Donnerstag, 18. April 2019

Von dir angerührt


Predigt an Ostern 2019 (21. April 2019)

Johannes 20, 11-18
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. 13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.

Leerstelle
Zwischen den beiden Engeln, die Maria im Grab sieht, ist eine Leerstelle. Der eine Engel sitzt zu den Häupten, der andere zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu lag. Zwischen ihnen eine, jene Leerstelle. Eine Leerstelle, wie wir sie im Leben kennen, wenn jemand geht, aus der Haustür, eine Leerstelle für eine Zeit, weil der andere fehlt, nicht da ist, eine Leerstelle, die größer und übergroße werden kann, wenn der andere nicht wiederkommt, für immer wegbleibt, nie mehr wiederkommen könnte, weil er tot ist.
Maria sieht und empfindet diese Leerstelle doppelt. Sie weint, trauert. Ihr einziges Gefühl ist, dass Jesus nicht nur gestorben ist, sondern dass sein Leichnam auch noch weg ist, weggenommen, weggetragen, verloren, verloren gänzlich aus dem Leben, selbst jetzt die sterblichen Überreste. Maria ist umtrieben von der Frage: Wo? Wohin? Wo nur? Und es kehren all unsere eigenen Frage nach dem Wo von Menschen, nach dem Wohin nur von Menschen in Marias Frage ein.
Maria geht zum Grab, nicht am Ostermorgen, denn davon weiß sie nichts. Sie geht karfreitaglich zum Grab, sie beugt sich hinein, als wolle sie mit ihrem ganzen Körper, mit ihrer Seele und ihrem Leben den, der darin liegt, erreichen, umfassen, haben, berühren. Aber wie will, wie soll sie eine Leerstelle umfassen? Umfassen können?

Irgendwie anders berühren
Wie oft mag Maria Jesus schon berührt haben, normal, flüchtig, bewusster, gesucht, sie, die Jüngerin, und er, der Rabbuni, der Meister, der Gottes Sohn auf Erden. Wie oft hat sie ihm zugehört, hat seine Worte in sich aufgenommen, war begeistert von seinen Taten, berührt von seinem Wesen, von dem, was er Menschen und ihr brachte. Ein Leben ohne ihn? Ohne Berührung?
Noch ist Maria ganz in diesen Gefühlen. Auch noch als die Engel am leeren Grab mit ihr sprachen, als Jesus, der Auferstandene zu ihr tritt. Noch sieht, hört sie verschwommen, undeutlich, irgendwie verständlich gefangen vom Vortag, vom alten. Dann hört sie doch Jesu in seiner Stimme, aber welchen Jesus hört sie? Es ist der, der sie verwandeln möchte, der sie auffordert Ostern zu lernen, österlich zu denken, zu sehen, zu empfinden, zu werden. Noch hat sie unsere Sehnsucht in sich, Jesus ganz nah, ganz direkt zu sehen, zu spüren, zu haben, quasi körperlich und so seiner auf dieser gewohnten, alten Art nahe und gewiss zu sein.
Aber Jesus spricht sein: „Rühre mich nicht an!“ Er spricht es als Auferstandener, er spricht es in der gleichen Liebe, wie er sie schon immer hat, er spricht es zu Maria und er spricht es zu uns, damit wir neu ihn sehen, österlich ihn sehen und spüren lernen. „Rühre mich nicht an“, du könntest es, Maria, ich bin ja noch da, noch nicht weg, du könntest mich berühren, so wie früher vor meinem Tod, aber nun glaube, sehe anders: Du brauchst mich nicht mit Händen zu berühren, nicht direkt, nicht körperlich, nicht diese Nähe.

