Predigt am 13. Sonntag nach
Trinitatis (30. August 2015) zu Lukas 10, 25-37
Jammerte
Der barmherzige Samariter ist die
Figur des christlichen Mit-Leidenden. Er ist Vorbild für die Hinwendung zum
Nächsten, die aus dem Mitleid mit ihm entspringt. Das, was der Samariter,
barmherzig tut, konzentriert sich in dem einen kleinen Satz „es jammerte
ihn“ (Lukas 10, 33) und in der einen
Geste, der Grundgeste des Hinkniens.
Diese Geste des Hinkniens führt
barmherzige Samariter und Leidenden zusammen, vereinigt im Mitleiden und so
legt diese Geste des barmherzigen Samariters zwei Rollenangebote nahe: Wir
können uns als solche sehen, die sich wie er anderer erbarmen, zuwenden. Wir
können uns aber auch als solche wahrnehmen, die des Mitleides selbst bedürfen, die
unter die Räuber fallen und leiden und brauchen, dass jemand wie der
barmherzigen Samariter sich in unser Leben hineinkniet
Und im Grunde umfasst diese Gestik
einen dritten Blick, ein Blick auf die Rolle Gottes in Leben, in unserem: Sie
führt uns in der Gestalt des barmherzigen Samariters Gottes mitleidendes Wirken
vor Augen. In dieses hinein sind wir einerseits berufen, sein Erbarmen für
andere Menschen spürbar zu machen, wir leben aber immer selbst davon, dass Gott
uns wie alle Menschen mit-leidend im Blick hat. Seine Menschwerdung beinhaltet
auch das Mitleiden mit seiner Kreatur und erbarmt sich ihrer, so dass Menschen
in Elend und Würde werden, was sie sind: seine geliebten Geschöpfe. Gott kniet
sich hinein in unser Leben und lässt sein Herz bewegt sein inmitten von dem,
was wir so tun und leben, wenn wir selbst uns bewegen: gehen, stehen, sitzen,
manchmal auch knien.
Augenblick
Diese Grundgeste des Erbarmens
beginnt beim barmherzigen Samariter mit einem Augenblick. Der barmherzige
Samariter wird auch überfallen, er wird geradezu überfallen vom Mitleid. Das
„mit“ beginnt schon in der Situation, in der der ist, der von den Räubern
überfallen wurde. Dieser Überfallene und jetzt Leidende ist jenem in den Blick
gefallen, aufgefallen. Der andere, der zum Nächsten wird, hat den Blick nicht
abgewendet oder unfreiwillig unscharf gesehen.
Sondern: Zufällig auf der Reise sieht er das, was ihn bemitleidet. Er
kann sich seines eigenen Blickes nicht erwehren und irgendetwas geschieht
„zwischen“ eigenem Sehen und dem, was dann kommt, zwischen Sehenden und Gesehenen. Es regt sich
sein Herz, er wird bewegt, auch äußerlich, er lässt nahe kommen und die
Anteilnahme, die Begegnung beginnt, wird sichtbar.
Hinknien
So ist der barmherzige Samariter in
Bewegung gesetzt, innerlich und äußerlich. Er steigt hinab, nicht nur vom Esel.
Was so selbstverständlich aussieht, braucht Entschlossenheit. Jederzeit lauert
der Feind von außen – und von innen, lauert die Gefahr, doch wegzuschauen und
weiterzugehen. Der Samariter hat den Mut, sich vom Leidenden ergreifen zu
lassen, ihn, den Unbeweglichen, Totstarren, so nahe kommen zu lassen, ihm nahe
zu kommen, sich zu ihm zu knien. Das ist eine Geste mit Demutsanteilen,
durchaus mit Risiko behaftet, an sich eine Bettlergeste. Mit den Knien auf dem
Boden macht sich der Samariter klein, kleiner und er macht sich selbst
schmutzig, blutig. Die klaren Rollen verschwimmen, es entsteht wirklich ein
Raum mit und für ein „Mit“, für Mit-Leiden und fast intimer Gemeinschaft.
Aufstehen
Der Samariter steht schließlich
wieder auf von seinen Knien. Vielleicht liegt zwischen Knien und Aufstehen der
entscheidende Moment, der Moment auch von Zweifeln, Fragen, was zu tun ist, wie
Hilfe jetzt aussieht, vielleicht, jetzt doch wegzugehen. Dieser kleine Moment von der Grundgeste des
Mitleids zur Tat wird zum Sekundenmoratorium, ist Raum des vollen Sehens, des Aushaltens (auch
mit sich und der eigenen Rat- und Hilflosigkeit) und wird dann zum Zwischenraum
schöpferischer Parteilichkeit: Der Samariter steht auf, hat den Schmutz der
Erde und vielleicht des Blutes an sich, er nimmt definitiv den Leidenden, macht
die Erstversorgung, hebt ihn auf seinen Esel, bringt ihn zur nächsten
Pflegestation und kümmert sich weiter, indem er seine weitere Versorgung regelt.
Die Parteinahme für die
Ausgegrenzten, die Opfer, die Leidenden ist uns von Jesus gezeigt, weitergeben,
anbefohlen. Wir stehen auf und heben auf, die, die an Seele, Leib und Leben
leiden. Wenn es sein muss, erweitern wir unseren Mitleid-Radius über viele Grenzen
hinweg. Zwischenräume, die Momente zwischen Knien und Aufstehen, sind staubig, schmutzig,
das Leid klebt an einem, und sie sind ambivalent. Voller Nähe, voller
Herzensregung, voller Frage nach meinem Nächsten, aber eben auch die Frage nach
Distanz, nach dem übernächsten Schritt, dann diese Situation auch so konsequent
weiterleben, wie es der Samariter vorlebt: Nach dem Hinknien selbst auch wieder
aufstehen, nach der Nähe wieder beginnende Distanz, nach der Herzensregung ein
kühler Kopf, nach der Erstversorgung das weitere Mitleiden regeln, delegieren
und weiterreisen.
Weitergehen
Mitleid hat eine gute Grenze in sich selbst, darin, dass die Leidende
übergeben werden, weitergeben werden in andere gute Hände, in die gleichen
Hände, in denen auch wir weitergegeben sind mit unseren Leiden, damit wir
erfahren, was wir selber als Erfahrung anderen geben: Wir können uns der
barmherzigen Fürsorge Gottes gewiss sein, dass er uns sein Mit-Leid und sein
Mit-Sein schenkt. Wir sind vom Erbarmen Beschenkte und Beschenkende. Wir sind
Samariter und unter die modernen Räuber Gefallene, in der einen Geste des
Hinkniens des Mitleids miteinander vereint.
Amen.
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