Donnerstag, 18. April 2019

Menschen sterben


Predigt an Karfreitag 2019 (19. April 2019)

Johannes 19,16-30
16 Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber, 17 und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König. 20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. 21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. 23 Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. 25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. 26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. 30 Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.

Selber tragen
Menschen sterben. Menschen sterben hier im Haus, sie sterben in Krankenzimmern, plötzlich auf der Straße, qualvoll unter Schmerzen, wunderbar friedlich. Menschen sterben zu abertausenden im Krieg, sie sterben in den Armen von anderen, sie sterben ganz allen, sie sterben stumm, mit letzten Worten, mit einer Anzeige in der Zeitung, bedacht, anonym, so wie sie gelebt haben und ganz anders. Menschen sterben. Auch ich werde sterben, wir alle werden es.
Jesus starb. Er musste sein Kreuz selber tragen, selber hinauftragen an die Schädelstätte. Andere hievten ihn hinauf ans Kreuz. Dorthin wurde er genagelt, wurde er gekreuzigt. Er erlebte, erduldete, erlitt dies, ganz passiv. Über seine Kleider wurde das Los geworfen. Es wurde verteilt, was er hatte, was er war. Mit Durst starb er, ungestillt verhöhnt. Er neigte sein Haupt zur Seite, das Leben wich aus ihm und er verschied, der Tod trennte ihn von allen Lebendigen.
Menschen tragen ihren Tod selbst hin zu der Stätte, an der sie sterben werden. Menschen sterben immer sich selber. Sie erleiden, erdulden, erleiden ihren Tod. Im Tod werden sie die Passiven sein, irgendwann ab einem bestimmten Punkt: Stirbt man nicht, sondern wird man gestorben. Und dann wird das Los geworfen, es wird verteilt, was das Leben in Gänze war. Es bleiben Bruchstücke, Fetzen, Erinnerungen, Nachlässe, Bleibendes als Stückwerk. Das Leben zerfällt im Tod merkwürdig in seine Einzelheiten. Und im Tod bleibt der Durst ungestillt, der letzte Durst, die letzte Sehnsucht unerfüllt. Menschen werden im Sterben ihr Haupt neigen, ihr Leben hat sich bis zur bitteren Neige geneigt, es ist wie endgültig leer gelaufen. Definitiv. Es ist so wie es ist. Verschieden. Der Tod trennt vom Leben.

Viele lesen
Jesus ging mit dem Kreuz auf seinen Schultern hinaus nach Golgatha, hinaus auf die Schädelstätte, nicht an einen einsamen Ort, nicht an einen abgeschiedenen. Er ging mit seinem Kreuz hinaus an diesen öffentlichen Ort. Dort waren andere Menschen, Herumstehende, welche, die neben ihm gekreuzigt wurden, andere, die ihn auf´s Kreuz hoben und bewachten, andere, die zuschauten, die blickend vorübergingen, andere, die unterm Kreuz standen, erschrocken waren und weinten. Über Jesus war eine Tafel, ein Schild, eine Überschrift. Dort war festgehalten sein Leben in kargen Buchstaben. Zu lesen von allen, die es lesen sollten, mussten. Auf verschiedenen Sprachen, wie eine kleine festgenagelte Proklamation weit hinaus. Jesus sprachen sein „Es ist vollbracht“, als sei dieser Ort ein Ort der Geschichte, als geschehe dort etwas im größeren und größten Horizont vor allen Menschen.
Menschen sterben nicht nur privat, nicht nur im kleinsten Kreis, nie anonym. Jesu Tod geht mit. Es ist ein eigentümliches Ineinander von seinem und unserem Sterben. Auch der Menschen Sterben geschieht nie nur verborgen, abgeschieden. Irgendwie sterben Menschen auch auf ihren Schädelstätten, hinausgegangen, hinausgetragen dort, wo Menschen sind. Es wird Herumstehende geben, wenn wir sterben, leibhaft und anders dabei. Welche, die an uns was tun, an uns vorüberziehen, und welche, die bei uns stehen und weinen. Dieser weitere Horizont geht mit ihm Sterben. Und es wird gleich Jesu eine Überschrift im Sterben da sein, eine Überschrift, wer wir waren, wer wir wirklich waren, was andere vernahmen und vermuten, was wir nie sein wollten und nie waren. Letztlich Gottes Überschrift über unser Leben, ein paar karge göttliche Buchstaben der Wahrheit von uns vor allen. Und es wird auch jenes „Es ist vollbracht“ erklingen, still, leise, von irgendwoher, von Golgatha her. Menschen sterben eingeordnet in den weiten Horizont des Lebens und der Geschichte.

In der Mitte
Jesus starb in der Mitte von zwei weiteren Sterbenden. Als hätte er sich dorthin gestellt. Ihm, dem die Mitte so wichtig war, jene Mitte, in die er Kinder stellt, das Reich Gottes und seine Liebe. Der Jesus am Kreuz sieht, spricht, weiß, verbindet und spendet. Er sieht die Menschen dort stehen, er sieht seine Mutter und den Jünger, den er liebte. Er sah und sprach und verband beide miteinander, machte seinen Blick zu ihrem, dass sie einander erkennen und so stiftetet Jesus in seinem einsamen Moment Zweisamkeit, eine neue Beziehung. Jesus sprach von seinem Durst und er wusste, dass alles vollbracht und erfüllt sein muss. Er hatte bis zum Schluss ein untrügliches Gefühl, ein sicheres Wissen von der Zeit, von dem, was passiert und sein wird.
Menschen sterben seit jenem Tod am Kreuz mit Jesus in ihrer Mitte, als würde Golgatha in alle Tode hinein vermehrt. Jesus tritt in unserem Tod mitten hinein, mitten hinein ins Sterben, ins Leben, links und rechts von ihm sind wir. Seine Nächsten im Tod. Dort, mitten in der Menschen Sterben, sieht er, spricht er, weiß er, verbindet und spendet er. Er sieht uns mitten in unserem Sterben, er spricht zu uns, er weiß um uns und er verbindet uns. Er stiftet neue Beziehung mitten im Tod, er verbindet uns mit uns, über den Tod hinaus, hinein, weit hinein, in weiteste Horizonte, die wir Ewigkeit, Himmel, Fülle nennen. Er verbindet uns mit uns im Tod und vollbringt, dass wir uns erfüllen, erfüllen hinein, hinein, dass im Tod auch Ostern für uns werden wird. Amen.

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