Predigt
am Drittletzten Sonntag (11.11.2018),
hundert Jahre nach Beendigung des 1.
Weltkrieges
1. Gib Frieden, Herr, gib Frieden,
die Welt nimmt schlimmen Lauf.
Recht wird durch Macht entschieden,
wer lügt, liegt obenauf.
Das Unrecht geht im Schwange,
wer stark ist, der gewinnt.
Wir rufen: Herr, wie lange?
Hilf uns, die friedlos sind.
Bitte in eigener Friedlosigkeit
Dieses
Lied ist eine eindringliche Bitte. Es hat die Melodie von „Befiehl du deine
Wege“ und sieht Wege in Krieg und Unfrieden und bittet, ja fleht um Wege heraus
aus Krieg, Leid und Tod. Viermal wird zu Beginn der Strophen die Bitte wiederholt,
zweimal in der Form, dass ausdrücklich gesagt wird, dass die Singenden bitten,
und die Bitte meint die Bitte zu geben, zu helfen, nicht allein zu lassen, Mut zu
geben, Zeichen zu machen. Diese Bitten sind nicht ins Leere gesprochen, so
kriegsdunkel es auch sein mag. Gott ist angesprochen, Gott ist gebeten, Gott
ist das Du dieser Bitten, dieses Liedes.
Ihren
tiefsten, fast leisen Ausdruck finden diese Bitten an Gott in jenem flehenden,
uns so sehr bekannten, nahen und doch fernen: „Herr, wie lange?“ Wie lange
noch. Wie lange noch Krieg, Schießen, Kugeln, Strategien, Gefechte, Hunger, Wunden,
Tod. Wie lange noch. Die Bitte nach Ende, nach Ende von Krieg ist vor genau 100
Jahren mit dem Waffenstillstand des ersten Weltkrieges erhört worden, zumindest
war der Krieg und das Morden zu Ende.
Die
Bitte nach Frieden ist das unsere Bitte? Können wir sie so aussprechen, wie die
Menschen, die im Krieg sind, die Krieg erlebt haben. Gibt es die Gnade der
späten Geburt und ist diese nicht trügerisch. Wir haben vielleicht mal gebittet
um Ende eines Krieges, wir bitten vielleicht um Ende des Krieges in anderen
Ländern, sehen das heutige Leid in Kriegsregionen und wohnen doch im Frieden. Und
so singt uns dieses Lied die unheilvolle Dynamik des Krieges wie ins scheinbar
friedvolle Leben hinein, als wollte man uns nicht entlassen aus einer Pflicht.
Es singt vom schlimmen Lauf, von dem, was im Schwange ist, vom quälenden Warten
und vom Wachsen der Furcht, vom Grollen der Horizonte, von Macht, Lüge, Unrecht
und Stärke, die siegen, vom Leid, von uns.
Als
sei kein Krieg zeitlich und räumlich weit genug weg, überrascht, vielleicht
ertappt uns die erste Strophe am Ende. Wohin mögen wir unsere Blicke sonst im
Blick auf Kriege wenden, auf die Täter, auf die Opfer, als Zuschauer. Das Lied
wendet unseren Blick aber auf uns selbst: „Hilf uns, die friedlos sind.“ Wann
sind wir das: fried-los?
2. Gib Frieden, Herr, wir bitten!
Die Erde wartet sehr.
Es wird so viel gelitten,
die Furcht wächst mehr und mehr.
Die Horizonte grollen,
der Glaube spinnt sich ein.
Hilf, wenn wir weichen wollen,
und lass uns nicht allein.
Wie verlernt man Krieg?
