Freitag, 10. Januar 2020

Betroffen von der Jahreslosung


Ich glaube; hilf meinem Unglauben! (Markus 9, 24)
Predigt zur Jahreslosung 2020 am 2. Sonntag nach Epiphanias (12.1.2020)

Involviert
Wie Beobachter einer Szene kommen mir das Volk, die Schriftgelehrten, der Vater und auch Jesus vor. Wie als ob sie zuschauen würden, distanziert, mit gewissen Abstand irgendwie. Sie verhandeln eine Streitfrage, sind miteinander in Streit geraten über etwas, Vater und Jesus führen einen Dialog, einer antwortet, der andere fragt, es wird erzählt, geschildert, berichtet, mit „Meister“ angesprochen. Nur der Sohn, das Kind erst in Erzählung, dann ganz konkret wird hin- und hergerissen, wird auf den Boden geworfen, schäumt, der böse Geist mitten in ihn und der Sohn mitten in dem, was da mit ihm passiert. Die anderen scheinbar, wirklich nur indirekt beteiligt, über Worte, Fragen, Diskussionen, Erwartungen, Möglichkeiten; alle nur mittelbar.
Jahreslosungen wirken manchmal wie Überschriften über ein Jahr, und im Laufe des Jahres rückt, wie alles, was am Anfang nur über allem steht, in den Hintergrund. Wie Beobachter kommen wir mir vor, als würden wir aus Distanz die Jahreslosung anblicken, den Text, die Worte, die zahllosen Bilder, Drucksachen von ihr, als bliebe da ein merkwürdiger Abstand, als kämen wir nicht recht rein in die Jahreslosung und sie nicht in uns. Wir müssten aber vom Beobachter zum Beteiligten werden. Die Jahreslosung, dieser kleine Abschnitt Bibel, dieser Fetzen Gottes Wort müsste uns zu Beteiligten machen, müsste uns betreffen, beteiligen. Bitte.
Jesus ist aber nur scheinbar distanziert, er steht nur scheinbar über der Sache. Er ist dem Sohn, dem besessenen Sohn von Anfang ganz nah. Beide sind Besessene, der eine vom bösen, der andere vom guten Geist, beide: ganz und gar besessen, erfüllt. Und beide erkennen einander sofort. Jesus ist nur scheinbar auf Abstand, für ihn geht es von Anfang um alles und Jesus macht aus allen Beteiligten, er macht aus den Beobachtern beteiligte, betroffene, involvierte, hinein verwickelte Menschen. Das Volk staunt über das Wunder. Die Schriftgelehrten verstummen. Die Jünger beschämt. Und der Vater wird von Jesus hineingezogen, in die Geschichte, in die Lebensgeschichte, in seinen Sohn, in sich selbst und steht dann plötzlich dem sprachlosen, stummen, bösen Geist schreiend gegenüber, schreit unglaublich laut und sein Schrei ist sein Schritt hinein, unmittelbar beteiligt, betroffen, tot lebendig zu sein. Jesus macht uns zu Beteiligten der Jahreslosung, er lässt uns den Schrei des Vaters hören.

