Donnerstag, 29. August 2013

Bestimmt!



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Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis (1.09.2013) zu 
„I have a dream“ von Martin Luther King

Träumen
Von was träumen wir? Nicht in den Nachtträumen. In den Tagträumen. Wenn wir in uns etwas ausmalen, vorstellen, wünschen, etwas was werden soll. Erreichbares und Unerreichbares. Bilder, Gedanken, Wünsche, die uns entheben vom Alltag, beflügeln, vertrösten, täuschen. Was wir uns erträumen, hängt von dem ab, wie unsere Wirklichkeit aussieht, ob sie uns bedrückt, ob sie grau ist, ob sie etwas übrig hat, von dem wir träumen, was anders, besser, schöner werden soll.
Träumen wir noch? Oder haben wir uns das schon lange verboten? Hat die Realität uns das Träumen ausgetrieben oder ist alles, so wie es sein soll? Haben wir schon alles ausgeträumt? Wir kennen, haben Alpträume, dunkle Bilder, wie schrecklich es sein kann und auch manchmal ist. Haben wir dagegen Träume, wie es wieder gut wird? Träume sind keine Visionen, Leitbilder, die man mit Zielsetzungen und guten Methoden erreichen könnte. Träume bewegen sich fast spielerisch, sehnsüchtig in Balance, auf dem Grat zwischen unerreichbar und doch machbar, zwischen unwirklich und doch möglich.
Träumen wir gemeinsame Träume? Träume, die nicht nur ich habe oder du, sondern wir beide, wir gemeinsam, die wir teilen, wie etwas, nach dem es sich gemeinsam streben, auf das sich gemeinsam hoffen lässt. Träume, die die Menschheit träumt? Irgendwo tief verankert in unserer gemeinsamen Geschichte und in einer gemeinsamen Zukunft. Träume davon, wie unser Leben gemeinsam aussehen soll, könnte, wie es für uns, für uns alle besser wäre. Ist da schon alles eingelöst?

I still have a dream
Martin Luther King hat vor 50 Jahren so einen gemeinsamen Traum in Worte gefasst. Er hatte einen Traum von einer Oase der Gerechtigkeit, von einem Tisch der Brüderlichkeit, von einem neuen Exodus in die Freiheit hinein.
Sein Traum war ein gemeinsamer Traum. Auch wenn er immer wieder Ich sagte, träumte er für alle, mit allen, träumte er alle, Schwarze und Weiße, Arme und Reiche, Schwestern und Brüder. Sein Traum war ein alter, ewiger, wahrer Traum. Einer, der Wurzeln hatte, die hinunter reichen in das tiefe Bewusstsein der Menschen, der uneingelöst war, der versprochen war, der jetzt geträumt wird, der jetzt sich beginnt zu erfüllen, dessen Tag gekommen ist, der die Zukunft in Bilder so herbeiholt, dass sie beginnen zu werden, einer, der kleine und klein gemachte Menschen in seiner Größe hineinnimmt und sie so zu seinem Teil, zu seiner Bewegung macht.
Sein Traum war ein kämpferischer Traum. Einer, der aber mit den Waffen des Geistes, der Wort, der Hoffnung und des Glaubens kämpfte, der nie gewaltsam gegen andere kämpfte, der Leiden ertrug und darin erlösende Kraft sah, der unzufrieden war, aber nie aufgab, der beharrlich war und nie verzweifelte, der die Kraft gab, aufzustehen, zu singen, erschallen zu lassen überall, von was er träumte. Sein Traum war ein ganz alltäglicher Traum. Einer, der Menschen von ihm faszinierte, der in Menschen selbst diesen Traum erwachen ließ und sie dorthin diesen Traum sagen, leben ließ, wo sie waren, lebten. Ein Traum, der nicht fern der Wirklichkeit war, sondern der für die Wirklichkeit war, in ihr seine Wurzeln hatte und Menschen ihn dort weiter träumen ließ, wo sie lebten, wo der Traum ihre Wirklichkeit zu einer andere werden ließ.