Das
Lied entlässt uns nicht. Es spitzt sogar zu. Es richtet sich auf den Glauben
und seine Rolle im Krieg. Auf den eigenen Glauben, auf meinen. Das ist ernüchternd
selbstkritisch. Vor aller Friedensbemühung kommt der Blick auf den eignen
Glauben und darauf, was der Glaube im Krieg macht, was mit ihm im Krieg
passiert. Auch wenn uns Krieg vielleicht ferner ist, so kennen wir Streit,
Konflikte, Kämpfe und das Lied fragt uns, was macht der Glaube damit, und die Antwort
des Liedes ist ehrlich, ja fast radikal ehrlich:
Der
Glaube spinnt sich ein. Der Dynamik des Krieges, die Welt nimmt schlimmen Lauf,
folgt eine Bewegung des Glaubens. Glaube zieht sich zurück, auf sich, er verkriecht
sind, er verkapselt sich, verhakt sich in sich selbst, beginnt zu spinnen.
Statt: sich zu entspinnen, zu entfalten, auszubreiten, stark zu machen. Und er
weicht, er geht zu Seite, im kleinen, aber spürbar, er weicht zurück, statt zu
widerstehen, sich einzusetzen, dazwischen zu gehen.
Mir
scheint es ein ehrlicher, weniger heldenhafter Blick auf den Glauben im Krieg,
im Streit zu sein. Und es ist vielleicht ein Blick, der doch etwas eröffnet,
wenn man ihn selber wahrnimmt, wenn man merkt, dass der Glaube die falsche
Bewegung macht, sich einspinnt, weicht, statt in eine Friedensbewegung zu
kommen. Vielleicht eröffnet er doch den Blick darauf, wie man Krieg beginnt zu verlernen.
So wie es Micha ersehnt hat. Wenn der Glaube versponnen in sich mitten in sich doch
beginnt zu bitten, bitten um eigene Hilfe, nicht allein zu bleiben.
3. Gib Frieden, Herr, wir bitten!
Du selbst bist, was uns fehlt.
Du hast für uns gelitten,
hast unsern Streit erwählt,
damit wir leben könnten,
in Ängsten und doch frei,
und jedem Freude gönnten,
wie Feind er uns auch sei.
Mangel an Gott
Mitten
im Glauben kann eigentlich nur Gott sein. So spitzt unser Lied sich noch mal
zu, noch radikaler und grundsätzlicher, aber vielleicht auch herausführend. Es
kommt direkt auf Gott zu sprechen, zu singen, es spricht Gott direkt an und
stellt wie in sich fest: „Du selbst bist, was uns fehlt!“ Es stellt die Frage
entschieden, wo Gott denn sei im Krieg, im kriegerisch versponnen Glauben. Wo
ist Gott im Krieg? Auf Koppelschlössern? Im Segen der Waffen? Im Sieg an der
Front? Bei den zahllosen Opfern? Bei Menschen in Schützengräbern? Bei den
Witwen und den weinenden Müttern? Nirgends in all dem? Überhaupt nirgends?
Abwesend? Es gibt viele Antwortversuche. Theoretische und mitten im Daseinskampf
notgeborene. Vielleicht gibt es keine.
Unser
Lied versucht eine Antwort. Eine negative. Gott fehlt. Gott fehlt im Krieg.
Krieg ist Mangel an Gott und mit diesem Mangel Mangel an noch viel mehr. Und
diesem Mangel setzt das Lied etwas entgegen, eine ganz und gar merkwürdige
Fülle. Jesus Christus. Er hat für uns gelitten, er hat für uns den Streit
gewählt. Und wenn Jesus Christus den Streit gewählt hat, ihn ausgefochten hat, erlitten
hat, dann müssten wir im Grunde nicht mehr streiten, nicht mehr streiten müssen.
Und
das wäre der Ausgang aus jedem Krieg vielleicht. Wer nicht mehr streiten muss,
streiten mit anderen, um sich, sein Leben, seinen Wert, seinen Erhalt, weil
dieser Streit von Christus schon längst geführt, erlitten und gewonnen ist, der
braucht keinen Krieg mehr, der wird frei in Ängsten von deren Macht, der kann
andere neben sich sein lassen, der kann selbst Feinde Freude gönnen, allen
anderen das Leben gönnen. Krieg wäre nicht mehr nötig, könnte verlernt werden.
