Freitag, 21. Juni 2019

Rechts unten beginnt es


Predigt zum Jahresfest Mutterhaus 2019 (23. Juni 2019)


 


Zusammengehörig
Zwei bunte Glasfenster, typisch für Kirchen, Kapellen, Chorräume. Sieben Menschen gemalt, vier Männer, eine Frauen und zwei Kinder, manche ganz abgebildet, manche zu großen Teilen, manche nur ein weinig, einer fast verborgen. Alle irgendwie in Bewegung, innerlich wohl, äußerlich auch. Am eindrücklichsten mit den Farben ihre Blicke, ihre Augen, ihr Schauen. Ist ein Bild, eine Szene, uns vor Augen auf Glas in Stücken gemalt? Passen die sieben zusammen? Beide Bilder wurden nach der kleinen Renovierung der Kapelle umgehängt, sie haben ihren Platz getauscht, sind sie auf beiden Seiten verwendbar?
Im linken Glasbild ein Mann auf zwei Krücken. Er in Gelb gekleidet, die Krücken in Rot, deshalb klar zu sehen, vielleicht die beiden Krücken für ihn Erinnerung an das Schmervolle im Leben. Sein Kopf ist im Blau verortet. Sein Blick geht nach oben, seine Augen schauen Richtung Himmel. Neben ihm ein weiterer, ein anderer Mann, anders seine Kleidung, anders sein Blick. Er scheint in Grün zu warten, gestützt nicht auf Krücken, sondern auf seiner eigenen Hand, sein Blick schaut, schaut weit und irgendwie auch leer. Es ist Josef, können wir meinen. Unter beiden Männern im Bildrand ein Kopf, halb zu sehen, mit Glatze und längerem Haarkranz.
Dass der eine wartende Mann Josef sein könnte, legt das rechte Bild nahe. Da ist Maria zu sehen, in für sie typischen Blau und mit typischem Blick und Geste. Sie wirkt versunken, wie gar nicht recht im Bild. Ihr Blick, ihre Hände, ihr ganzer Körper gilt dem, den sie im Arm trägt, zärtlich, innig, versonnen hält sie ihn im Arm. Das Jesuskind schmiegt sich an seine Mutter, aber es wirkt abgerückt von ihr, entrückt vielleicht, erschrocken, hellwach. Es scheint eine andere Beziehung im Blick zu haben. Neben den beiden ein dritter Mann. Es könnte auch oder nochmal Josef sein, aber er ist ihm nur ähnlich, aber sein Grün ist wieder anders, sein Blick auch, seine Haltung, er schielt nach oben, Richtung Himmel, mit sorgenvollen, von Falten überwölbten Blick. Irgendetwas hat seine rechte Hand. Nicht in den Armen, aber vor sich hat er ein Kind, nur der Kopf vom Kind ist zu sehen, es trägt einen Verband, als sei es fast ein Teil seines Lebens, das Kind reckt wie der Mann auf dem linken Bild den Kopf in die Höhe, es schaut in den Himmel.

Merkwürdige Sehnsuchtsgemeinschaft
Beide Bilder schauen wir zusammen. Eine merkwürdige Gemeinschaft sehen wir, irgendwie wie zusammengewürfelt, alle auf einem Weg, sieben Menschen auf einem, ihrem Sehnsuchtsweg, wartend, nach oben blickend, hoffend, versunken, nur halb zu sehen. Der Mann mit den Krücken und das Kind mit dem Verband macht aus dem Weg ein Weg der Versehrten, aus der Gemeinschaft eine Gemeinschaft von Kranken, von Bedürftigen. Eine diakonische Gemeinschaft, die harrt.
Wann reißt der Himmel auf. Ob sie das denken, sich fragen? Ob wir das tun? Manchmal, jetzt? Welcher Himmel, und wann und für wen? Wann reißt der Himmel auf, ein Lied der Popband „Silbermond“. Sie singen von Sehnsucht, sie singen: „Ist nicht irgendwo da draußen 'n bisschen Glück für mich? Irgendwo ein Tunnelende das Licht verspricht. Nur ein kleines bisschen Glück! Wann reißt der Himmel auf? Auch für mich, auch für mich“ Bist du, der kommen soll?, haben die Jünger, die Menschen gleiches in anderen Worten vor 2000 Jahren gefragt. Sie tasteten mit ihren Seelen nach dem Messias, nach dem, der Rettung, Heil, den Himmel auf die Erde bringt.
Wann reißt der Himmel auf? Wo ist nur der Himmel im Bild, in den vor uns gemalten Bildern?

