleicht auch sinnlos erscheinende Geburtswehen. Wehen, die sagen: Es wird etwas werden!!! Es wird Leben werden. Wehen, denen Menschen unterworfen sind, Wehen, unter deren Qualen wir selbst wie geboren werden, zu etwas hin, was wir eigentlich und schon immer von Gott aus sein und leben sollen: Seine geliebten Kinder.
Zum Jubeln geboren
Geboren, nicht um der Vergänglichkeit willen. Der sind wir gewaltsam unterworfen. Geboren, nicht um der Falten, der Demenz, der Brüchigkeit willen. Diese geschehen. Geboren, nicht um zu sterben. Sterben werden wir. Geboren für etwas anderes, für jemanden anderes.
Wir sind zu anderem bestimmt. Etwas anderes zu sein und zu leben. Wie sehr und wie tragisch diese Bestimmung auch verdunkelt ist und sein kann und so fern oder als etwas furchtbar ganz Anderes auch sie erscheint. Sie wird aber niemals hinfällig sein. Solange es Gott gibt. Für uns gibt. Sie ist die von Gott aus uns zugedachte. Nein, nicht nur zugedachte, sondern die, die er mit uns verwirklichen wird. Sicher.
Geboren sind wir, damit seine Herrlichkeit an uns sichtbar wird. Damit wir erlöst werden und freie Menschen sind. Geborgen in Gott und von ihm unendlich geliebt. Geboren letztendlich, um zu jubeln still ins uns, manchmal laut aus uns heraus, damit das Wimmern der Schöpfung übertönt, überliebt wird, endlich ein Ende hat.



Geboren, um herrlich, tief und frei zu jubeln, ein Jubel, der für all die, die die Schöpfung und andere Menschen der Vergänglichkeit und dem Leiden unterwerfen, schrecklich in den Ohren klingt. Ein Jubel, der ein Aufschrei ist gegen alles Leiden jeglicher Kreatur, ein Jubel, der voller Liebe und Erlösung ist, der Gott still immer dankt. Amen.

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