Freitag, 25. August 2017

Sein Wunsch nach Reue



Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis (27.8.17)

Matthäus 21, 28-32
28 Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. 29 Er antwortete aber und sprach: Ich will nicht. Danach aber reute es ihn, und er ging hin. 30 Und der Vater ging zum andern Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr!, und ging nicht hin.
31 Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie sprachen: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. 32 Denn Johannes kam zu euch und wies euch den Weg der Gerechtigkeit, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr's saht, reute es euch nicht, sodass ihr ihm danach geglaubt hättet.

Weitersehen
Jesus sieht auf die zwei Söhne, auf den Vater in der biblischen Geschichte. Jesus sieht auf die Zöllner und Huren auf den Straßen in Jerusalem. Jesus sieht auf die Pharisäer und Schriftgelehrten, dien ihn und Gott fragen. Jesus sieht auf uns, die wir hier sitzen. Alles Menschen.
Jesus sieht wie Menschen den Willen Gottes tun. Nichts sehnlicher wünscht er sich. Er sieht sie gehen, aufbrechen, im Heute Gottes leben und an seiner Wirklichkeit arbeiten. Jesus sieht Menschen den Weg der Gerechtigkeit gehen, in Frieden zum Frieden, Menschen wie sie im Gottes Herrlichkeit wandeln, sein Glanz auf ihnen ruht. Jesus sieht Menschen ins Reich Gottes kommen, nicht nur am Ende ihrer Zeit, sondern schon zu ihren Lebensaugenblicken sieht er sie auf Gott ihr Leben setzen, seiner Liebe folgen, alles Wesentliche von ihm bekommen, erfüllt leben. Nichts sehnlicher wünscht sich Jesus. Er sieht Gottes Weinberg, die uralte und immer neue Erzählung von Menschen, für die Gott arbeitet, die für Gott arbeiten, die wachsen, Früchte tragen, die das Leben schmecken und selbst Leben für anderen sind. Nichts sehnlicher wünscht sich Jesus. Nichts anderes will er sehen.

Tiefer wissen
Jesus weiß: Menschen, wir, sind gerufen, gerufen von Gott, mit dem Tag ihrer Geburt, jeden Tag neu, immer wieder, beharrlich. An Menschen ist Gottes Ruf gerichtet, sie sind Gottes Sinn, Gottes Gegenüber, deren Liebe er sich wünscht, die er liebt. Jesus weiß, Gott spricht Menschen an, mitten in ihrem Alltag, leise, unüberhörbar. Gottes Wort gilt ihnen, jenes Wort, das die Welt schuf und schafft, das alles wenden kann, das tröstet, richtet, Kraft ist. Jesus weiß, wir sind von Gott gemeint, aufgefordert, gefragt nach unserem Leben, wie wir es leben möchte, zu leben gedenken, wie wir glauben, dass es auf Gottes Frage eine Antwort sein könnte, wie wir auf seine Lebensfrage Lebensantwort sind.
Jesus weiß: Menschen fällt ihre Antwort schwer, sie wissen nicht immer genau, wie auf Gott zu antworten ist, sie haben viele, zu viele Antwortmöglichkeiten, zu viele Gedanken schwirren ihnen im Kopf, zu viele Seelen schlagen manchmal in ihrer Brust. Manchmal sind sie auch viel zu unentschlossen, zu lau, zu wenig geübt im Antworten auf Gott, zu kleingläubig auch. Manchmal sind sie auch blind, taub für Gott, taub geworden über all die Jahre, durch zu viel Stimmengewirr der Anderen, durch sich selbst.
Jesus weiß: Menschen übersehen Gottes Wegweiser Richtung Leben, sie stolpern furchtbar auf dem Weg der Gerechtigkeit, sie nehmen seine Verheißungen als Befehle, seine Gebote als Zumutungen, sein Wille als Möglichkeit, sie verschieben Gottes Heute auf Morgen, scheuen die Arbeit im Weinberg, verfehlen das Reich Gottes, ohne es zu wissen und absichtlich, versagen jene ein Antwort auf Gottes Frage nach Leben, nach uns, bleiben ohne Gottesresonanz. Sie sagen Nein statt Ja.