Himmel auf Erden
Der Glaskünstler hat fast unverschämt die heilige Familie mit ins Bild gemalt, mit auf den Sehnsuchtsweg gesetzt. Aller verschiedener Zeiten zu Trotz. Sie gehen mit, die Sehnsuchtswege vom Mann mit der Krücke, vom Kind mit dem Verband, mit dem Mann, der es begleitet. Maria und Josef gehen einfach mit, sind Teil jener merkwürdigen Weggemeinschaft, gehen mit, wenn wir solche Wege gehen. Sie halten sogar beide Bilder im Sinn zusammen. Beide, Maria und Josef, irgendwie versunken, der eine außer sich im Blick ins wartend Ferne, die andere den Blick in sich, in das die göttlichen Worte fielen. Zwischen beiden Raum, dass Menschen dazu gemalt werden, dazu sich stellen. Das können wir auch.
Egal, wie wir diese beiden Glasbilder hinhängen, ob das eine rechts und das andere links oder umgekehrt, die Richtung der Blicke ist die gleiche. Die Sehnsuchtsgemeinschaft blickt von uns aus gesehen nach rechts, und dort rechts von hier ausgesehen ist der Osten. Ihr Blick ostet unsere Kapelle, die nach Norden ausgerichtet ist. Sie machen aus unsren Blicken Blicke nach Osten und wir werden alle, alle mit ihnen zusammen, zu solchen, denen Gott aufgeht, die der Auferstandene als Lichtgestalt grüßt. Und egal, wie die wirkliche Sonne steht, es reicht auch nur das Licht aus, sind die Glasfenster durchleuchtet, transparent, mitunter bunt erleuchtet, und im Blicken werden Sehnsuchtswege immer auch durchleuchtet. Und sie hängen in der Kapelle, sie rahmen leicht den Altarraum, der gar keiner ist, und sie hängen dort allezeit, auch wenn wir hier Gottesdienst feiern, wenn wir beten, singen, das Wort suchen. Und dann hängen sie dort, geht diese merkwürdige Sehnsuchtsgemeinschaft ihren Weg und es ist so, als würden die Worte, die hier gesprochen werden, auch zu ihnen gesprochen werden, als würden die Lieder, die wir hier singen, auch ihnen gelten, als würden sich ihre Wege mit unseren verbinden und wir alle zusammen Richtung Gott gehen. Er uns entgegen.
Der kaum zu sehende Mann im linken Bild, von dem nur Kopf, Glatze und Haare und ein wenig Rücken sichtbar sind, der hat seinen Blick auf den Boden gerichtet. Was er genau macht, bleibt offen, ist offen. Es ist weiterzusehen. Vielleicht betet er, klagt er, weint er, hofft er. Auch was der Mann im rechten Bild in seiner linken Hand hat, bleibt rätselhaft. Ist es etwas, was er trägt. Dazu passt seine Haltung nicht. Wird er von etwas geführt? Hat er seine Hand an etwas, was ihn stützt? Auch hier müssen wir Betrachter weitersehen. Das, was er in der Hand hat, verbindet ihn auf jeden Fall mit der Erde, wie auch immer, erdet ihn. Wann reißt der Himmel auf? Beide Bildausschnitten scheinen zu sagen: unten rechts, unten am Boden, auf der Erde, da reißt der Himmel auf. Und genau dahin blickt das Jesuskind auf dem Arm von Maria, es blickt mit geschlossenen Augen zukünftig dorthin, wo er als Christus selber ist, ist als menschgewordener Himmel auf Erden - und genau dort bei ihm reißt der Himmel auf.