Maria!
Sondern anders, neu: Mit Ostern ist Jesus, Gottes Wirklichkeit auf Erden, auf den zweiten Blick zu entdecken. Das humorvolle Missverständnis, dass Maria ihn zuerst für den Gärtner hält, gehört zu Jesu neuer Wirklichkeit, zu seiner gewollten. Jesus ist im anderen zu entdecken, im zunächst Verborgenen, ja zuweilen Zweideutigen. Jene Leerstelle, jener Schmerz, jene Dunkelheit von Karfreitag bleibt irgendwie, aber sie wird aufgenommen. Jesus lässt sich entdecken auf den zweiten Blick, im nochmaligen, im sich verwandelnden Hinhören, in dem Moment, wo ER selbst uns anspricht.
Jesus wird nahe in seiner Sorge um Maria, in seiner Nachfrage nach ihrem Wo und Wohin? Für Jesus hat das nichts Absurdes oder Komisches. Jesus wird im Verborgenen sichtbar, spürbar in seiner Nachfrage nach der Not, die Maria treibt. Er wird für uns spürbar, sichtbar, in seiner ihm eigenen Nachfrage nach unserer Not, in seiner Maria-Nachfrage: Was ist mit dir? Was machst du? Das ist nicht investigativ. Es ist fürsorgend, liebend. Das ist Berührung.
Maria erkennt Jesus in dem Augenblick, als er sie direkt mit ihrem Namen anspricht, da klingt dann wie auf einmal alles durch, was war und sein wird, es ist wie ein allumfassendes Du zwischen Liebenden. Jesus wird gegenwärtig, kommt nahe, ist spürbar, berührbar, wenn er uns mit unserem Namen, mit unserer Identität, mit unserem Du anspricht. Er ist definitiv Gottes Sohn und so kann er dies wie kein anderer, er weiß grundlegend um uns, um unser Du, und da wo er uns damit anspricht, ist er da, vielmehr als er körperlich, persönlich, direkt da sein könnte. Er berührt uns dann wirklich und wir haben Ostern wirklich gelernt, sind selbst österlich.
Alles andere fließt daraus. Es ist nicht wesentlich, ob wir Jesus berühren. Es ist entscheidend, dass er das tut, und Ostern verspricht, dass er das tut. „Rühre mich nicht an!“- Ich rühre dich an Mensch. Tief berührt, Ostern in sich, geht Maria zurück und sagt weiter, was sie erlebt hat, bis heute zu uns. Amen.

Menschen sterben


Predigt an Karfreitag 2019 (19. April 2019)

Johannes 19,16-30
16 Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber, 17 und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König. 20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. 21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. 23 Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. 25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. 26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. 30 Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.

Selber tragen
Menschen sterben. Menschen sterben hier im Haus, sie sterben in Krankenzimmern, plötzlich auf der Straße, qualvoll unter Schmerzen, wunderbar friedlich. Menschen sterben zu abertausenden im Krieg, sie sterben in den Armen von anderen, sie sterben ganz allen, sie sterben stumm, mit letzten Worten, mit einer Anzeige in der Zeitung, bedacht, anonym, so wie sie gelebt haben und ganz anders. Menschen sterben. Auch ich werde sterben, wir alle werden es.
Jesus starb. Er musste sein Kreuz selber tragen, selber hinauftragen an die Schädelstätte. Andere hievten ihn hinauf ans Kreuz. Dorthin wurde er genagelt, wurde er gekreuzigt. Er erlebte, erduldete, erlitt dies, ganz passiv. Über seine Kleider wurde das Los geworfen. Es wurde verteilt, was er hatte, was er war. Mit Durst starb er, ungestillt verhöhnt. Er neigte sein Haupt zur Seite, das Leben wich aus ihm und er verschied, der Tod trennte ihn von allen Lebendigen.
Menschen tragen ihren Tod selbst hin zu der Stätte, an der sie sterben werden. Menschen sterben immer sich selber. Sie erleiden, erdulden, erleiden ihren Tod. Im Tod werden sie die Passiven sein, irgendwann ab einem bestimmten Punkt: Stirbt man nicht, sondern wird man gestorben. Und dann wird das Los geworfen, es wird verteilt, was das Leben in Gänze war. Es bleiben Bruchstücke, Fetzen, Erinnerungen, Nachlässe, Bleibendes als Stückwerk. Das Leben zerfällt im Tod merkwürdig in seine Einzelheiten. Und im Tod bleibt der Durst ungestillt, der letzte Durst, die letzte Sehnsucht unerfüllt. Menschen werden im Sterben ihr Haupt neigen, ihr Leben hat sich bis zur bitteren Neige geneigt, es ist wie endgültig leer gelaufen. Definitiv. Es ist so wie es ist. Verschieden. Der Tod trennt vom Leben.