Gott träumt
Christen träumen Gottes Traum. Nirgendwo wird in der Bibel gesagt, dass Gott träumt. Nirgends. Und doch ist dieses Buch, sind diese Worte ein einziger Traum Gottes, seine Vorstellung, sein Wunsch, sein Wollen, sein Hoffen, seine Vision, seine Bestimmung von der Welt, von Menschen, von mir und von dir, von uns.
Martin Luther King hat einen göttlichen Traum geträumt. Denn Gottes Traum ist ein gemeinsamer Traum, ist ein alter, ewiger, wahrer Traum, ist ein kämpferischer, ist ein alltäglicher Traum. Denn Gott ist ein liebender Gott, der uns alle schon immer und immer wieder ewig liebt, der uns leidenschaftlich, kämpferisch liebt, der uns als seine alltägliche Menschen liebt, so wie wir sind.
Gott hat seinem Traum ein Gesicht seiner Liebe gegeben. Sein Traum gewinnt Gestalt in Jesus Christus. Er ist das Ebenbild Gottes, in das Menschen hineinverwandelt werden sollen, so dass sie zu Gottes Ebenbild werden. Menschen sind unterschiedlich, immer. Sie werden nicht gleich geboren, die einen werden in den Slums geboren, die anderen im Nobelviertel, die einen sind homosexuell, die anderen heterosexuell, die einen sind intelligent, die anderen mit großen Herz, die einen haben schwarze Haut, die anderen weiße. Menschen haben Unterschiede, von Anfang an und noch mehr im Leben, das unterschiedlicher manchmal nicht sein könnte, und manchmal reiben Menschen sich an ihrer Unterschiedlichkeit bis zur Unerträglichkeit, benachteiligen und bevorzugen einander, beherrschen einander und lassen Unterschiede herrschen.
Gottes Traum ist es aber, dass Menschen einander immer zuerst als seine Ebenbilder anschauen, wahrnehmen, erkennen, achten; immer wieder, auch wenn´s an die Schmerzgrenze geht. Sein Traum ist es, dass Menschen im anderen Christus, sein Bild, suchen, sehen, entdecken, auch wenn es dazu immer einen zweiten, dritten, beharrlichen, zu recht liebenden Blick braucht.
Dann würden in diesem Blicken die Unterschiede nur eine zweite Rolle spielen, sie würden nicht den Ausschlag geben. Weil Gottes Licht auf alle fiele, weil alle zuerst als seine geliebten Geschöpfe erschienen, denen Leben und Zukunft gehört, deren Würde in Gott gründet. Dann würden alle gleich gesehen werden, dann würden alle einen gemeinsamen An-Blick teilen und Brüder und Schwestern sein, dann würden alle frei werden, frei so zu leben, wie geliebte Menschen, so wie Christus von Gott. Amen.

Samstag, 24. August 2013

Seelenatem



Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis (25.8.13)

Vom Almosengeben (Matthäus 6, 1-4)
Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.

Seelenblick
Jesus blickt auf unsere Seele. Durch unseren Körper wie hindurch, hindurch durch alle Kleidungsstücke, Einkleidungen, Daraufgelegtes, durch Antrainiertes, Vorbehalte, Masken, durch Schutzmechanismen, Ängstlichkeiten, Vorstellungen. Jesus blickt auf unser Innerstes, auf das, was und wer wir sind, im Kern, im Wesentlichen, eigentlich, dorthin, wo unser Herz schlägt, unsere Gefühle wohnen, unser Denken einkehrt, unsere Hoffnung Anker hat, wo sich Schmerz und Fragen eingraben, von Wunden heilen, wo unsere Stunden sich wiederfinden, die Begegnungen und Menschen. Auf unsere Seele.
Pass auf auf sie. Gib Acht darauf. Auf deine Seele. Höre ich Jesus sagen. Pass auf deine Seele auf, wie ich auf sie blicke. Gib Acht auf deine Seele, dass ihr nichts passiert, dass ihr nichts geschieht, dass sie nicht Schaden nimmt, plötzlich oder langsam zerbricht, kaputt geht in dir; wenn du lebst und atmest, wenn du gehst und handelst, wenn du versuchst das Rechte zu tun und das Falsche zu lassen, dann habe Acht auf deine Seele. Pflege sie im Beten, im Fasten, im Sorgen, im Richten, im Versöhnen, im Lieben, im Fromm werden. Sie ist Salz der Erde, Licht der Welt, das Selige in dir.
Sie ist die in dir, die Almosen gibt, die sich vom anderen berühren lässt, die sich nicht abwendet von dem in der Gosse, in Not, die blicken lässt mit liebenden Augen, die Mitleid empfindet, sich öffnet, sich hineinkniet, aufhebt, die angerührt gibt, von sich gibt, einen Teil, einen Teil Gefühl, Sorge, Zeit, Tatkraft, die des Körpers Hand in die Tasche greifen lässt und die Almosen, die Münze für den anderen aus der eignen Hand in die des anderen gibt. Es ist deine Seele, die das tut.

