Predigt zum Jahresfest Mutterhaus
2019 (23. Juni 2019)
Zusammengehörig
Zwei bunte Glasfenster, typisch für
Kirchen, Kapellen, Chorräume. Sieben Menschen gemalt, vier Männer, eine Frauen
und zwei Kinder, manche ganz abgebildet, manche zu großen Teilen, manche nur
ein weinig, einer fast verborgen. Alle irgendwie in Bewegung, innerlich wohl,
äußerlich auch. Am eindrücklichsten mit den Farben ihre Blicke, ihre Augen, ihr
Schauen. Ist ein Bild, eine Szene, uns vor Augen auf Glas in Stücken gemalt? Passen
die sieben zusammen? Beide Bilder wurden nach der kleinen Renovierung der Kapelle
umgehängt, sie haben ihren Platz getauscht, sind sie auf beiden Seiten verwendbar?
Im linken Glasbild ein Mann auf zwei Krücken.
Er in Gelb gekleidet, die Krücken in Rot, deshalb klar zu sehen, vielleicht die
beiden Krücken für ihn Erinnerung an das Schmervolle im Leben. Sein Kopf ist im
Blau verortet. Sein Blick geht nach oben, seine Augen schauen Richtung Himmel.
Neben ihm ein weiterer, ein anderer Mann, anders seine Kleidung, anders sein
Blick. Er scheint in Grün zu warten, gestützt nicht auf Krücken, sondern auf
seiner eigenen Hand, sein Blick schaut, schaut weit und irgendwie auch leer. Es
ist Josef, können wir meinen. Unter beiden Männern im Bildrand ein Kopf, halb
zu sehen, mit Glatze und längerem Haarkranz.
Dass der eine wartende Mann Josef
sein könnte, legt das rechte Bild nahe. Da ist Maria zu sehen, in für sie
typischen Blau und mit typischem Blick und Geste. Sie wirkt versunken, wie gar
nicht recht im Bild. Ihr Blick, ihre Hände, ihr ganzer Körper gilt dem, den sie
im Arm trägt, zärtlich, innig, versonnen hält sie ihn im Arm. Das Jesuskind schmiegt
sich an seine Mutter, aber es wirkt abgerückt von ihr, entrückt vielleicht, erschrocken,
hellwach. Es scheint eine andere Beziehung im Blick zu haben. Neben den beiden
ein dritter Mann. Es könnte auch oder nochmal Josef sein, aber er ist ihm nur
ähnlich, aber sein Grün ist wieder anders, sein Blick auch, seine Haltung, er
schielt nach oben, Richtung Himmel, mit sorgenvollen, von Falten überwölbten
Blick. Irgendetwas hat seine rechte Hand. Nicht in den Armen, aber vor sich hat
er ein Kind, nur der Kopf vom Kind ist zu sehen, es trägt einen Verband, als
sei es fast ein Teil seines Lebens, das Kind reckt wie der Mann auf dem linken
Bild den Kopf in die Höhe, es schaut in den Himmel.
Merkwürdige Sehnsuchtsgemeinschaft
Beide Bilder schauen wir zusammen.
Eine merkwürdige Gemeinschaft sehen wir, irgendwie wie zusammengewürfelt, alle
auf einem Weg, sieben Menschen auf einem, ihrem Sehnsuchtsweg, wartend, nach
oben blickend, hoffend, versunken, nur halb zu sehen. Der Mann mit den Krücken
und das Kind mit dem Verband macht aus dem Weg ein Weg der Versehrten, aus der
Gemeinschaft eine Gemeinschaft von Kranken, von Bedürftigen. Eine diakonische
Gemeinschaft, die harrt.
Wann reißt der Himmel auf. Ob sie das
denken, sich fragen? Ob wir das tun? Manchmal, jetzt? Welcher Himmel, und wann
und für wen? Wann reißt der Himmel auf, ein Lied der Popband „Silbermond“. Sie
singen von Sehnsucht, sie singen: „Ist nicht irgendwo da draußen 'n bisschen
Glück für mich? Irgendwo ein Tunnelende das Licht verspricht. Nur ein kleines
bisschen Glück! Wann reißt der Himmel auf? Auch für mich, auch für mich“ Bist
du, der kommen soll?, haben die Jünger, die Menschen gleiches in anderen Worten
vor 2000 Jahren gefragt. Sie tasteten mit ihren Seelen nach dem Messias, nach
dem, der Rettung, Heil, den Himmel auf die Erde bringt.