Viele lesen
Jesus ging mit dem Kreuz auf seinen Schultern hinaus nach Golgatha, hinaus auf die Schädelstätte, nicht an einen einsamen Ort, nicht an einen abgeschiedenen. Er ging mit seinem Kreuz hinaus an diesen öffentlichen Ort. Dort waren andere Menschen, Herumstehende, welche, die neben ihm gekreuzigt wurden, andere, die ihn auf´s Kreuz hoben und bewachten, andere, die zuschauten, die blickend vorübergingen, andere, die unterm Kreuz standen, erschrocken waren und weinten. Über Jesus war eine Tafel, ein Schild, eine Überschrift. Dort war festgehalten sein Leben in kargen Buchstaben. Zu lesen von allen, die es lesen sollten, mussten. Auf verschiedenen Sprachen, wie eine kleine festgenagelte Proklamation weit hinaus. Jesus sprachen sein „Es ist vollbracht“, als sei dieser Ort ein Ort der Geschichte, als geschehe dort etwas im größeren und größten Horizont vor allen Menschen.
Menschen sterben nicht nur privat, nicht nur im kleinsten Kreis, nie anonym. Jesu Tod geht mit. Es ist ein eigentümliches Ineinander von seinem und unserem Sterben. Auch der Menschen Sterben geschieht nie nur verborgen, abgeschieden. Irgendwie sterben Menschen auch auf ihren Schädelstätten, hinausgegangen, hinausgetragen dort, wo Menschen sind. Es wird Herumstehende geben, wenn wir sterben, leibhaft und anders dabei. Welche, die an uns was tun, an uns vorüberziehen, und welche, die bei uns stehen und weinen. Dieser weitere Horizont geht mit ihm Sterben. Und es wird gleich Jesu eine Überschrift im Sterben da sein, eine Überschrift, wer wir waren, wer wir wirklich waren, was andere vernahmen und vermuten, was wir nie sein wollten und nie waren. Letztlich Gottes Überschrift über unser Leben, ein paar karge göttliche Buchstaben der Wahrheit von uns vor allen. Und es wird auch jenes „Es ist vollbracht“ erklingen, still, leise, von irgendwoher, von Golgatha her. Menschen sterben eingeordnet in den weiten Horizont des Lebens und der Geschichte.

In der Mitte
Jesus starb in der Mitte von zwei weiteren Sterbenden. Als hätte er sich dorthin gestellt. Ihm, dem die Mitte so wichtig war, jene Mitte, in die er Kinder stellt, das Reich Gottes und seine Liebe. Der Jesus am Kreuz sieht, spricht, weiß, verbindet und spendet. Er sieht die Menschen dort stehen, er sieht seine Mutter und den Jünger, den er liebte. Er sah und sprach und verband beide miteinander, machte seinen Blick zu ihrem, dass sie einander erkennen und so stiftetet Jesus in seinem einsamen Moment Zweisamkeit, eine neue Beziehung. Jesus sprach von seinem Durst und er wusste, dass alles vollbracht und erfüllt sein muss. Er hatte bis zum Schluss ein untrügliches Gefühl, ein sicheres Wissen von der Zeit, von dem, was passiert und sein wird.
Menschen sterben seit jenem Tod am Kreuz mit Jesus in ihrer Mitte, als würde Golgatha in alle Tode hinein vermehrt. Jesus tritt in unserem Tod mitten hinein, mitten hinein ins Sterben, ins Leben, links und rechts von ihm sind wir. Seine Nächsten im Tod. Dort, mitten in der Menschen Sterben, sieht er, spricht er, weiß er, verbindet und spendet er. Er sieht uns mitten in unserem Sterben, er spricht zu uns, er weiß um uns und er verbindet uns. Er stiftet neue Beziehung mitten im Tod, er verbindet uns mit uns, über den Tod hinaus, hinein, weit hinein, in weiteste Horizonte, die wir Ewigkeit, Himmel, Fülle nennen. Er verbindet uns mit uns im Tod und vollbringt, dass wir uns erfüllen, erfüllen hinein, hinein, dass im Tod auch Ostern für uns werden wird. Amen.

Donnerstag, 4. April 2019

Weizenkorn


Ansprache beim Gottesdienst „Atem holen“
am 4. April 2019
"Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht." | Joh 12,24