Selbstvergessen widerspiegeln
Gibt Acht darauf. Auf deine Hand und die Münze darin. Jesus blickt auf sie und wie schnell spiegeln wir uns selbst in Glanz der Münze, im Glanz der Almosen. Sehen uns darin, wie wir geben, und die anderen, die dies sehen könnten: Sehen uns selbst, die kleine Geschichte unserer Münze, dass wir sie erarbeitet haben, bekommen haben, dass sie unsere ist, irgendwie bleibt, sehen unsere Wünsche, was mit ihr in der Hand des anderen geschehe, unsere Welt - und die anderen, die dies sehen können, sollen, müssen. Und verlieren den Blick. Irgendwie auf tragische Weise sehen, denken, gehen wir zu weit, erliegen der Gefahr, es doch auch, vor allem für uns und die anderen zu tun, heuchlerisch, scheinheilig zu werden, und darüber, dabei unsere Seele selbst zu vergessen, jene Seele, die die Münze, die Almosen uns in die Hand gab und gibt.
Gib Acht auf sie, blickt Jesus: Schau die Münze einfach nicht an, nicht deine Hand, die sie gibt, spiegele dich nicht in ihr wider. Vergiss einfach, dass du es bist, der gibt, dass es deine Hand ist, du weißt es einfach nicht, sei dir selbst verborgen, weil deine Seele, das verborgene in dir im Geben selbst spricht.
Eine Seele, die sich öffnet und schließt, die fasst und loslässt, die gibt und empfängt. Die lebt und lebendig ist im immerwährenden Geben und Nehmen, in einer tiefen Verbundenheit von Seelen. Seelen, die Glück haben im Leben und reicher werden, die Pech haben und ärmer sind, die sich selbst was erarbeitet, die unverhofft ramponiert werden, die mitsterben, wenn liebe Menschen sterben, die klagen, weinen und wieder hoffen, die sich freuen ganz intim in sich, aber über die Augen strahlend, die atmen, aus und ein, im Bekommen und Schenken.
Seele, die den Blick von sich gewandt, nicht auf die anderen, in der gebenden Hand, in der Münze sieht, wie wir alle verbunden sind, wie die Münze letztlich eine tiefere Welt spiegelt: Nähe und Erinnerung, Bitte und Dank, Bedürftigkeit und Glanz, Vergeben und Verzeihen, Seelenteile, Seelenleben selbst. Gibt Acht auf sie. Jesus sieht in der Münze, in der Almosen ein Zeichen der Liebe, einen Atemzug der Liebe, ein Atemzug von Gottes Geist in der Welt.

Zuwendung
Gott schaut unsere Seele an, uns. Das ist himmlischer Lohn, einer immer im Voraus. Er weiß, was unsere Seele ist, was sie fühlt, was sie braucht, was ihr geschieht. Er blickt ins Verborgene, in das, was uns selbst manchmal verborgen ist.  Sein Blick ist nicht entlarvend, argwöhnisch untersuchend, er ist interessiert, leidenschaftlich und immer liebevoll, er blickt in die Tiefe, auf den Seelengrund, und passt im Blicken auf unsere Seele auf.
Gott hat Acht auf unsere Seele. Nichts anderes sagt uns Jesu Blick und sein Bitten. Gott hat Acht auf unsere Seele, sie ist es, die er bedürftig sieht, wie ausgestreckt nach Empfangen hungrig, nach Worten, Zuwendung, Sinn, Halt, nach Liebe. Bedürftig, weil sehnsüchtig, weil verletzlich, weil angewiesen, weil eingebunden im Fluss von Geben und Nehmen.
Gott selbst gibt uns Almosen, aus sich heraus, ein Teil von sich. Und manchmal sind es Almosen und dies genau das ganze Leben für uns Menschenkinder. Gottes Liebe ist angerührt von uns, berührt. Er öffnet sein Herz und gibt daraus überströmend. Es fließt zu uns zurück, was wir jemals gaben. Und gaben wir nichts, oder mit schalen Blick auf die Münze, in der wir uns nur spiegeln, dann können wir hoffen: Vielleicht weiß Gottes Linke manchmal auch nicht was die Rechte tut, und er gibt dennoch und zurück, was wir nicht gaben. Gnadengeschenk für Seelen. Amen.