Samstag, 24. Dezember 2011

Heiligabend-Gesicht

Predigt an Heiligabend 2011 - Christvesper

gesichtslos
Abertausend Mal sind sie abgebildet, gemalt, gedruckt, geschnitzt, geformt. Abertausend Mal ihre Gesichter. Sie sind aber gesichtslos, namenslos, die Hirten, jene, die dem Ruf des Engels in den Stall folgten. Gesichtslos, namenslos. Nichts kennen wir eigentlich von ihnen, nichts wissen wir eigentlich von ihnen. Wer sie waren. Wie sie hießen. Was sie dachten, fühlten, liebten.
Diese Hirten waren aber die ersten beim heiligen Kind? Warum? Warum sie? Merkwürdig unbekannt, unentdeckt, verborgen sind die Hirten. So wie das ganze Geschehen damals, als Jesus geboren wurde: An einem abgelegenen Ort der Weltgeschichte, mit Eltern, die nicht weiter bekannt waren, in einer Nacht, die dunkel war wie all die anderen, zu einer Zeit im ganz normalen Zeitenlauf. Irgendwie gesichtslos.
Abertausend Gesichter sind dieses Weihnachten, abertausend, unsere darunter. Gesichter, die uns begegnen, kaum angeschaut, hastig vorbeigehend, Gesichter, die fehlen, Gesichter, in die wir sahen, Gesichter in der Werbung, in den Zeitungen, im Fernsehen, daheim, in der Phantasie. Weihnachten ein Gesichtermeer, darunter wir. Ein Meer weihnachtlicher, heiliger Gesichter? Von Gottes Glanz beleuchtet?
Wir folgen dem Ruf in die Krippe zum Heiligen Kind. Strecken irgendwie unsere mal müden, aufgeregten, warmen und kalten Gesichter ihm entgegen. Viele gehen uns voraus seit jener einen Heiligen Nacht, viele folgten diesem Mann aus Nazareth, bis ans Fuß des Kreuzes, bis zum Ostermorgen, und danach abertausende. Angefangen hat es mit jenen gesichtslosen Hirten. Sie kamen als erste. Warum sie?

Ein Gesicht bekommen
Warum wir? Wie kommen wir zuerst an die Krippe, ins Heiligabendland? Wer sollen wir zuerst, in erster Linie sein an diesem Heiligen Abend?
Hirtenmenschen tragen Alltagsgesichter. Nicht geschminkt, wenn, nur ganz zart. Die Falten sind sichtbar. Jede Gesichtskontur, die das Leben ins Gesicht schrieb, erkennt man. Die Augen sieht man, Augen, in denen sich ihre Seele tief spiegelt, Seelenmenschen.
Hirtenmenschen waren einfach in der Gegend der Heiligen Nacht. Wer weiß schon, warum sie da waren und nicht woanders. Es war einfach der Ort ihres Hirtenmenschenlebens.
Einfach da sein, das Seine tun, und dabei, daneben, wohnt sich das Heil einem ein, als fiele es vom Himmel, genau vor die Füße.
Hirtenmenschen leben unterm freien Himmel. Ihr Gesicht kann nach oben blicken. All diese Dächer, all die Häute, all die Schutzeinrichtungen, aber auch Taktiken, sich zu verstecken, sind wie weg, den Blick nach oben, offen, vielleicht empfindsamer, wie Kinder, die ihr Gesicht dem warmen Sommerregen entgegenstrecken, ungeschützt, empfänglich, auch furchtsamer für engelhafte Botschaften.
Hirtenmenschen, wir, schauen uns an, sprechen miteinander über das Unaussprechliche. Nicht allein, sondern zu dritt, zu viert, zu mehreren empfinden sie, fühlen sie, fragen, suchen sie. Sie blicken in ihre Gesichter, in denen sich Furcht und unheimliche Freude mischen, und in denen auf einmal etwas ganz anderes sich spiegelt: Etwas von Gottes Himmel. Gesichter, wie unsere, in denen diese unheimliche große Sehnsucht wächst, unermesslich wachsen mag das zu sehen, was damals geschehen, zu verstehen, zu spüren, was damals und immer wieder heute, jetzt, für uns geschehen ist, geschieht. Innerlich sehen, gehen, eilend, schneller, sehnsüchtiger, voller aufgewecktem, von Hoffnung geschürtem Vertrauen in dieses eine Geschehen in der Krippe mit jenem heiligen Kind. Entscheidendes passiert.

Gesichtet
Schon lange sind die Hirten nicht mehr gesichtslos. Sie haben Gesichter bekommen. Mit der Engelsbotschaft haben sie Gesichter bekommen, Gesichter, die blicken, schauen, in denen sich Heiliges wiederspiegelt.
Sie, die an sich Gesichts- wie Namenslosen, haben Gesichter, unsere, Alltagsgesichter. Gesichter von Gott selbst gesehen.
Gott muss es gewesen sein. Gott muss eigentlich auf diese Hirten aufmerksam geworden sein. Er muss sie in Blick gehabt haben, sozusagen wirklich ausersehen: Sie sollen die ersten sein, die ersten unter allen. Sie sollen als erste das Wunder dieser Nacht entdecken, ein Wunder, das aus Vorsicht und Liebe Gott verborgen hat, ein Wunder seiner großen Liebe zu seinen Menschen.
Und in seinem Blick auf die Hirten, auf Maria, Josef und das heilige Kind, in seinem eigentlich immer weihnachtlichen Blick, jenem Blick, der vom Himmel auf die Erde schaut, sind auch wir angeschaut: Hirtenmenschen. So schaut Gott uns zuerst an, zuerst, bevor wir überhaupt anfangen, bemüht, willig, schön weihnachtlich zu denken, zu schauen, zu leben; zuerst, bevor er anders und weiter auf uns blickt.
Er stellt diesen Stall, er legt dieses Kind, er verortet sich, seine heilige Liebe neben uns, in unsere eigene Alltagswelt. Wir leben wie die Hirten in derselben Gegend. Keine Sorge. Er sagt wie zu den Hirten: Keine Angst. Kommt, tretet herzu. Euer Heil, eure Freude! Er ruft zart und spricht uns an, umleuchtet uns mit seiner Herrlichkeit, seinem Lebenslicht und verleiht uns sein Gesicht, sein göttliches Angesicht.
Angekommen. Angenommen. Von Gott beseelt – ihn gesehen, mein Heil, sein Wort nach Hause tragen. Davon leben. Amen.

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