Samstag, 8. Oktober 2016

Wir pflügen und wir streuen




Predigt an Erntedank 2016 (9.10.16)

Von Gott gehalten

„Gott im Himmel hat an allen seine Lust, sein Wohlgefallen, kennt auch dich und hat dich lieb.“ (EG 511, 3) Von einer bestimmten Welt haben wir gerade fast kindlich gesungen, von einer Welt: gekannt, geliebt, gehalten von Gott– und wir als seine Kinder darin. Diese Welt wird auch in dem bekannten Erntedanklied vor Augen geführt und im Singen zum Klingen gebracht. Eine Welt, deren Gaben alle von Gott kommen: eine Welt und seine Menschen, die Gott dafür danken und auf ihn und seine Gaben ihre Hoffnung setzen. Dieses Erntedanklied war ursprünglich ein Bauernlied und hatte sechszehn Strophen. Es stammt vom bekannten Dichter und Journalisten Matthias Claudius. Gehen wir heute seinen vier Strophen des Liedes „Wir pflügen und wir streuen“ nach. Wir singen gemeinsam die erste Strophe:

Mildes Wirken

1. Wir pflügen, und wir streuen
den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen
steht in des Himmels Hand:
der tut mit leisem Wehen
sich mild und heimlich auf
und träuft, wenn heim wir gehen,
Wuchs und Gedeihen drauf.
Kehrvers
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!

Das Bild eines Bauern: Er sät den Samen auf das Feld und pflügt ihn unter. Durch die von der Arbeit auf dem Feld gegerbte Hand des Menschen geht die Saat. In der Saat ist die Ernte irgendwie schon da, aber die Ernte ist noch nicht im Blick. Der Blick geht aber ganz auf Gottes Tun, auf seine himmlische Hand: Gott schenkt Wachsen und Gedeihen, er macht aus dem Samen die Frucht und die Ernte. Im Zusammenspiel von menschlichen und göttlichen Tun ist das göttliche entscheidend. Was wäre die Welt ohne Wachsen, Werden und Gedeihen, was ohne Früchte, ohne Ernte, ohne Ergebnisse, ohne das, was rauskommt. Wenn Gott das wirkt, dann wäre ihm großer Dank zu schulden.
Wir hier pflügen und wir streuen nicht wirklich. Wohl keiner von uns. Keiner geht aufs Feld. Wir leben, wir führen und gestalten unser Leben. Und da streuen und pflügen wir schon, so manches im Leben, manches kommt in unser Leben, passiert, wird gesät und untergepflügt an Erfahrung, an Erlebnissen, an Widerfahrnissen, an Guten wie Schlechten. Und wer gibt dazu das Wachsen, das Gedeihen, dass unser Leben wird, wächst, sich entwickelt? Vielleicht sind wir angewiesen auf Gott, dass er uns unser Werden, Entwickeln, Reifen schenkt; damit etwas rauskommt in unserem Leben. Und vielleicht säen wir nicht einmal den Samen in unserem Leben, sondern andere, unsere Eltern, die Menschen, die uns begegnen, wohl auch Gott.
Gott wirkt an menschlichen Leben in besonderer Weise. Er tut es nicht gewalttätig, übermächtig, sondern so wie wir eben gesungen haben: leise, mild und heimlich und in den Momenten, wo wir nicht damit rechnen, es nicht vermuten, wo wir längst die Hände in den Schoß gelegt habe und gedacht haben, wir hätten es getan. Es ist eine wunderbare Weise, wie Gott in unserem Leben wirkt und Werden schenkt: Er träufelt sich und sein Tun auf unser Leben, Tropfen für Tropfen Gedeihen, vorsichtig, zart, unsere Zerbrechlichkeit achtend. Singen wir die zweite Strophe:

Segen entwickeln

2. Er sendet Tau und Regen
und Sonn- und Mondenschein,
er wickelt seinen Segen
gar zart und künstlich ein
und bringt ihn dann behände
in unser Feld und Brot:
es geht durch unsre Hände,
kommt aber her von Gott.
Kehrvers
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!

Der Blick geht weg vom Bauern auf dem Feld und weitet sich: Er blickt auf die Wachstumsbedingungen, auf das, wie Gott das Gedeihen schenkt: Durch Tau und Regen durch Sonn- und Mondenschein. Alles Wachstumsgaben. Und Claudius hält noch mal fest: Es geht wohl durch unsere Hand, aber es kommt von Gott her. Es ist unser Leben, aber Gott gestaltet es, formt es, gibt ihm sein Werden.
Gott wickelt seinen Segen ein und bringt ihn in unser Leben hinein. Eingewickelter Segen. Menschen entwickeln. Sie entwickeln Ideen, Dinge, Pläne, Vorhaben, sie entwickeln sich, vom Kind zum Erwachsenen, von Ungeformten zu einem bestimmten Menschen. Gott macht das umgekehrt: Er wickelt ein. Er wickelt seinen Segen ein. Als sei sein Segen etwas ganz Zartes, Kostbares, Wertvolles, was geschützt, bewahrt, behütet, eingewickelt werden müsste, was dann nach und nach seinen Wert, seine Kostbarkeit dort entfaltet, entwickelt, wo er eingewickelt wurde.
So sieht Claudius Gottes Segen. Und Gott schenkt ihn uns. Er wickelt seinen Segen in uns ein, in unser Leben, in unser Tun, Atmen, Hoffen, Fragen, Zweifel, Geborenwerden und Sterben, in unser Werden – und im Leben entwickelt sich sein Segen, entwickeln wir Gottes Segen für uns, auch ganz zart, leise, still und unglaublich kostbar. Singen wir gemeinsam die dritte Strophe:

Wirklich alles?