Montag, 17. Juni 2019

die weiße Farbe

Predigt an Trinitatis (16. Juni 2019)


„Franz Sattler: „Yellow-Magenta-Cyan“ (2011)



Gerahmte Farbenwelt

Eine Welt ohne Farben kann man sich nicht vorstellen. Sie wäre einfarbig, eintönig, grau, trist, lieblos. Unsere ganze Welt ist voller Farben, tausenden Farben, in ganz verschiedenen Nuancen, Schattierungen, Ausprägungen. Natürliche Farben, blutrot, sonnengelb, himmelblau, am schönsten, wenn sich der Blätterwald im Herbst in seinen Grüntönen zeigt. Künstliche Farben, mit denen man Autos, Gegenstände, Spielsachen bunt anmalt. Unsere eigenen Farben, die Farbe unserer Haare, wandelbar, die Farbe unserer Augen, die Farbe, mit denen wir unser Glück ausmalen.

Farben entstehen im Sehen, im Wahrnehmen, durch Brechung des Lichts; Farben kann man riechen: Wer hat nicht schon das regennasse Erdbraun des Bodens gerochen. Farben gibt es irgendwie wirklich: Woher sonst die Freude der Kinder am Malkasten, die Wunderwelten mancher Künstler, unsere Sehnsucht nach der Tristesse des Winters nach der neuen Farbwerdung unserer Naturwelt. Farben sind Symbole und unsere Kultur hat ihnen Bedeutungen beigelegt: Die Kälte des Blaus, das Grün als Hoffnung, die Wärme des Rots, schwarz für Trauer, weiß für Unschuld.

Die Farbigkeit Gottes hätte man sich ganz anders vorstellen können. Viel ungezügelter, lebendiger, mächtiger. Die drei Farben unseres Bildes sind akkurat, eingerahmt, geordnet: Drei gleiche, rechteckige Flächen, ordentlich nebeneinander gemalt, von links: Yellow, Magenta und Cyan. Das sind drei Idealfarben. Es sind die Grundfarben, aus denen alle anderen Farben sich mischen lassen. Es sind die drei Farben unserer grundlegenden Drucktechnik. Aus ihnen wird alles farbig gedruckt, was wir als bunte Welt anschauen und lesen. Zu ihnen tritt beim Vierfarbendruck normalerweise noch das Schwarz. Schwarz ist keine eigene Farbe, wir nehmen schwarz nur als Fehlen eines Farbeindrucks. Beim Vierfarbendruck dient Schwarz der Tiefe des Farbdrucks. In unserem Bild tritt zu den drei Grundfarben stattdessen das Weiß dazu: Ein weißer Schriftzug. Soll es statt Tiefe Höhe bedeuten? Der weiße Schriftzug ist gleichmäßig verteilt auf die drei Grundfarben: Von Yellow über Magenta zu Cyan ist zu lesen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“



In Namen hervorgehoben

Mit diesen Wort, mit diesem weißen Schriftzug beginnt jeder Gottesdienst. Bei jeder Taufe wird der Täufling unter diesen Worten getauft und ein jeder kann es mit Luther daheim beim Aufstehen und beim Zubettgehen zu sich selbst sagen, wenn er sich bekreuzigt: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Diese Worte, gesprochen zu allen, zum anderen, zu mir, sind fast beschwörend, sind anrufend, sind Bitte, Wunsch, Gelübde, etwas, in das wir alle dann immer wieder einstimmen, einstimmen mit Amen, Amen, ja, so sei es. Diese Wort, dieser weiße Schriftzug sind die würdevolle, hoffnungsvolle Provokation von Gottes Wirklichkeit inmitten unserer Welt: Diese Stunde des Gottesdienst ist seine Stunde mit uns, dieses Kind ist nun Gottes Kind, ich, ich bin sein. In seinem Namen geschieht dies alles, mit und in seiner Wirklichkeit, durch seine Präsenz. Diese Worte, dieser weiße Schriftzug, dieses uralte Votum heißt: Dein Reich komme! Jetzt. Es sei da. Es ist da.

