Predigt am Israelsonntag (10. Sonntag nach
Trinitatis, 25. August 2019)
Die Frage nach dem höchsten Gebot
28 Und es
trat zu ihm einer der Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie
miteinander stritten. Als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte
er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? 29 Jesus antwortete: Das
höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr
allein, 30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von
ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« (5.Mose 6,4-5). 31 Das
andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose
19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese. 32 Und der Schriftgelehrte
sprach zu ihm: Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein
anderer außer ihm; 33 und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und
mit aller Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als
alle Brandopfer und Schlachtopfer. 34 Da Jesus sah, dass er verständig
antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.
Liebe kann nicht
Liebe kann
man nicht fordern, nicht mit einem Ausrufezeichen versehen. Liebe kann man
nicht verordnen, gebieten, in Gebote und deren Worte kleiden. Liebe kann man
sich wünschen, auf sie hoffen, von ihr leben. Liebe kann man geheimnisnah
sprechen, sie spüren, fühlen, verlieren. Liebe kann man gebären, daran zart
arbeiten, man kann sich verlieben kann und sich trennen, an Liebe leiden und an
ihr tief glücklich werden, man kann sich um den anderen sorgen, miteinander
scheitern, sich genießen, alt werden. Das kann Liebe. Liebe kann man aber nicht
gebieten.
Du bist nah dran
Nicht fern
sein. Das steht am Ende. Am Anfang ist einer, der hört, der wohl offen
hinzutritt, mitten hinein in die strittigen Worte, der mit seinem Körper, mit
seinem Sein, mit Worten hinzutritt, mit einer Frage nach welches und warum. Die
Antwort wird dann zweimal gesagt. Als müsste sie wiederholt werden, als müsste
sie eingeschärft werden. Aber jeder der Beiden gibt sie. Beide kommen überein
in der Antwort, in den Worten und dem, was sie wohl meinen. Sie finden sich in
diesen Worten, die von Liebe sprechen, verständigen sich, indem der eine zum
anderen ein „richtig“ sagt. Beide sind Hörende und beide sind Sehende, sich,
den anderen und das, was zwischen ihnen ist, was sie sagen. Am Ende wird aus
der Frage eine gemeinsame Antwort und wieder eine Frage, eine Frage, die näher
geht, die nach dem einen fragt: Wer bist du? Und Jesus sieht das Du, sieht das
Du nicht mehr fern, nicht mehr fern von sich, von Gott und dem Reich der Liebe.
Als würde
das Gespräch der Beiden nicht mehr über die Liebe gehen, sondern als würde das
Gespräch in die Liebe führen, hinein in das, was sie fragen, was sie suchen,
was sie brauchen. Im Gespräch entdeckt sich die Liebe, so weit, wie es für
beide ist, führt der eine den anderen zur Liebe und in Liebe, ganz nah.
Bitte, berühre mich!
Es
geschieht da Nähe. Nähe, die berührt, die begegnet. Nähe, die zwischen dem Einem
und dem Anderem Freiheit und unendliche Zuneigung lebendig sein lässt, die das
„Dazwischen“ ganz klein werden lässt, als würde nur Eins und dies herrlich
erfüllt, als sei die ganze Welt dazwischen. Eine Nähe, die Distanz, Abstand hält, um ganz selbst zu
sein, um das Gegenüber genau schön anzuschauen, um verschmelzen zu können um
sich hingeben zu können, um so vieles, sein Alles zu geben und zu empfangen. Eine
Nähe, die bloß, nackt, offen, empfindsam ist, die erfüllt, hält, wacht,
schützt, bindet, frei lässt. Eine Nähe, die selbst verwundbar ist, verletzlich,
ein tiefes schönes Geheimnis in sich trägt, bereit es mitzuteilen, zu geben,
her zu schenken. Eine Nähe, die um den Schmerz weiß, um das Vergehen, um die
Brüchigkeit ihrer selbst, aber auch um die Herrlichkeit, die Schönheit. Eine
Nähe, die bedürftig begegnet, sich selbst wagt, sich hinein ins Leben riskiert,
um zu eröffnen, um Zeit zu haben, Raum zu gewinnen, dass sich in ihr Alles
erfüllt.
Das
Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Was könnte das anderes sein?
brennen
Brennt in
euch nicht das Herz? Sehnt sich nicht eure Seele? Gott lieben, ist in seiner
Nähe zu sein. Ihn ganz und gar zu lieben, ihn mit aller Kraft und mit unserem
ganzen Dasein zu lieben, ist in seine Nähe zu kommen, dort zu sein, Gottes
Hier-bin-ich-für-dich zu spüren. Ihn ganz und gar zu lieben, heißt nicht fern
zu sein, nicht fern zu bleiben, heißt, immer einmal mutiger zu bekennen, immer
einmal treuer zu beten, immer nur einmal fröhlicher zu glauben, immer nur einmal
brennender zu lieben. Immer nur einmal mehr, nur einmal mehr: weniger fern, und
einmal mehr: näher.
Liebe kann
man nicht verordnen, noch gebieten. Nähe genauso wenig. Gottes Hier kann man
hören, dazu treten wie der eine, der Schriftgelehrte, Fragen stellen, wieder
hören, aufnehmen, wiederholen und wiederholen und hineingenommen werden in
diese Nähe, offen, verletzbar, unsicher, gewagt, entschlossen, empfänglich,
brennend, total, verliebt, geliebt.
Und gesagt
bekommen, wer wir nun sind: Du bist nicht fern vom Reich Gottes, nicht mehr
weit weg von Gott, von dem höchsten Gut, von dem Schöpfer, Vollender, von der
Quelle, vom Leben selbst, vom Herrn. Dieser Herr ist Gott. Bei ihm ist alles
Notwendige. In seiner Nähe ist Fülle und Erfüllung, Heil und Heilwerden,
Schalom und Seligkeit, Sinn und Liebe. In seine Nähe sich aufmachen, ist lieben
und immer auch schon von ihm geliebt werden.
Dies
verbindet, verbindet uns, dass wir uns aufmachen zu Gott, jeder auf seine
Weise, uns verbindet die Suche nach seiner Nähe, die Liebe zu ihm. Es sind
brennende Herzen. Das verbindet uns mit auf das engste mit Israel. Gott schafft
Nähe zu sich, zu jedem seine Nähe.
Dort teilt
er Liebe aus, die nie endet. Das ist seine absolute Sonderstellung, nicht
versiegende Quelle der Liebe zu sein. Und alle, die davon nehmen, die seine
Nähe suchen, sind unverbrüchlich Brüder und Schwestern seiner Liebe. Amen.
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