Dieser Satz, unser Wochenspruch, ist ein Bild, ein Bild, das den Weg des Weizenkorns beschreibt. So wie es für ein Weizenkorn ist, sein muss, wie sein Weg automatisch, natürlich, sinnvoll ist: Das Weizenkorn fällt in die Erde, es erstirbt dort, es bleibt nicht allein und es bringt dann viel Frucht. Am Ende des Weges steht viel Frucht, in der Mitte das Ersterben.
Das Bild beschreibt aber auch den Weg Jesu, den Weg, den er gehen muss, der so ist, wie er ist, wie sein Weg automatisch, natürlich, sinnvoll ist: Jesus fällt in die Erde: Er wird gefangen genommen, verhört, geschlagen, verurteilt, er geht den bitteren Weg hinauf nach Jerusalem. Jesus erstirbt: Er wird ans Kreuz geschlagen, er sagt letzte Worte, ihm wird der Essig gereicht und er stirbt. Jesus bleibt nicht allein: Es geschieht etwas in seinem Tod, es kommt einer hinzu, Gott lässt ihn nicht allein im Tod, er lässt ihn auferstehen. Er bringt ihn wieder zum Leben. Jesus bringt viel Frucht: Wir verkünden den Gekreuzigten und Auferstandenen bis auf den heutigen Tag als Heil der Menschen. Wir feiern Ostern und Weihnachten und sehen in Jesus Gottes Nähe zu uns. Wir werden durch Jesu Worte ermutigt, getröstet, aufgerüttelt, geheilt. Am Ende des Weges Jesu steht viel Frucht, in der Mitte das Sterben.
Das Bild mag aber auch den Weg von Menschen beschreiben, den Weg, den Menschen gehen müssen, der so ist, wie er ist. Ein Weg automatisch, natürlich, sinnvoll.
Sicher am Ende des Lebens. Sterben tun Menschen. Sie fallen in die Erde und ersterben. Die Hoffnung des Bildes, die Hoffnung aus dem Bild des Weizenkorns: Menschen bleiben im Sterben nicht allein, nicht im Moment des Sterbens, aber auch nicht im Sterben, im Tod. Da kommt, wie bei Jesus einer, es kommt Gott zu ihnen, und wie bei Jesus lässt Gott Menschen nicht im Tod, sondern bringt sie wieder zum Leben, lässt sie auferstehen, hinein in sein Reich, in seine Ewigkeit, dort werden Menschen vollendet leben, mit all den Früchten ihres irdischen Lebens jetzt im Himmel. Dieser Weg durch den Tod hin zum ewigen ist so, wie christliche Hoffnung es hofft, in ihrem Sinn, in ihrem Hoffen automatisch, natürlich, sinnvoll.
Aber auch im Leben, mitten im Leben könnte dieser Weg, dieses Bild gelten, Wirklichkeit meinen, beschreiben, die von Menschen: Leben fällt in die Erden, es erstirbt, es bleibt nicht allein und bringt viel Frucht. Auch im Leben könnte die Wahrheit des Weizenkorns stimmen, gelten, da sein, wirklich werden.
Der Weg für Menschen könnte sein: Wo in deinem Leben etwas erstirbt, wo etwas für dich in die Erde fällt, bleibt es nicht allein, es wird viel Frucht tragen. Vielleicht nach länger als drei Tagen, vielleicht unter Schmerz und Fragen, vielleicht auch unbemerkt und immer noch mit Bitterkeit vermischt. Aber es könnte doch so sein: Etwas erstirbt in deinem Leben, es bleibt aber nicht allein. Etwas vergeht, etwas wird nicht mehr sein, etwas wird erstorben sein, aber du bleibt nicht allein, es wird durch das Sterben hindurch Frucht wachsen. Still, leise, unbemerkt, aber trotzdem.
Dieser Gedanke, dieses Bild ist fast Vertröstung, ist fast zu einfach, und es braucht das „aber“. Es braucht auch die Hoffnung, dass es so ist, und es braucht vielleicht auch den Zweifel neben sich, ob es so ist, damit das Bild ernst und kraftvoll bleibt. Im Vergehen kommt etwas dazu, kommt Gott hinzu, bleiben wir nicht allein, so viel zumindest. Und vielleicht noch so viel: In der Mitte das Ersterben, am Ende aber die Frucht. So könnte der Weg, der Weg Gottes mit uns sein, sein automatischer, ihm natürlicher Weg, durch die Passion Richtung Ostern. Amen.

Umgepflügt


Ansprache zur Wieder-Einweihung von Haus Landwasser 
am 4. April 2019

"Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes." | Lk 9,62

Pflug
Mit einem Pflug pflügen Menschen einen Boden, einen Acker um, sie durchziehen ihn und wenden die Erde. Früher war das harte Arbeit und bedeutete Zeit und Schweiß, und es war die Vorbereitung dafür, dass wieder gesät werden konnte, dass wieder Früchte wuchsen.
Ans Haus Landwasser wurde auch der Pflug angelegt, das Haus wurde gründlich umgepflügt und der Boden gewendet, und das nicht nur baulich, sondern auch inhaltlich, strukturell und personell. Es wurde der Boden bereitet, damit wieder auf Menschenseelen gesät werden kann und wieder und weiter die Arbeit Früchte trägt. Die vergangenen zwei Jahre waren umwälzend, und es hat Zeit und Mühe, Gedanken, Ängste, Gespräche, Planen gekostet und viel Schweiß, innerlich und äußerlich. Jetzt ist umgepflügt und Neues beginnt.