Zutrauen
Jesus bleibt ihnen aber treu. Er bleibt bei Ja. Jesus sieht die Menschen und er glaubt an deren Reue, an ihre wunderbare Kraft. Er weiß um die Reue und er wünscht sie Mensch, uns, dass wir sie erfahren, erleben, empfinden, daraus leben.
Jesus glaubt an die Reue, an deren unheimliche Kraft zur Veränderung, zur Umkehr, zum Sinneswandel, er vertraut darauf, dass die Reue die eigenen Wege anders sehen lässt. Jesus weiß um den Schmerz, den bitteren Schmerz, der in der Reue wohnt, er weiß, wie Reue sieht, wie sie zurückblickt und Trauer, Schmerz, Kopfschütteln empfindet über das, was getan. Jesus glaubt daran, dass in diesem Lebensschmerz, der nicht mehr rückgängig machen kann, was war, gerade eine Kraft innewohnt, die wieder neu leben lässt, eine Kraft, die sich selbst vergibt, die um Vergebung bittet, um Festhalten fleht, um das trotzdem-ich-liebe-dich ringt, auf Neuanfangen hofft.
Jesus weiß, es braucht jenes „Danach“ aus dem die Reue des ersten Sohnes, aus dem die Reue der Menschen wie herauskommt, wie geboren wird. Jesus weiß, wie lange, wie schwer, wie unergründlich dieses „Danach“ ist, sein kann. Er weiß, wie wenig Reue gemacht werden kann, wie sehr im Dunkeln der Schuld sie wohnt, wie sehr sie Gabe, Geschenk ist, als wende sich einem Tod in Leben. Jesus traut sie uns zu. Jesus weiß um einen Gott, der selbst der Reue willens und fähig ist, wie kein anderer, ein Gott, der immer wieder zuschaut, wie Menschen seine Frage ohne Antwort lassen, ein Gott, in dem Wut und Zorn darüber entsteht, der vielleicht Böses sinnt, der aber immer wieder Reue über uns empfindet, den wir reuen und der gnädig, barmherzig, geduldig bleibt und immer wieder wird, ein Gott, der sich immer wieder für seine Liebe zu uns entscheidet und unbedingt will, dass am Ende unserer Gedanken, am Ende unserer Tage, am Ende des Leben wir nicht bereuen, auf seine Lebensfrage mit unserem Leben nicht geantwortet zu haben. Sondern es taten: Dem Ruf Gottes folgten. Nichts sehnlicher wünscht sich Jesus. Amen.

Freitag, 4. August 2017

Gefundenes Herz



Predigt am 9. Sonntag nach Trinitatis (13.8.17)

Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben; sich ausgeschmücket haben.