Es ist das Reich, die Gegenwart, die Wirklichkeit des dreieinigen Gottes: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Es ist die Wirklichkeit eines Gottes, der in sich selbst voller Leben und voller Liebe ist. Die Dreifaltigkeit Gottes versichert uns: Gott ist in sich Liebe. Er hat einen Herzschlag, einen Herzschlag im Takt, im Rhythmus der Liebe. Er ist in sich, er ist schon immer und er ist in aller Ewigkeit Liebender, Geliebter und die Liebe, die beide miteinander verbindet. Das ist der Dreitakt seiner lebendigen, reichen Liebe. In diese Liebe, die vor allem und für alle ist, wird die Welt, werden wir einbezogen, hineingenommen, hineingeliebt, hineingeboren. Gott zeigt sich an uns als Liebender, als Geliebter, als Band der Liebe, das ihn mit uns verbindet.



Die Farbkraft der Liebe

Wie diese drei Grundfarben, aus der alle Farbe der Welt heraus machbar und wirklich ist, ist der dreieinige Gott, Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist, ein, der dreifarbiger Grundton der Welt, einer Welt, die er mit seiner Liebe durchzieht, einfärbt. Es braucht alle drei Grundfarben, um die Welt bunt zu machen; es braucht alle drei Personen der Dreifaltigkeit, um die Welt grundlegend zu lieben. Nur in ihrem Zusammenwirken, Zusammenlieben lieben sie die Welt, so wie die drei Grundfarben nur zusammen, nur in einer Einheit die Welt aus ihrem Grau, aus ihrer Tristesse herausholen und farbig machen.

Die Grundbewegung dieser Liebe Gottes ist Jesus Christus. An ihm, in ihm und durch ihn ist die Liebe Gottes ablesbar, spürbar. Seine Grundgeste ist liebende Zuwendung, das Zugehen ins Leben, das Aufgehen ins Leben. Im Segen wird diese Liebe Gottes gegenwärtig. Der Segen ist die Grundgeste der Liebe Gottes. Im Segen geschieht jenes, was wir mit Worten, mit weißen Schriftzug hervorrufen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.“ Im Segen wird Gottes dreieinige Liebe gegenwärtig, malen sozusagen seine Grundfarben meine Lebenswelt mit seiner Liebe bunt.

In unserem Bild sind die Grundfarben im Rahmen gehalten, sie erzählen von der Lebendigkeit, vom Leben, von diesem einen dreifarbigen Grundton Gottes in dieser Welt; aber sie sind es nicht selbst. Sie werden es durch den weißen Schriftzug, dadurch, dass wir ihn sagen, sprechen, in jedem Gottesdienst, bei jeder Taufe, zuhause, wenn wir aufstehen, wenn wir zu Bett gehen, wenn wir segnen und uns mit diesen Worten segnen lassen, wenn wir alles Vertrauen darauf setzen:

Das, was da über mich, für mich gesagt wird, wird auch lebendig, Gott ist lebendig in meinem Leben, im meinem persönlichen, in dem hier in unserem Mutterhaus, er ist wie die drei Grundfarben, mit denen er mein Leben gegen alles Grau, Eintönige, Triste und Lieblose bunt liebt. Ich bin Teil seines ewigen Herzschlages, Teil der Liebe, die gibt, empfängt und beides verbindet. Amen.






Freitag, 7. Juni 2019

Du!


Predigt an Pfingsten 2019 zu „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“ (EG 126)

1. Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist,
besuch das Herz der Menschen dein,
mit Gnaden sie füll, denn du weißt,
dass sie dein Geschöpfe sein.