Wann reißt der Himmel auf? Wo ist nur
der Himmel im Bild, in den vor uns gemalten Bildern?
Himmel auf Erden
Der Glaskünstler hat fast unverschämt
die heilige Familie mit ins Bild gemalt, mit auf den Sehnsuchtsweg gesetzt. Aller
verschiedener Zeiten zu Trotz. Sie gehen mit, die Sehnsuchtswege vom Mann mit der
Krücke, vom Kind mit dem Verband, mit dem Mann, der es begleitet. Maria und
Josef gehen einfach mit, sind Teil jener merkwürdigen Weggemeinschaft, gehen
mit, wenn wir solche Wege gehen. Sie halten sogar beide Bilder im Sinn
zusammen. Beide, Maria und Josef, irgendwie versunken, der eine außer sich im
Blick ins wartend Ferne, die andere den Blick in sich, in das die göttlichen
Worte fielen. Zwischen beiden Raum, dass Menschen dazu gemalt werden, dazu sich
stellen. Das können wir auch.
Egal, wie wir diese beiden Glasbilder
hinhängen, ob das eine rechts und das andere links oder umgekehrt, die Richtung
der Blicke ist die gleiche. Die Sehnsuchtsgemeinschaft blickt von uns aus gesehen
nach rechts, und dort rechts von hier ausgesehen ist der Osten. Ihr Blick ostet
unsere Kapelle, die nach Norden ausgerichtet ist. Sie machen aus unsren Blicken
Blicke nach Osten und wir werden alle, alle mit ihnen zusammen, zu solchen, denen
Gott aufgeht, die der Auferstandene als Lichtgestalt grüßt. Und egal, wie die
wirkliche Sonne steht, es reicht auch nur das Licht aus, sind die Glasfenster
durchleuchtet, transparent, mitunter bunt erleuchtet, und im Blicken werden Sehnsuchtswege
immer auch durchleuchtet. Und sie hängen in der Kapelle, sie rahmen leicht den
Altarraum, der gar keiner ist, und sie hängen dort allezeit, auch wenn wir hier
Gottesdienst feiern, wenn wir beten, singen, das Wort suchen. Und dann hängen
sie dort, geht diese merkwürdige Sehnsuchtsgemeinschaft ihren Weg und es ist so,
als würden die Worte, die hier gesprochen werden, auch zu ihnen gesprochen werden,
als würden die Lieder, die wir hier singen, auch ihnen gelten, als würden sich
ihre Wege mit unseren verbinden und wir alle zusammen Richtung Gott gehen. Er
uns entgegen.
Der kaum zu sehende Mann im linken
Bild, von dem nur Kopf, Glatze und Haare und ein wenig Rücken sichtbar sind,
der hat seinen Blick auf den Boden gerichtet. Was er genau macht, bleibt offen,
ist offen. Es ist weiterzusehen. Vielleicht betet er, klagt er, weint er, hofft
er. Auch was der Mann im rechten Bild in seiner linken Hand hat, bleibt rätselhaft.
Ist es etwas, was er trägt. Dazu passt seine Haltung nicht. Wird er von etwas
geführt? Hat er seine Hand an etwas, was ihn stützt? Auch hier müssen wir
Betrachter weitersehen. Das, was er in der Hand hat, verbindet ihn auf jeden
Fall mit der Erde, wie auch immer, erdet ihn. Wann reißt der Himmel auf? Beide Bildausschnitten
scheinen zu sagen: unten rechts, unten am Boden, auf der Erde, da reißt der
Himmel auf. Und genau dahin blickt das Jesuskind auf dem Arm von Maria, es
blickt mit geschlossenen Augen zukünftig dorthin, wo er als Christus selber
ist, ist als menschgewordener Himmel auf Erden - und genau dort bei ihm reißt
der Himmel auf.