Donnerstag, 3. Oktober 2019

Strom des Lebens



Predigt zu Erntedank 2019 (6.10.2019)



Jesaja, 58, 7-12

Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11 Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. 12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.



Fleisch und Blut

Natur ist nicht aus Fleisch und Blut, sie ist nicht unser Fleisch und Blut. Menschen sind aus Fleisch und Blut. Die Natur kann blühen, sie kann wüten, kann zerstören, kann wunderbare Momente erschaffen, kann das Auge und das Herz weiten, kann unsere Seele zum Strahlen bringen, alles rauben. Natur kann Ernte sein, angepflanzt, angebaut, gepflegt, gewachsen, geerntet, gegessen. Immer wieder. Jedes Jahr. Natur ist Gabe und Schönheit. Menschen können dankbar sein.

Menschen können Ernte sein, Ernte für andere, geboren, umsorgt, gewachsen, von anderen genossen. Vielleicht. Menschen sind Geschöpfe, Geschöpfe von Gott, Geschöpfe für sich, Geschöpfe für andere. Doch so etwas wie Ernte. Ich bin Ernte und Du bist es. Und wir danken dafür einander. Menschen sind aus Fleisch und Blut, unser Fleisch und Blut. Das teilen wir einander, rund um den Globus: beseelter Körper sind wird, lebendige Wesen, gerufen, gesucht, gewollt eingebunden. Immer wieder, Blut und Fleisch, vermengt mit Freude und Schmerz. Mitten, mitten und gemeinsam im Strom des Lebens, eines Lebens.



Entziehen

Menschen können sich dem entziehen, können das anders sehen, können sich eingrenzen auf nur ein paar Fleisch und Blut, nur auf sich. Sie können sich entziehen dem anderen, ihn als fremd, Feind, egal betrachten, sich von ihm innerlich und äußerlich distanzieren, abwenden, den Finger zwischen sich und ihm setzen, den Finger, der den einen zum ich und den anderem zu einem macht, der dazwischen ist, zeigt und trennt. Sie können sich entziehen und übel reden, Worte finden, die den anderen verzeichnen, verzerren, nicht meinen, die den anderen schwarz malen und weit weg von sich Hellem abstellen. Menschen können sich entziehen, sich größer machen, erhabener, intelligenter, kompetenter und den anderen unterjochen, unter sich stellen, unter sich drücken, durch Gesten, Schachzüge, tägliches Zermürben, ihn niedrig, benutzbar, unnütz machen.



Körpernähe

Menschen können aber auch Nähe suchen, Nähe zulassen, Nähe, die sich aussetzt, in der immer ein kleines Wagnis wohnt, die immer vom einem zu anderem was gibt, die verbindet, teilt. In die eigenen Hände das Brot nehmen, es durchbrechen und dem anderen in die Hände legen. An die eigenen Hände die Hände des anderen nehmen und ein Weg zum Dach über seinen Kopf führen. Ein warmes Kleidungsstück in die eigenen Hände nehmen und dem anderem um seine nackte Haut legen, für Bruchteile von Momenten seine Haut mit der eigenen berühren. Handnähe.

Sein eigenes Herz suchen lassen, nicht verstecken, nicht in sich, in sich still, stumm lassen. Sein Herz finden lassen vom leeren Bauch, vom schutzlosen Kopf, von nackter Haut und Elendige mit dem Herzen sehen und sättigen. Körpernähe. Aus Fleisch und Blut. Herzensnähe. Das Leben pulsiert, fließt, verbindet.



Lichtgeschehen

Und Gott kommt in Bewegung, ist in Bewegung. Gott bricht herein. Sucht und findet unsere Nähe. Ein herrliches Lichtgeschehen, das Menschen geschieht. Licht, Morgenröte, Mittagsglanz, Dunkel wie Hell. Aufgehend, vorangehend, beschließend. Menschen mitten darin, werdende Lichtgestalten Gottes, herrlich.

Satt, heil, gestärkte, gerechte werdende Menschen. Wir rufen nach Leben und Gott hört und Gott antwortet. Wir schreien in Not, in Stille, um unser Leben und Gott sagt: ich bin da. Ich bin da bei dir. Ich bin da für dich. Wir spüren, er ist da, er gibt Anteil an seinem Leben, wir sind aus seinem Fleisch und Blut, Licht umgibt uns wie ein zartes Kleid, Gott beseelt uns, bewegt uns.



Seelenwohnung

Was lange wüst lag, was nur vorzeiten gerade noch heil lebte, was Lücken aufweist, Brüche, Wunden. Was beschädigt, verletzt, rastlos, müde, suchend, ohne Wohnung, ohne Behausung, ohne Zuhause ist, die Seele von Menschen, von Menschen aus Fleisch und Blut, mit Seele wie wir, für diese wüste, irr suchende, unbehauste Seele Lebensort werden, kleiner Sehnsuchtsort, sie suchen, nachhaltig, zärtlich bereichern, mitunter für sie leben, für sie hoffen, für sie glauben, sie mit unseren Seelenmomenten berühren, anfüllen, erfüllen.

Seelen-Nähe. Seelen-Arbeit. Seelenleben wieder aufbauen, sein Haus geben, aufbauen, wie Lebensstein auf Lebensstein legen, das verstreute Lebensmosaik sorgfältig zusammensetzen. Seelen aufrichten, solche die sich weggebückt haben, kauern, verschreckt, diese aufrichten, ihnen Rückgrat geben, sein. Lebenslücken schließen, die ausgefallene Zeit, die Leerpunkte, die unendlich stummen Seelenstunden ausbessern, füllen, schließen, zumauern, Lebenswege ausbessern, begehbar machen. An fremden Biografien heilsam wirken. Für Menschen Licht sein. Aus Fleisch und Blut, Körper an Körper, Seele an Seele, für Körper und Seele zur Zeit-Behausung werden. Ernte, Ernte sein. Gott sei Dank. Amen.