Predigt an
Ostern 2019 (21. April 2019)
Johannes 20, 11-18
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.
Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein 12 und sieht zwei Engel
in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo
der Leichnam Jesu gelegen hatte. 13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst
du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß
nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um
und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu
ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und
spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn
hingelegt? Dann will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte
sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17
Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren
zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu
meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria Magdalena
geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu
ihr gesagt habe.
Leerstelle
Zwischen
den beiden Engeln, die Maria im Grab sieht, ist eine Leerstelle. Der eine Engel
sitzt zu den Häupten, der andere zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu lag.
Zwischen ihnen eine, jene Leerstelle. Eine Leerstelle, wie wir sie im Leben
kennen, wenn jemand geht, aus der Haustür, eine Leerstelle für eine Zeit, weil
der andere fehlt, nicht da ist, eine Leerstelle, die größer und übergroße
werden kann, wenn der andere nicht wiederkommt, für immer wegbleibt, nie mehr wiederkommen
könnte, weil er tot ist.
Maria sieht
und empfindet diese Leerstelle doppelt. Sie weint, trauert. Ihr einziges Gefühl
ist, dass Jesus nicht nur gestorben ist, sondern dass sein Leichnam auch noch
weg ist, weggenommen, weggetragen, verloren, verloren gänzlich aus dem Leben,
selbst jetzt die sterblichen Überreste. Maria ist umtrieben von der Frage: Wo?
Wohin? Wo nur? Und es kehren all unsere eigenen Frage nach dem Wo von Menschen,
nach dem Wohin nur von Menschen in Marias Frage ein.
Maria geht
zum Grab, nicht am Ostermorgen, denn davon weiß sie nichts. Sie geht karfreitaglich
zum Grab, sie beugt sich hinein, als wolle sie mit ihrem ganzen Körper, mit
ihrer Seele und ihrem Leben den, der darin liegt, erreichen, umfassen, haben,
berühren. Aber wie will, wie soll sie eine Leerstelle umfassen? Umfassen
können?
Irgendwie anders berühren
Wie oft mag
Maria Jesus schon berührt haben, normal, flüchtig, bewusster, gesucht, sie, die
Jüngerin, und er, der Rabbuni, der Meister, der Gottes Sohn auf Erden. Wie oft
hat sie ihm zugehört, hat seine Worte in sich aufgenommen, war begeistert von
seinen Taten, berührt von seinem Wesen, von dem, was er Menschen und ihr brachte.
Ein Leben ohne ihn? Ohne Berührung?
Noch ist
Maria ganz in diesen Gefühlen. Auch noch als die Engel am leeren Grab mit ihr
sprachen, als Jesus, der Auferstandene zu ihr tritt. Noch sieht, hört sie
verschwommen, undeutlich, irgendwie verständlich gefangen vom Vortag, vom
alten. Dann hört sie doch Jesu in seiner Stimme, aber welchen Jesus hört sie? Es
ist der, der sie verwandeln möchte, der sie auffordert Ostern zu lernen,
österlich zu denken, zu sehen, zu empfinden, zu werden. Noch hat sie unsere
Sehnsucht in sich, Jesus ganz nah, ganz direkt zu sehen, zu spüren, zu haben,
quasi körperlich und so seiner auf dieser gewohnten, alten Art nahe und gewiss
zu sein.
Aber Jesus
spricht sein: „Rühre mich nicht an!“ Er spricht es als Auferstandener, er
spricht es in der gleichen Liebe, wie er sie schon immer hat, er spricht es zu Maria
und er spricht es zu uns, damit wir neu ihn sehen, österlich ihn sehen und
spüren lernen. „Rühre mich nicht an“, du
könntest es, Maria, ich bin ja noch da, noch nicht weg, du könntest mich
berühren, so wie früher vor meinem Tod, aber nun glaube, sehe anders: Du
brauchst mich nicht mit Händen zu berühren, nicht direkt, nicht körperlich,
nicht diese Nähe.
Maria!
Sondern anders,
neu: Mit Ostern ist Jesus, Gottes Wirklichkeit auf Erden, auf den zweiten Blick
zu entdecken. Das humorvolle Missverständnis, dass Maria ihn zuerst für den
Gärtner hält, gehört zu Jesu neuer Wirklichkeit, zu seiner gewollten. Jesus ist
im anderen zu entdecken, im zunächst Verborgenen, ja zuweilen Zweideutigen.
Jene Leerstelle, jener Schmerz, jene Dunkelheit von Karfreitag bleibt
irgendwie, aber sie wird aufgenommen. Jesus lässt sich entdecken auf den
zweiten Blick, im nochmaligen, im sich verwandelnden Hinhören, in dem Moment,
wo ER selbst uns anspricht.
Jesus wird
nahe in seiner Sorge um Maria, in seiner Nachfrage nach ihrem Wo und Wohin? Für
Jesus hat das nichts Absurdes oder Komisches. Jesus wird im Verborgenen
sichtbar, spürbar in seiner Nachfrage nach der Not, die Maria treibt. Er wird
für uns spürbar, sichtbar, in seiner ihm eigenen Nachfrage nach unserer Not, in
seiner Maria-Nachfrage: Was ist mit dir? Was machst du? Das ist nicht
investigativ. Es ist fürsorgend, liebend. Das ist Berührung.
Maria
erkennt Jesus in dem Augenblick, als er sie direkt mit ihrem Namen anspricht,
da klingt dann wie auf einmal alles durch, was war und sein wird, es ist wie
ein allumfassendes Du zwischen Liebenden. Jesus wird gegenwärtig, kommt nahe,
ist spürbar, berührbar, wenn er uns mit unserem Namen, mit unserer Identität,
mit unserem Du anspricht. Er ist definitiv Gottes Sohn und so kann er dies wie kein
anderer, er weiß grundlegend um uns, um unser Du, und da wo er uns damit
anspricht, ist er da, vielmehr als er körperlich, persönlich, direkt da sein könnte.
Er berührt uns dann wirklich und wir haben Ostern wirklich gelernt, sind selbst
österlich.
Alles
andere fließt daraus. Es ist nicht wesentlich, ob wir Jesus berühren. Es ist
entscheidend, dass er das tut, und Ostern verspricht, dass er das tut. „Rühre
mich nicht an!“- Ich rühre dich an Mensch. Tief berührt, Ostern in sich, geht Maria
zurück und sagt weiter, was sie erlebt hat, bis heute zu uns. Amen.