Predigt am vorletzten Sonntag des
Kirchenjahres (13.11.2016)
Römer 8, 18-23:
18
Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen
gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche
Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20
Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen,
sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; 21 denn auch
die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der
herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze
Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. 23 Nicht
allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe
haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung
unseres Leibes.
Wimmern
Es ist ein leises Wimmern. Kaum zu hören, manchmal wird es
lauter und wird zum Schreien. Es ist im Grunde aber immer da, im Grunde nicht
zu überhören. Es ist oft unterdrückt: Wie verdeckt unter dem Mantel der schon
lange eingekehrten Normalität: Das Stöhnen, Ächzen, Keuchen, Klagen, Wimmern.
In dieses Wimmern der Schöpfung vermischt sich unser Wimmern,
unser deutlich lauteres Klagen und Schreien; jenes Seufzen, das tief in uns
ist, von Zeit zu Zeit herausbricht, und zu hören ist, bei dir und bei mir, bei
uns. Im leisen Wimmern der ganzen Schöpfung ist auch unsere Stimme zu hören und
wir klagen mit der Schöpfung und die Schöpfung klagt mit uns.
Es ist keine frei gewählte, keine freiwillige Klage. Als ob
man auch anders könnte. Wir sind dem Seufzen unterworfen. Es herrscht über uns.
Es herrscht über die Schöpfung. Es herrscht über alles. Es wie etwas im Leben,
tief in uns drin, das nicht einfach wegzukriegen ist. Wir müssen, ob wir wollen
oder nicht, wimmern, klagen, schreien. Wir müssen, weil wir nicht anders
können, weil wir wie dazu gezwungen sind. Es über uns kommt.
Seitdem und schon immer. Durch einen und durch alle.
Gegenseitig und jeder für sich. Unterworfen der Vergänglichkeit, die uns
seufzen, schreien, wimmern, leiden lässt. Alles ist vergänglich. Alles. Alles
vergeht, stirbt ab, wird kleiner und weniger, wird faltig, porös, dement und
läuft ab, verwest und geht kaputt, verändert sein steinernes, blühendes,
menschliches Gesicht hin zum Tode, schneller oder langsamer, in 90 Jahren oder
in Millionen Jahren. Alles ist vergänglich. Alles hat seine Zeit. Alles
vergeht. Und Menschen leiden darunter. Menschen kämpfen dagegen an. Menschen
wollen es nicht wahr, nicht wirklich, nicht haben. Menschen haben Angst davor.
Gott unaussprechlich in
mir
Gott hält uns aber doch. Das Vergängliche, das Seufzen, das
Klagen, das Absterben kann nicht Alles sein, nicht das Ganze, nicht die
Hauptsache, nicht das Wesentliche. Gott wohnt unaussprechlich in mir. Gott
wohnt doch uns inne. Sein Geist, sein Stück von ihm für mich. Ich und du sind
doch sein Geschöpf immer, immer geliebt. Jesus ist doch das unverrückbare Zeichen
seiner Liebe für das Vergängliche mitten im Vergänglichen. Er hat doch seinen
Geist, seinen Raum in uns versprochen, geschenkt, in zerbrechliche Gefäße,
zerbrechliche Menschen. Das von ihm, das mich doch noch aufstehen lässt, was
mich doch noch rufen lässt, was mich doch suchen lässt, was mich doch nicht
vergehen lässt, verzweifeln lässt, was mich doch antworten lässt.
Gott schreit in uns, wenn wir schreien unter der Last der
Vergänglichkeit. Gott spricht in uns, wenn wir in Leiden die Sprache verloren
haben. Gott seufzt in uns. Gott ist mitten im Vergehen, im Leben auf den Tod
hin ein Stück Ewigkeit in uns. Hoffentlich …
Dem Seufzen wohnt ein
Sehnen inne
Jedem Seufzen, jedem stillen Wimmern, selbst jedem Schrei der
Schöpfung und unserer wohnt ein Sehnen inne, ein Harren, das fast trotzig ist,
das letztlich, wenn wir uns auf es mit allerletzter Kraft verlassen müssen, unbändiges
ist, da es nie nur unseres, sondern Gottes Harren in uns ist. Ein Warten.
Etwas, was uns doch auf Hoffnung leben lässt, trotz allem.
Eines, was uns spüren lässt: Leiden, Vergehen, selbst Hass, Feindschaft,
Vergeblichkeit, Zerstörung, all das, was Vergänglichkeit mit sich bringt, all
das, was dunkle Vorboten des Todes sind, sind Geburtswehen, unermesslich, und
vielleicht auch sinnlos erscheinende Geburtswehen. Wehen, die sagen: Es wird
etwas werden!!! Es wird Leben werden. Wehen, denen Menschen unterworfen sind, Wehen,
unter deren Qualen wir selbst wie geboren werden, zu etwas hin, was wir
eigentlich und schon immer von Gott aus sein und leben sollen: Seine geliebten Kinder.
Zum Jubeln geboren
Geboren, nicht um der Vergänglichkeit willen. Der sind wir
gewaltsam unterworfen. Geboren, nicht um der Falten, der Demenz, der
Brüchigkeit willen. Diese geschehen. Geboren, nicht um zu sterben. Sterben
werden wir. Geboren für etwas anderes, für jemanden anderes.
Wir sind zu anderem bestimmt. Etwas anderes zu sein und zu
leben. Wie sehr und wie tragisch diese Bestimmung auch verdunkelt ist und sein
kann und so fern oder als etwas furchtbar ganz Anderes auch sie erscheint. Sie
wird aber niemals hinfällig sein. Solange es Gott gibt. Für uns gibt. Sie ist
die von Gott aus uns zugedachte. Nein, nicht nur zugedachte, sondern die, die
er mit uns verwirklichen wird. Sicher.
Geboren sind wir, damit seine Herrlichkeit an uns sichtbar
wird. Damit wir erlöst werden und freie Menschen sind. Geborgen in Gott und von
ihm unendlich geliebt. Geboren letztendlich, um zu jubeln still ins uns,
manchmal laut aus uns heraus, damit das Wimmern der Schöpfung übertönt,
überliebt wird, endlich ein Ende hat.
Geboren, um herrlich, tief und frei zu jubeln, ein Jubel, der
für all die, die die Schöpfung und andere Menschen der Vergänglichkeit und dem
Leiden unterwerfen, schrecklich in den Ohren klingt. Ein Jubel, der ein
Aufschrei ist gegen alles Leiden jeglicher Kreatur, ein Jubel, der voller Liebe
und Erlösung ist, der Gott still immer dankt. Amen.
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