Donnerstag, 18. April 2019

Von dir angerührt


Predigt an Ostern 2019 (21. April 2019)

Johannes 20, 11-18
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. 13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.

Leerstelle
Zwischen den beiden Engeln, die Maria im Grab sieht, ist eine Leerstelle. Der eine Engel sitzt zu den Häupten, der andere zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu lag. Zwischen ihnen eine, jene Leerstelle. Eine Leerstelle, wie wir sie im Leben kennen, wenn jemand geht, aus der Haustür, eine Leerstelle für eine Zeit, weil der andere fehlt, nicht da ist, eine Leerstelle, die größer und übergroße werden kann, wenn der andere nicht wiederkommt, für immer wegbleibt, nie mehr wiederkommen könnte, weil er tot ist.
Maria sieht und empfindet diese Leerstelle doppelt. Sie weint, trauert. Ihr einziges Gefühl ist, dass Jesus nicht nur gestorben ist, sondern dass sein Leichnam auch noch weg ist, weggenommen, weggetragen, verloren, verloren gänzlich aus dem Leben, selbst jetzt die sterblichen Überreste. Maria ist umtrieben von der Frage: Wo? Wohin? Wo nur? Und es kehren all unsere eigenen Frage nach dem Wo von Menschen, nach dem Wohin nur von Menschen in Marias Frage ein.
Maria geht zum Grab, nicht am Ostermorgen, denn davon weiß sie nichts. Sie geht karfreitaglich zum Grab, sie beugt sich hinein, als wolle sie mit ihrem ganzen Körper, mit ihrer Seele und ihrem Leben den, der darin liegt, erreichen, umfassen, haben, berühren. Aber wie will, wie soll sie eine Leerstelle umfassen? Umfassen können?

Irgendwie anders berühren
Wie oft mag Maria Jesus schon berührt haben, normal, flüchtig, bewusster, gesucht, sie, die Jüngerin, und er, der Rabbuni, der Meister, der Gottes Sohn auf Erden. Wie oft hat sie ihm zugehört, hat seine Worte in sich aufgenommen, war begeistert von seinen Taten, berührt von seinem Wesen, von dem, was er Menschen und ihr brachte. Ein Leben ohne ihn? Ohne Berührung?
Noch ist Maria ganz in diesen Gefühlen. Auch noch als die Engel am leeren Grab mit ihr sprachen, als Jesus, der Auferstandene zu ihr tritt. Noch sieht, hört sie verschwommen, undeutlich, irgendwie verständlich gefangen vom Vortag, vom alten. Dann hört sie doch Jesu in seiner Stimme, aber welchen Jesus hört sie? Es ist der, der sie verwandeln möchte, der sie auffordert Ostern zu lernen, österlich zu denken, zu sehen, zu empfinden, zu werden. Noch hat sie unsere Sehnsucht in sich, Jesus ganz nah, ganz direkt zu sehen, zu spüren, zu haben, quasi körperlich und so seiner auf dieser gewohnten, alten Art nahe und gewiss zu sein.
Aber Jesus spricht sein: „Rühre mich nicht an!“ Er spricht es als Auferstandener, er spricht es in der gleichen Liebe, wie er sie schon immer hat, er spricht es zu Maria und er spricht es zu uns, damit wir neu ihn sehen, österlich ihn sehen und spüren lernen. „Rühre mich nicht an“, du könntest es, Maria, ich bin ja noch da, noch nicht weg, du könntest mich berühren, so wie früher vor meinem Tod, aber nun glaube, sehe anders: Du brauchst mich nicht mit Händen zu berühren, nicht direkt, nicht körperlich, nicht diese Nähe.

Maria!
Sondern anders, neu: Mit Ostern ist Jesus, Gottes Wirklichkeit auf Erden, auf den zweiten Blick zu entdecken. Das humorvolle Missverständnis, dass Maria ihn zuerst für den Gärtner hält, gehört zu Jesu neuer Wirklichkeit, zu seiner gewollten. Jesus ist im anderen zu entdecken, im zunächst Verborgenen, ja zuweilen Zweideutigen. Jene Leerstelle, jener Schmerz, jene Dunkelheit von Karfreitag bleibt irgendwie, aber sie wird aufgenommen. Jesus lässt sich entdecken auf den zweiten Blick, im nochmaligen, im sich verwandelnden Hinhören, in dem Moment, wo ER selbst uns anspricht.
Jesus wird nahe in seiner Sorge um Maria, in seiner Nachfrage nach ihrem Wo und Wohin? Für Jesus hat das nichts Absurdes oder Komisches. Jesus wird im Verborgenen sichtbar, spürbar in seiner Nachfrage nach der Not, die Maria treibt. Er wird für uns spürbar, sichtbar, in seiner ihm eigenen Nachfrage nach unserer Not, in seiner Maria-Nachfrage: Was ist mit dir? Was machst du? Das ist nicht investigativ. Es ist fürsorgend, liebend. Das ist Berührung.
Maria erkennt Jesus in dem Augenblick, als er sie direkt mit ihrem Namen anspricht, da klingt dann wie auf einmal alles durch, was war und sein wird, es ist wie ein allumfassendes Du zwischen Liebenden. Jesus wird gegenwärtig, kommt nahe, ist spürbar, berührbar, wenn er uns mit unserem Namen, mit unserer Identität, mit unserem Du anspricht. Er ist definitiv Gottes Sohn und so kann er dies wie kein anderer, er weiß grundlegend um uns, um unser Du, und da wo er uns damit anspricht, ist er da, vielmehr als er körperlich, persönlich, direkt da sein könnte. Er berührt uns dann wirklich und wir haben Ostern wirklich gelernt, sind selbst österlich.
Alles andere fließt daraus. Es ist nicht wesentlich, ob wir Jesus berühren. Es ist entscheidend, dass er das tut, und Ostern verspricht, dass er das tut. „Rühre mich nicht an!“- Ich rühre dich an Mensch. Tief berührt, Ostern in sich, geht Maria zurück und sagt weiter, was sie erlebt hat, bis heute zu uns. Amen.

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