Strichpunkt
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Und zwischen beiden Teilsätzen ist ein Strichpunkt, als wüsste man nicht, ob da ein Punkt oder ein Komma dahin müsste, als wäre ein Punkt genauso unpassend wie ein Komma, als wäre es Trennung und Zusammen zugleich.
Dieser Satz mit seinen beiden Teilsätzen ist keine Beschreibung. Er ist Dasein, pures Dasein. Eigentlich müsste er so etwas heißen wie: „Ich bin; hilf meinem Nichtsein!“ Der Satz ist keine Theorie vom Glauben, keine Lehre, kein Inhalt über den Glauben, den man mitnehmen könnte. Es gibt da zwischen beiden Teilsätzen, zwischen Glauben und Unglauben keine Trennung, keinen zeitlichen, logischen, gedanklichen Ablauf, keine Beides, kein Sezieren, kein irgendwie Dazwischen. Es gibt da nicht einmal einen Atemzug. Es ist eigentlich ein Lebensschrei: „Ich lebe; hilf meinem Tod!“ Und im Schrei wird der Vater eins mit seinem Sohn, eins mit dem ungläubigen Volk, ja sogar eins mit den Jüngern. Und Jesus ist in ihnen allen, in allem, in diesem Satz, im Strichpunkt.
Alle leiden an einem: Dass nicht ist, was sein soll, was sein muss. Dass nicht geschieht, was geschehen muss. Dass nicht wirklich ist, was wirklich sein zu hat. Sie alle leiden daran, dass die Welt an bestimmten Punkten unerlöst, heillos, gottlos ist. Das ist, was der Vater und was der Jesus mit „Unglaube“ meinen: es ist das Nicht-Dasein von Gott. Es ist da etwas - der Sohn, die Fragen, die Gedanken, die Diskussion - nicht von Gott Erschlossenes und deswegen von uns auch nicht als von Gott erschlossen sichtbar, verstehbar, wahrnehmbar und zu leben. Es ist unerschlossen von Gott und so Unglaube – und das macht absolut betroffen: Dieses kleine Etwas ist dann weit jenseits unserer Möglichkeiten, es ist unsere unbedingte Unmöglichkeit. Wäre es von Gott schon erschlossen, dann hätten wir dazu alle Möglichkeiten, so aber bleibt es uns unmöglich, bleibt es uns Unglauben, Un-Gott.

Hilf!
Das Wunderbare ist: Der Vater bittet um Hilfe, er schreit sogar mit einem Ausrufezeichen darum, dort endet sein Satz und er endet so, wie sein Sohn endet: Durch den Tod hindurch zu neuem Leben. Diese „Hilf!“ hat einen Adressaten, ist an jemanden gewandt, als Schrei aber gilt es aller Welt, die hören kann, ist es lauter Schall für viele Ohren bis heute, es trifft aber Jesus.
Und Jesus diskutiert nicht mehr, entledigt sich aller scheinbaren Distanz, lebt seine für ihn so elementare Unmittelbarkeit zu Gott und den Menschen und wird als voll Beteiligter Seelsorger, wie so oft. Er erbarmt sich nicht nur dem Volk, den Jüngern, dem Vater, dem Sohn, sondern der ganzen Szene, von Anfang an tut er das schon. Er erbarmt sich der Szene und hilft dem Unglauben auf, er hilft dem Unglauben auf, indem er die allen noch fehlende Gotteswirklichkeit vor Augen und ins Leben führt, indem er das Etwas, was noch nicht von Gott war, göttlich machte, indem er die ausstehende Wirklichkeit wirklich macht: Jesus zeigt dem Volk seine Leben schaffende Macht, er beschenkt dem Vater mit Glauben, er heilt den Sohn und weißt die Jünger, weißt uns auf das Beten hin.
Er ändert alles und nur vielleicht ist sein ganzes Tun in dieser Szene, in den Worten des Vaters ein Gebet, ein einziges Gebet, das uns in das Nachsprechen der Jahreslosung überführen soll. Menschen bringen betend ihre Worte zu Jesus, sind entsetzt und grüßen ihn von Ferne mit ihren strohernen Worten. Jesus fragt mich nach, diskutiert im Gebet manches mit mir, erträgt mich, verweist auf die Zeit, auf das jetzt Drängende, Jesus bedroht die üblen Mächte, Sünde, Hochmut, Krieg und Hass, und trägt unser Bitten in seinem Gebet vor Gott, und Jesus nimmt betend unsere scheinbar toten Hände und richtet uns auf, wir werden betend andere.
Im Gebet werden wir von Beobachter zum Beteiligten, wird die Jahreslosung zu unseren Worten. Vielleicht dreimal am Tag, morgens, mittags, abends, zu beten. Amen.