Donnerstag, 15. November 2018

Atem holen: Auf-Sehen


Predigt zu „Atem holen“ am 15.11.18

Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit [die Zeit der Gnade], siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“

(Wochenspruch. 2. Korinther 6,2)



Aufsehen

„Siehe“ heißt sehen, schauen, die Augen öffnen und benutzen. Sehen tun Menschen fast den ganzen Tag, eigentlich fast dauernd. Wir sehen bewusst und unbewusst, genauer, scharf und beiläufig, Menschen, Dinge, Ereignisse, Buchstaben, bewegte Menschen im Fernsehen, und: wir sehen uns selbst, unsere Körperteile, uns ganz im Spiegel, und selbst, wenn wir schlafen, scheinen wir so was wie innere Augen zu haben, sehen Träume und denken, fühlen unser Leben irgendwie weiter.

„Siehe“ ist ein kleines Wörtchen, es ist ein Aufmerksamkeitswort. Es will hinweisen, es will aufmerksam machen, hinzuschauen, auf etwas, auf etwas Bestimmtes. „Siehe“ richtet unseren Blick aus. Wie oft sind wir eher abgelenkt und wenig aufmerksam, brauchen wir ja auch nicht sein, weil alles läuft, wie es läuft, und dann doch ein kleines „Siehe“, von mir, von anderen, von etwas gesetzt, gesagt, in den Kopf gebracht, und dann aufmerken, aufsehen, sich darauf konzentrieren.

„Siehe“ ist eigentlich eine Körperbewegung, mit den Pupillen, den Augenlidern, dem Kopf, und eigentlich mit dem ganzen Körper, vielleicht auch mit der Seele. Auf-Sehen. Auf-Richten. Inne-Halten. Atem-Holen. Erwarten.



Jetzt sein

„Siehe, jetzt …“. Jetzt ist ein Zeitwort, eine Zeitangabe. Es steht zwischen Vergangenheit und Zukunft, meint Gegenwart. Jetzt reiht sich ein in Worte wie nachher, später, vorher, früher, einst und nie. Nie und jetzt sind vielleicht Gegensätze, können alles meinen und alles hervorrufen, je nachdem, was jetzt ist und kommt, was nie ist und nie sein wird.

Gibt das Jetzt? Sobald wir Jetzt denken, sagen, fühlen, ist schon das nächste Jetzt da und das Jetzt eben vorbei, verflüchtet sich das Jetzt zu einem kleinen Punkt, zu einem Mini-Punkt, der gerade war und vergangen ist, der gleich sein wird und schon fast ist. Gibt es Gegenwart überhaupt? Kann ich im Jetzt leben? Kann ich jetzt sein? Ja, denken wir, aber doch irgendwie nein.

Jetzt kann ganz verschiedene gegenwärtige Augenblicke sein, wunderschön, gnadenlos, herrlich, glücklich, schmerzvoll. Menschen wollen Jetzt festhalten, nie mehr loslassen. Menschen wollen Jetzt nicht, nicht erleben müssen, weghaben. Menschen erleben, erleiden, erfreuen Jetzt.



Versöhnt leben

„Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils.“ Jetzt kommt und ist das, was ich erwarte, was kommen soll, was ich erhoffe, ersehne, was mir versprochen, zugesagt ist. Jetzt kommt das entscheidende Jetzt. Jetzt erfüllt sich etwas für mich, die Zeit erfüllt sich. Endlich! Aber womit? Womit erfüllt sich jetzt die Zeit, meine Zeit? Was ist das Ersehnte? Was war und ist versprochen? Was trägt, hat, das Jetzt in sich?

Paulus, die Verse aus der Bibel sehen das Jetzt etwas, das Entscheidende in sich tragen. Paulus, die Verse aus der Bibel füllen das Jetzt, bestimmen es, sagen, was es ist, sagen es uns zu als das, was unsere Sehnsucht stillt, unsere Hoffnung erfüllt, unser bedürftiges Leben nährt. Es ist an uns, aufzusehen, dem „Siehe“ zu folgen, das Jetzt zu unserem werden zu lassen. Es wird uns geschenkt, umsonst, unverdient, einfach so. Es ist für uns alles, Zugedachtes, Geschenk, Gnade, Heil, Rettung, Wohlergehen, Glück, Heil. Es ist für Paulus Versöhnung.

Versöhnung ist Jetzt. Jetzt ist Versöhnung. Mit sich, mit anderen, mit seinem Leben, mit allem, was widerstrebt, schief geht, weh tun, falsch läuft, trennt, verflucht, wegzieht, lieblos ist, Seele quält. Versöhnung durch Gott, der all dieses umfängt in unendlicher Liebe, der all dies auf sich nimmt, trägt, zu seinem Ort macht, selbst am Kreuz zum Verfluchten, zum Ungeliebten, zur Liebesqual wird, der uns all das verzeiht, uns bei sich entschuldigt, an uns festhält, treu bleibt. Sich mit uns versöhnt.

Das ist Jetzt. Immer wieder jetzt. Das Jetzt Gottes und seiner liebenden, versöhnenden Gegenwart. Ein Jetzt der Versöhnung, ein Moment, an dem diese uns passiert, eine Stunde, ein Tag, eine Woche, ein Leben, in dem wir aus diesem Jetzt der Versöhnung leben können, dürfen, aus dem wir unsere Zeit, vergangene, zukünftige schon Gott bestimmt schöpfen, aufgerichtet werden und aufsehen. Amen.

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