Vertrauter (Gedanken zu Strophe 1)
In drei Liedern haben wir seit Beginn des Gottesdienstes um das Kommen gesungen: „O, komm, du Geist der Wahrheit“, „Komm, o komm, du Geist des Lebens“ und eben: „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“. Mit jeder Bitte haben wir uns tiefer in die Zeit hineingesungen, von 1833 beim ersten Lied über 1658 beim zweiten und nun mit der eben gesungen Strophe ins Jahr 1524 und eigentlich hinein in die Zeit Hymnus, dem diese Strophe zugrundeliegendet, in die Zeit des Jahres 809. 1200 Jahre von uns durchsungen, als würde diese Bitte um Kommen alle Zeit umfassen, als würde sie uns tief in die Zeit der Menschen hineinführen.
„Komm!“ ist eine Bitte. Wie oft mögen Menschen bitten, hoffen, erflehen, befürchten, dass jemand kommt oder nicht kommt. Wie oft mögen sie sagen: Komm, komm zu mir, komm in mein Haus, in mein Leben, in mein Herz. Und wie oft kommt etwas zu uns, kommt jemand zu uns, erwartet, erbeten, erhofft, ungewollt, und mit ihm, mit ihr mehr, viel mehr und das Kommen bedeutet das, was mit ihm wird, immer auch anders wird. Und Menschen lernen im Leben, auszubalancieren, was ihnen nahe kommen soll, und was nicht, was wie nahe kommen darf und muss, und was besser nicht.
„Komm, komm, Du.“ Wer das sagt, wer das betet, erhofft sich etwas, erhofft sich viel. Das Du zeugt von Nähe, die sein soll, von Vertrautheit, von Zugehörigkeit. Menschen sind auf der Suche nach einem Du, nach einem Vertrauten, nach jemanden, der zum Gegenüber des eigenen Ich wird, zum Du dem Ich, so dass das Ich auch zum Du des anderen Ich wird. Komm, Du Heiliger Geist, komm, du, ich bin dein, du gehörst zu mir, ich brauche, ich möchte deine Nähe, dich, dir gehöre ich. Ich bin dein Geschöpf, und du, du bist mein Schöpfer: Du, Gott Schöpfer, Heiliger Geist.
Menschen leben sich, sie gestalten ihr Leben, sie geben ihm Sinn, Inhalt und Form, sind Schöpfer ihres Lebens. Wer um den Heiligen Geist bittet, der bittet darum, dass Gott das Leben mitgestaltet, mit prägt, dass der Heilige Geist in das Leben kommt, um dort lebendig zu sein, Gott als lebendiges Prinzip lebendig zu machen, zu halten, mein Leben mit zu schaffen, mit zu bestimmen, mit zu formen, mit Sinn zu versorgen, für es zu sorgen. Gnade ist dies. Singen wir die Strophen 2-5.

2. Denn du bist der Tröster genannt,
des Allerhöchsten Gabe teu’r,
ein geistlich Salb an uns gewandt,
ein lebend Brunn, Lieb und Feu’r.

3. Zünd uns ein Licht an im Verstand,
gib uns ins Herz der Lieb Inbrunst,
das schwach Fleisch in uns, dir bekannt,
erhalt fest dein Kraft und Gunst.

4. Du bist mit Gaben siebenfalt
der Finger an Gotts rechter Hand;
des Vaters Wort gibst du gar bald
mit Zungen in alle Land.

5. Des Feindes List treib von uns fern,
den Fried schaff bei uns deine Gnad,
dass wir deim Leiten folgen gern
und meiden der Seelen Schad.