3. Was nah ist und was ferne,
von Gott kommt alles her,
der Strohhalm und die Sterne,
der Sperling und das Meer.
Von ihm sind Büsch und Blätter
und Korn und Obst von ihm,
das schöne Frühlingswetter
und Schnee und Ungestüm.
Kehrvers
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!

Unser Blick weitet sich noch mehr, er umfasst Alles. Alles kommt von Gott; dieses Alles wird von Claudius beschritten, umschrieben, räumlich und zeitlich: Alles nah und fern, alles überall; alles an einem Ding, Alles von einer Art. Und: Alles an Jahreszeiten, von Frühling bis Winter, alles an Zeiten. Alles, wirklich alles kommt von Gott her.
Wirklich alles? Schon der Bauer auf dem Feld mag das schwer mitsprechen, wenn der Hagel ihm die Ernte nimmt, wenn ein Unwetter ihm die Lebensgrundlage zerstört. Dann mag er zweifeln, ob alles von Gott kommt, mag er fragen, ob auch das Schlechte von Gott her ist. Er mag denken und wir mit ihm fragen: Alle gute Gaben kommt her von Gott, dem Herren, aber was ist gut? Können wir auch das Schlechte, das Übel, das, was unser Leben schwer und leidvoll macht, aus seiner himmlischen Hand empfangen, nehmen?
Auch die verschiedenen Wetter in unser Leben? Können wir neben der Sonne in einem guten Leben, in guten Zeiten, neben dem Werden des menschlichen Frühlings, wenn wir reifen, wachsen und unser Leben schönste Blüten treibt, auch die Unwetter von Gott annehmen? Die Lebensstürme, wenn uns unser Leben durcheinander und aus den Fugen gerät; den Herbst des Lebens, wenn wir immer mehr das Vergehen spüren und an uns tragen?
Für Claudius bündelt sich vertrauensvoll alles in Gott und kommt von Gott her. Gott hält alles in seiner Hand und vielleicht wird durch Seinen Segen auch das, was uns verdunkelt und zusetzt, heimlich, still und leise gut. Singen wir die letzte Strophe.

Geschenktes Leben

4. Er lässt die Sonn aufgehen,
er stellt des Mondes Lauf;
er lässt die Winde wehen
und tut den Himmel auf.
Er schenkt uns so viel Freude,
er macht uns frisch und rot;
er gibt den Kühen Weide
und unsern Kindern Brot.
Kehrvers
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!

Der Blick wird in der letzten Strophe wie zusammengefasst. Der Bauer, das Feld und nun die ganze kosmische Szenerie: Das Feld, das der Bauer bestellt hat, wird durch das kosmische Tun Gottes zum Feld der Ernte, das Brot kommt von Gott her auf den Tisch. Diese kosmische Szene des göttlichen Gedeihens versichert uns: wir sind gehalten zwischen Himmel und Erde, die Sonne wird jeden Morgen aufgehen, der Mond nimmt nachts seinen gewohnten Lauf, der Wind bringt das seine und der Himmel tut sich auf. Und: Die Szene hat eine Dynamik, die bei uns mündet, auf uns zukommt: Gott tut den Himmel auf, auf für uns.
Unser Leben ist ein von Gott geschenktes, gewährtes, gegebenes Leben. Diese Himmelsgabe fließt in unser Herzen über, hinein. Darüber, dass wir unser Leben Gott verdanken und er es erhält und mit Werden segnet, können wir uns freuen, darüber können wir inmitten allem Schweren frisch und fröhlich sein, ja zaubert dies uns eine Röte auf die Wangen, die Kindern eignet, wenn sie ihrer Eltern gewiss sich draußen frei ausleben. Wir sind Kinder Gottes. Voller Dank dafür und mit tiefer Hoffnung, die vertrauensvoll kindlich und gut begründet ist.
Unser letzter Blick geht auf die, die uns anvertraut sind, für die wir selbst verantwortlich sind, auf unsere unmittelbare Mitwelt, hier Kühe und Kinder, dort die uns je auf den Lebensweg geschenkte Menschen. Sie hat Gott auch im Blick, diesen schenkt Gott das, was sie zum Leben brauchen, das, was alltäglich und notwendig ist, den Kühen das Gras auf der Weide und den Kindern das Brot auf dem Teller. Gott kümmert sich um unsere Menschen, die uns nahe liegen, um ferne und nahe. Das entlastet uns, der Segen entwickelt sich selbsttätig. Auch wenn unsere Hände das ihre tun, Gott kümmert sich und schenkt Leben. „Er kennt auch dich und hat dich lieb.“ Amen.

Lied „Wir pflügen und wir streuen“ instrumental

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