4. Gib Frieden, Herr, gib Frieden:
Denn trotzig und verzagt
hat sich das Herz geschieden
von dem, was Liebe sagt!
Gib Mut zum Händereichen,
zur Rede, die nicht lügt,
und mach aus uns ein Zeichen
dafür, dass Friede siegt.
Der Liebe gehören
Und
als sei das nicht genug vollendet sich unser Lied, kommt es auf das Wichtigste
und Elementarste zu sprechen, auf die Liebe. Und auf das menschliche Herz. Ein
Herz im Krieg, im Streit, im Konflikt ist ein trotzig verzagtes Herz. Es hat
vergessen, welche Weite in ihm wohnt. Es hat sich zusammengezogen im Schmerz
zum Schmerz. Und es ist ein Herz, das sich von sich selbst abgekoppelt hat, das
von der Liebe geschieden ist. Ein merkwürdiges Bild: Das Herz, in dem die Liebe
wohnt, hat sich von dieser geschieden. Und Krieg ist eine Ansammlung von
Herzen, die sich von der Liebe geschieden haben, geschieden wurden. Gewaltsam.
Und
dabei spricht die Liebe, sagt sie etwas, hat sie etwas zu sagen. Würden alle
auf sie hören. Aber der Krieg, das Davor ist laut, unglaublich viele Töne,
Stimmen, Botschaften. Und was nicht alles, hören Menschen im Krieg, Propaganda,
unheilvolle Heilsbotschaften, Klischees, Lügen, Kanonenlärm, Todesschreie, eine
unheimlich bedrohliche Stille, volle, abgestumpfte, todgehörte Ohren.
Unser
Lied glaubt aber daran, dass die Liebe dennoch spricht, sagt. Und daran, dass Menschen
im Krieg sie hören können, dass sie bitten können, dass wir bitten können. Und
das ganze Lied wird zum Ruf, zur Bitte der Liebe. Der Liebe, die zu verwandeln
mag. Jene Verwandlung von der Micha spricht, wenn Schwerter zu Pflugscharen
umgeschmiedet werden, von der Jesus beseelt ist, wenn er die rechte Wange dem Schläger
hinhält, wenn unser Lied um Mut bittet, einander die Hände zu reichen und
zueinander Worte der Wahrheit zu reden.
Und
alle Bitten münden ein in unsere eigene Verwandlung und die Bitte darum. Kein
Krieg ist wieder rückgängig zu machen, es gibt keine „Rückverwandlung“. Es gibt
die Zeit nach dem Krieg, hoffentlich, und die Verwandlung der Menschen zu Friedensmenschen,
damit Krieg verlernt werde. Gott möge uns aus den Fried-Losen der ersten Strophe
Fried-Volle machen, aus den Eingesponnen der zweiten Strophe solche, die Frieden
entspinnen und entfalten, bringen. Wir sollen nicht nur Friedenszeichen sein.
Wir sollen gegen jede Kriegsdynamik, gegen jenen schlimmen Lauf der Welt, selbst
Friedensdynamik entwickeln und werden. Wir sollen Zeichen sein, dass der Friede
siegt. Das soll an uns ablesbar, sichtbar, spürbar sein. In unseren
persönlichen Streit und Konflikten - und auch in unserem Engagement gegen
Kriege und für Frieden weiter entfernt.
Zum
Zeichen, dass Friede werde, werden wir durch eindringliches Bitten, durch
gemeinsames Singen, wie Singen dieses Liedes. Und wir werden es durch die Liebe
Gottes, von der uns niemand scheiden kann: Christus hat den Streit in unseren
Herzen für immer beendet und die Fülle der Liebe Gottes in sie eingegossen. Darum
lohnt es sich zu bitten: Gib uns Frieden. Dona nobis pacem ….
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