Staunendes Herz
Mein Herz, in mir liegend, schlagend, pulsierend. Mein Herz, irgendwie mein Leben in mir, irgendwie ich selbst. Mein Herz suchend, manchmal unruhig, manchmal still sehnsuchtsvoll, suchend Heimat und fremde Ferne, Glück, die Liebe, mich, den einen anderen Menschen, Gott. Mein Herz, verschlossen, offen, verletzlich, wunderbar empfänglich, Herz bewegt in mir: Blickend, sehend, was da ist, um es herum, an eigenem, an anderem, an dem, was zu Herzen geht, wohin es kommen mag, was es berührt, nach was es sich ausstreckt. Geh aus, mein Herz; du ruhst in mir. Nicht so leicht lässt es sich, geht es aus, aus sich selbst, zu dem, was um ihm ist, verlässt es sich, um beim anderen teilweise, ja ganz zu sein, zu werden an dem, dem es sich zubewegt, dem es zugehört, den es finden möchte, lieben möchte.
Sechs Strophen geht das Herz aus, ein langer Spaziergang, ein weiter Rundblick des Herzens, weit hinaus in die Natur, auf Pflanzen, Tiere, Bäche, Erdreich. Die angeblickte Natur wird zu seiner, zu seiner Natur, die für ihn bestimmte Bedeutung erlangt. Das Herz blickt besonders auf die Natur, sie wird ihm zur Schöpfung, zu den guten Gaben Gottes. Das Herz ist gefüllt von Gott und sieht Natur von Gott erfüllt, die Schöpfung pulsiert und atmet, bewegt sich und ist beseelt, alles einzelne und alles zusammen, erzählt von Gott, spiegelt Gott hinein in die Welt, in das Auge des Betrachters, des Herzes. Sie wird zum Lob dessen, der sie geschaffen hat. Ein großer Resonanzraum.
Das Herz wird hineingezogen in diese Betrachtung, erst distanziert beschreibend wird es immer mehr selbst zum Bestandteil dessen, was es sieht, kommt das Herz zur Erkenntnis seiner selbst, seiner Gestimmtheit von Gott. Fasziniert von dem, was es an Wunderwelt sieht, erhebt sich das Herz gleich der Bewegung der Schöpfung wunderbar.

Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide, als Salomonis Seide.

Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fliegt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder, Berg, Hügel, Tal und Felder.


Die Glucke führt ihr Völklein aus,
der Storch baut und bewohnt sein Haus,
das Schwälblein speist die Jungen,
der schnelle Hirsch, das leichte Reh
ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen, ins tiefe Gras gesprungen.

Die Bächlein rauschen in dem Sand
und malen sich an ihrem Rand
mit schattenreichen Myrten;
die Wiesen liegen hart dabei
und klingen ganz vom Lustgeschrei
der Schaf und ihrer Hirten, der Schaf und ihrer Hirten.

Die unverdroßne Bienenschar
fliegt hin und her, sucht hier und da
ihr edle Honigspeise;
des süßen Weinstocks starker Saft
bringt täglich neue Stärk und Kraft
in seinem schwachen Reise, in seinem schwachen Reise.


Der Weizen wächset mit Gewalt;
darüber jauchzet jung und alt
und rühmt die große Güte
des, der so überfließend labt
und mit so manchem Gut begabt
das menschliche Gemüte, das menschliche Gemüte.

Ringendes Herz
Nach dem langen Spaziergang, dem weiten Rundblick in die Schöpfung sieht das Herz sich selbst, hat das Herz sich im umgebenden natürlichen Spiegel selbst entdeckt, in ganz bestimmet Weise: Alles singt und das Herz singt mit, alles ist von Gott bewegt und mein Herz auch. „ich selber kann und mag nicht ruhn“.
Unruhig, heilig angefasst ist mein Herz, erweckt seine Sinne, angesteckt vom höchsten Lob, mitgenommen. Ein selbst überfließendes Herz, randvoll, nicht an sich haltend, viel mehr als nur zögerlich bewusst herausgehend, sondern ein Herz, das nicht anders kann, das vor empfundener, gesehener, gespürter Liebe überfließt, sich nicht mehr halten kann.
Ein Herz, das zur Sehnsucht wird, zur übermäßigen, ein Herz, das spricht: „Ach“, „Welch“, „O“. Das sich wiederfindet im Konjunktiv der Hoffnung, diese Hoffnung als Wirklichkeit sehnt, nimmt, haben will, hat. „Denk ich“, „was will doch“, „wäre ich da“, „stünd ich schon“, „trüge“ ich. Infiziert vom Wunsch nach Christi Garten, nach dem Himmelzelt, nach dem goldenen Schloss, nach dem Klang himmlischer Chöre, nach dem Thron des süßen Gottes versetzt sich das Herz in diese Welt nach dieser Welt, ist es ein Herz, das sich ins Jenseits rettet, dorthin flieht, ganz entrückt sein will, geh aus mein Herz so weit, zu weit.
Und doch. Mein Herz ringt sich durch, nicht über diese irdene Realität hinweg zu schweben, sondern in der Welt zu bleiben und genau hier und überall Gott zu loben. Ein mit sich ringendes Herz, das um das Joch des Kummers, der Plage, der Sinnlosigkeit weiß, daran leidet, darum weiß, das Gott den Himmel bereit hält, aber nicht selbst dorthin entflieht, sondern sein Joch trägt und dennoch zum Lobe sich neigt. Ein durch die Erfahrungen des Lebens, gerade auch die bitteren und die bittersten, geneigtes Herz, das Gott trotzdem lobt, nicht still und stummgemacht schweigt, sondern fort und fort, hier und überall den Klang der Schöpfung in seiner Stimmlage wiederholt.

Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen,
aus meinem Herzen rinnen.

Ach, denk ich, bist du hier so schön
und läßt du's uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden:
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden,  und güldnen Schlosse werden!

Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muß es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdroßnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen, ihr Halleluja singen.

O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
so wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen, mit tausend schönen Psalmen.

Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen, zu deinem Lobe neigen.

Wachsendes Herz
Ein Herz, erst betrachtend, dann hineingenommen in das Lob der Schöpfung, ein Herz, das seine Wege, auch die leidvollen, geht, aber dann selbst wie hervorgeht aus dem sommerlichen Glanz der Schöpfung, in der sich Gottes Herrlichkeit wiederspiegelt. Ein wahrlich geneigtes Herz, das sich vom Lob ausgehend in Worten der Bitte wiederfindet.
„Hilf“, „Segne“, „Gib“, „Mach Raum“, „Verleih“, „Erwähle“ und „Lass“. Ein Herz, das gelernt hat zu bitten, nicht nur zu loben, nicht nur zu zweifeln, zu klagen. Ein Herz, das das zur Sprache bringt, was die Schöpfung nur unhörbar kann, das sich und seinen Inhalt, sein Leben und Sehnen vor Gott bringt und darum bittet, das wünscht bedürftig zu empfangen; nicht nur ein herausgehendes, überfließendes Herz, sondern eines, das weiß: es empfängt, ihm wird gegeben, es darf bitten:
Seine Bitte, so zu werden, wie es sieht, dass anderes wird. Die Natur als Schöpfung von Herzensaugen, ihr Vergehen im Gedächtnis, ihr sommerliches wunderbares Gewordensein vor sich, ganz gegenwärtig hat es denselben Wunsch: Mein Herz und mein Leben möge werden, möge stetig blühen, möge Glaubensfrüchte bringen, möge Wurzeln und Raum haben, möge schöne Blume und Pflanze in Gottes Garten werden und bleiben.
Ein Herz, das darum bittet, in anderer und seiner Augen so ausgeschmücket zu sein, so schön zu sein, wie das, woran es seinen Ausgang genommen hat in seiner Suche, an der schönen Garten Zier. Ein Herz, das spürt und lebt, unser Herz, es ist von Gott schön angeschaut, es ist seine Zier, sein Lob, seine lebenslange Herzensbitte. Wir sind erwählt zum Paradies, Gotteskinder, warten blühend getrost auf dieses eine Ziel und immer bis dahin stimmen wir ein, Gott allein und sonsten keinem mehr, hier und dort ewig zu dienen.

Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
daß ich dir stetig blühe;
gib, daß der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe, viel Glaubensfrüchte ziehe.

Mach in mir deinem Geiste Raum,
daß ich dir werd ein guter Baum,
und laß mich Wurzel treiben.
Verleihe, daß zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben, und Pflanze möge bleiben.

Erwähle mich zum Paradeis
und laß mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen, hier und dort ewig dienen.