„Leben in mir“ (Gedanken zu Strophe 2-5)
Der Heilige Geist ist lebendig und wirkt in dem, in dem er lebendig ist. Der Heilige Geist ist das, was er wirkt. Er ist Wirkung Gottes in mir, nah und zart, macht er Gott in mir gegenwärtig und verwirklicht Gott in mir. So unsagbar dieses Geschehen ist, so sehr der Geist weht, wo er will, so ist dennoch in vorsichtige Worte zu fassen, in offene Bilder zu fassen, wer er ist und was er tut:
Er ist Geber und Gabe, er ist Schöpfer und Kraft, er ist Gnade und Gunst, er ist Licht und Liebe, er ist Brunnen und Feuer, er ist Wort und Leitung. Er ist dieses Göttliche in uns, in unserem Herzen, in unserem Verstand, in unserer Seele, in unserem schwachen Fleisch, in unser aller Land und er wirkt das, was er ist: Er besucht und möchte Gast auf Dauer sein, er wendet sich an uns und will und schafft ins uns, er entzündet uns und setzt uns instand, er erfüllt uns und erhält uns fest und sicher, er schützt uns, imprägniert uns von innen heraus, wehrt Schlimmes ab und hält fern, was uns schadet.
Im Lied singen und hören wir gegenseitig wunderbare Bilder vom Heiligen Geist, die ihn uns nahebringen: geistliche Salbe und Finger an Gottes Hand. Das Lied erinnert uns daran, wie sehr Gott selbst wirken möchte in unserer Welt, in unserem Leben, wie sehr er eingreifen möchte, wie sehr er uns an die Hand nehmen, leiten, führen, manchmal zurechtweisen, neu schaffen möchte, wie durch seine Hand, wie durch seinen Heiligen Geistes als göttlichen Finger. Und das Lied erinnert uns, wie verwundet, wie verletzlich und verletzt wir sind, wie wir manchmal wundgerieben sind, wie tiefe Schmerzfurchen und Narben unsere Seele durchziehen, und der Heilige Geist Gottes Liebe wie Salbe auf unsere geschundenen Seelenkörper legt, verteilt und uns heilt am Leben. Das ist unser Trost.
Und so wird der, der zu uns kommen soll, zu dem, was von ihm still in Worte und Bilder ausgesagt wird, er wird uns zum allerhöchsten, zum teuren, zum heiligen Gut, bekannt, vertraut, unser göttliches Du, ja unser göttliches Ich in uns. Unser Zutun ist dann fast nur: von ihm uns leiten lassen. Singen wir die Strophe 6.

6. Lehr uns den Vater kennen wohl,
dazu Jesus Christ, seinen Sohn,
dass wir des Glaubens werden voll,
dich, beider Geist, zu verstehn.

„Gott versenkt“ Gedanken zu Strophe 6 und in Blick auf 7
Das Lied bewegt uns wieder etwas weg von uns, als genüge, was über den Heiligen Geist zu uns gesagt ist. Es konzentriert uns wieder ganz auf Gott, auf den dreifaltigen, in sich lebendigen, von Liebe erfüllten Gott. Wir werden im Singen, im weiteren Bitten immer tiefer in Gott hineingeführt, in ihn wie hineingenommen: Der Geist in uns soll uns lehren, Gott zu erkennen, damit unser Glaube voll werde und wir den Geist verstehen. Der Geist führt uns zu sich selbst, erfüllt uns mit Glauben an Gott, führt uns tief und immer tiefer mit Kopf und Seele, Verstand und Herz, Fühlen und Denken in Gottes Welt hinein, wir werden immer mehr zu einem Teil von seinem Reich, so wie er immer mehr zum Teil von uns wird. Und dies ist kein Zirkelschluss. Es ist das: Wir sind wunderbar hineingenommen in Gottes lebendige, schöpferische, gnadenvolle, unser Leben heilende, wendende Bewegung.
Und so mündet alles, mündet unser Pfingstlied am Ende in Gottes Lob. Wer so sehr von Gott erfüllt ist, fließt so über, wie Gott es tut: in Singen, im Tun und im Loben. Am Anfang stand die Bitte: „Komm, komm, Du, Schöpfergeist“, am Ende steht Dank, Dank für diese Bitte und das Kommen Gottes und es steht das Lob dem, der den Tod überwindet und Auferstehung bringt, der so sehr schöpferisch ist und das Leben so liebt, dass der Tod, das Destruktive besiegt wird.
Am Anfang stand unsere Bitte um das Kommen, jetzt am Ende sind wir gekommen, kommen wir selbst zu Gott, in sein Leben hinein, das macht sein Geist in uns. So viel mag kommen und auch gehen in unserem Leben, so viel mag uns besuchen, uns fernbleiben, uns erfüllen, entleeren, nahe sein an Wunderbarem und Schmerzvollen, Gott schenkt uns seinen Heiligen Geist; bevor wir bitten, beseelt er uns schon, kommen und sind wir schon in seinem Leben, mitten in seiner schöpferischen Liebe, sind wir bestimmt sein Du und loben ihn. Singen wir Strophe 7

7. Gott Vater sei Lob und dem Sohn,
der von den Toten auferstand,
dem Tröster sei dasselb getan
in Ewigkeit alle Stund.