Predigt an Karfreitag 2019 (19. April
2019)
Johannes 19,16-30
16 Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen
ihn aber, 17 und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da
heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit
ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 19 Pilatus aber
schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben:
Jesus von Nazareth, der Juden König. 20 Diese Aufschrift lasen viele Juden,
denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war
geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. 21 Da
sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden
König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. 22 Pilatus
antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. 23 Die Soldaten
aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier
Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war
ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.24 Da sprachen sie untereinander:
Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So
sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine
Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das
taten die Soldaten. 25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und
seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. 26
Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte,
spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht
er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie
der Jünger zu sich. 28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht
war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.29 Da stand ein
Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um
einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. 30 Da nun Jesus den Essig genommen
hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.
Selber tragen
Menschen sterben. Menschen sterben
hier im Haus, sie sterben in Krankenzimmern, plötzlich auf der Straße, qualvoll
unter Schmerzen, wunderbar friedlich. Menschen sterben zu abertausenden im
Krieg, sie sterben in den Armen von anderen, sie sterben ganz allen, sie
sterben stumm, mit letzten Worten, mit einer Anzeige in der Zeitung, bedacht,
anonym, so wie sie gelebt haben und ganz anders. Menschen sterben. Auch ich
werde sterben, wir alle werden es.
Jesus starb. Er musste sein Kreuz
selber tragen, selber hinauftragen an die Schädelstätte. Andere hievten ihn
hinauf ans Kreuz. Dorthin wurde er genagelt, wurde er gekreuzigt. Er erlebte,
erduldete, erlitt dies, ganz passiv. Über seine Kleider wurde das Los geworfen.
Es wurde verteilt, was er hatte, was er war. Mit Durst starb er, ungestillt
verhöhnt. Er neigte sein Haupt zur Seite, das Leben wich aus ihm und er
verschied, der Tod trennte ihn von allen Lebendigen.
Menschen tragen ihren Tod selbst hin
zu der Stätte, an der sie sterben werden. Menschen sterben immer sich selber.
Sie erleiden, erdulden, erleiden ihren Tod. Im Tod werden sie die Passiven sein,
irgendwann ab einem bestimmten Punkt: Stirbt man nicht, sondern wird man
gestorben. Und dann wird das Los geworfen, es wird verteilt, was das Leben in
Gänze war. Es bleiben Bruchstücke, Fetzen, Erinnerungen, Nachlässe, Bleibendes
als Stückwerk. Das Leben zerfällt im Tod merkwürdig in seine Einzelheiten. Und
im Tod bleibt der Durst ungestillt, der letzte Durst, die letzte Sehnsucht
unerfüllt. Menschen werden im Sterben ihr Haupt neigen, ihr Leben hat sich bis
zur bitteren Neige geneigt, es ist wie endgültig leer gelaufen. Definitiv. Es
ist so wie es ist. Verschieden. Der Tod trennt vom Leben.
Viele lesen
Jesus ging mit dem Kreuz auf seinen Schultern
hinaus nach Golgatha, hinaus auf die Schädelstätte, nicht an einen einsamen
Ort, nicht an einen abgeschiedenen. Er ging mit seinem Kreuz hinaus an diesen
öffentlichen Ort. Dort waren andere Menschen, Herumstehende, welche, die neben
ihm gekreuzigt wurden, andere, die ihn auf´s Kreuz hoben und bewachten, andere,
die zuschauten, die blickend vorübergingen, andere, die unterm Kreuz standen,
erschrocken waren und weinten. Über Jesus war eine Tafel, ein Schild, eine
Überschrift. Dort war festgehalten sein Leben in kargen Buchstaben. Zu lesen
von allen, die es lesen sollten, mussten. Auf verschiedenen Sprachen, wie eine
kleine festgenagelte Proklamation weit hinaus. Jesus sprachen sein „Es ist
vollbracht“, als sei dieser Ort ein Ort der Geschichte, als geschehe dort etwas
im größeren und größten Horizont vor allen Menschen.
Menschen sterben nicht nur privat,
nicht nur im kleinsten Kreis, nie anonym. Jesu Tod geht mit. Es ist ein
eigentümliches Ineinander von seinem und unserem Sterben. Auch der Menschen Sterben
geschieht nie nur verborgen, abgeschieden. Irgendwie sterben Menschen auch auf
ihren Schädelstätten, hinausgegangen, hinausgetragen dort, wo Menschen sind. Es
wird Herumstehende geben, wenn wir sterben, leibhaft und anders dabei. Welche,
die an uns was tun, an uns vorüberziehen, und welche, die bei uns stehen und weinen.
Dieser weitere Horizont geht mit ihm Sterben. Und es wird gleich Jesu eine
Überschrift im Sterben da sein, eine Überschrift, wer wir waren, wer wir
wirklich waren, was andere vernahmen und vermuten, was wir nie sein wollten und
nie waren. Letztlich Gottes Überschrift über unser Leben, ein paar karge
göttliche Buchstaben der Wahrheit von uns vor allen. Und es wird auch jenes „Es
ist vollbracht“ erklingen, still, leise, von irgendwoher, von Golgatha her.
Menschen sterben eingeordnet in den weiten Horizont des Lebens und der
Geschichte.
In der Mitte
Jesus starb in der Mitte von zwei
weiteren Sterbenden. Als hätte er sich dorthin gestellt. Ihm, dem die Mitte so
wichtig war, jene Mitte, in die er Kinder stellt, das Reich Gottes und seine
Liebe. Der Jesus am Kreuz sieht, spricht, weiß, verbindet und spendet. Er sieht
die Menschen dort stehen, er sieht seine Mutter und den Jünger, den er liebte.
Er sah und sprach und verband beide miteinander, machte seinen Blick zu ihrem,
dass sie einander erkennen und so stiftetet Jesus in seinem einsamen Moment
Zweisamkeit, eine neue Beziehung. Jesus sprach von seinem Durst und er wusste, dass
alles vollbracht und erfüllt sein muss. Er hatte bis zum Schluss ein
untrügliches Gefühl, ein sicheres Wissen von der Zeit, von dem, was passiert
und sein wird.
Menschen sterben seit jenem Tod am
Kreuz mit Jesus in ihrer Mitte, als würde Golgatha in alle Tode hinein vermehrt.
Jesus tritt in unserem Tod mitten hinein, mitten hinein ins Sterben, ins Leben,
links und rechts von ihm sind wir. Seine Nächsten im Tod. Dort, mitten in der
Menschen Sterben, sieht er, spricht er, weiß er, verbindet und spendet er. Er
sieht uns mitten in unserem Sterben, er spricht zu uns, er weiß um uns und er
verbindet uns. Er stiftet neue Beziehung mitten im Tod, er verbindet uns mit
uns, über den Tod hinaus, hinein, weit hinein, in weiteste Horizonte, die wir
Ewigkeit, Himmel, Fülle nennen. Er verbindet uns mit uns im Tod und vollbringt,
dass wir uns erfüllen, erfüllen hinein, hinein, dass im Tod auch Ostern für uns
werden wird. Amen.
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