Hand
Es wurde Hand angelegt. Früher an jenem Pflug, der mit der Hand durch den Acker geführt wurde, und heute die Hände beim Umpflügen von Haus Landwasser, Hände, die das alles gemacht haben, Hände der Bauarbeiter, der Landschaftsgärtner, der Fachplaner, der Architekten, der Leitenden, der Mitarbeiter und irgendwie auch die Hände derer, die hier wohnen.
Es wurde Hand angelegt an das Haus Landwasser und es wurde Kopf und Herz angelegt an Haus Landwasser, von so vielen und von einzelnen so viel, und was entstand ist hand-, kopf- und herzgemacht. Es ist gutes Menschenwerk. Es macht dankbar für alles Gelungene, für das Bewahrtwerden, für das Zusammenarbeiten, für das Segensreiche, was entstand. Es kann auch dankbar machen dafür, dass wohl Gott seine Hand über alles hielt, in Händen mitarbeitete, und es lässt bitten, dass er das fortsetze, dass auch Gotteswerk im Menschenwerk sei.

Zurücksehen
Mit der Hand am Pflug bitte nicht zurücksehen. Aber heute ist ein Tag des Zurücksehens, des Rückblick auf das, was geworden ist. Und wie oft wird im Haus Landwasser zurückgeblickt, auf das Leben, auf das, wie es geworden ist, wird zurückgeblickt auf Leben, um es zu verstehen, um es gemeinsam hoffentlich wieder zurechtzubringen.
Hier im Haus Landwasser wird deswegen nach vorne geblickt, soll wieder das Leben zusammen lichtfroher entwickelt werden, soll Leben wieder gelebt werden können, soll ein Leben, durch das ein merkwürdiger Pflug hindurchging, wieder spüren, dass in es gesät ist, dass Frucht verheißen wird. So blicken wir heute nach Vorne, auf die Zukunftsmöglichkeiten von jungen Menschen, für die das Haus da ist, gebaut wurde und wir arbeiten.

Geschickt
Sind wir geschickt? Geschickt für das Reich Gottes? Ist es dies Haus? Die darin arbeiten und leben? „Geschickt“ ist ein wunderbares Wort, es ist wunderbar zweideutig: Geschickt ist tauglich, ist brauchbar, ist etwas, was man gebrauchen und nutzen kann. Und geschickt ist man, wenn man zu gebrauchen ist und wenn man uns zu etwas gut nutzen kann. Geschickt waren viele, die das Haus Landwasser weitergedacht, geplant und gebaut haben; sie waren nicht nur geschickt, sondern bisweilen gesegnet.
Geschickt meint aber auch, dass uns jemand geschickt hat, dass uns jemand gesandt, auf den Weg gesetzt hat. Hat das Jemand? Spüren wir einen Auftrag, eine Sendung? Ich glaube: Gott schickt uns mit dem Haus Landwasser, und das haben alle, die im Haus Landwaser jetzt und in Zukunft leben, und es haben auch die sogenannten Kostenträger. Sie schicken uns. Und wir sind Geschickte. Geschickt ist man weniger wohin, sondern für etwas, man ist geschickt, dass etwas wird, hier: dass Haus Landwasser immer wieder wird.

Reich Gottes
Das Reich Gottes ist dort, wo Gott den Menschen passiert, wo Gott sich bei, unter und in Menschen ereignet. Dort wird er wirklich, dort ist er dann, dort gewinnt er Raum und Zeit. Dort geschieht Gott mit allem, was er ist, für Menschen ist: Dort geschieht Vergebung, Schutz, Lebensbrot, Trost, Ewigkeit in der Zeit, Neuaufbruch, Liebe, vor allem Liebe.
Ich glaube, dass Menschen brauchen, dass ihnen Gott geschieht, dass er sich ihnen ereignet. Was ihr vom Haus Landwasser jetzt schon tut und vorhabt, zu was euch das Gebäude in die Lage versetzt, ist Lebensarbeit und wunderbar. Er schenkt Menschen Anteil am Leben, und da, wo Leben ist, ist Gott.
Im Haus Landwasser wird Hand an den Lebenspflug gelegt, blicken Menschen, aus verschiedenen Lebensperspektiven, gemeinsam nach vorne, soweit bis Leben wieder sichtbarer wird, wird auch Leben vorsichtig umgepflügt mit viel Mühe und Arbeitsschweiß, wird sichtbar, dass ein jeder für das Reich Gottes taugt, dass Gott jeden gebrauchen mag und liebt, dass das dieses Haus ein Stück vom Reich Gottes schon ist.