Predigt am 9. Sonntag nach Trinitatis
(18. August 2019)
Phil 3, 7–14
7 Aber was mir Gewinn war, das habe
ich um Christi willen für Schaden erachtet. 8 Ja, ich erachte es noch alles für
Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.
Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für
Dreck, auf dass ich Christus gewinne 9 und in ihm gefunden werde, dass ich
nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den
Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott kommt durch
den Glauben. 10 Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und
die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, 11
damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.
12 Nicht, dass ich's schon ergriffen
habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen
könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin. 13 Meine Brüder und Schwestern,
ich schätze mich selbst nicht so ein, dass ich's ergriffen habe. Eins aber sage
ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da
vorne ist, 14 und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der
himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.
Vergessen
Vergessen, was war. Das Schöne wollen
Menschen nicht vergessen, sie wollen es behalten, bewahren, mit sich tragen, in
Erinnerung, im Kopf, in ihrer Seele. Das Schlimme wollen Menschen vergessen, müssen
sie, das Schlimme, das war und doch noch ist. Das in ihrer Seele noch ist, was
als Wunden, als Schmerz, als Schuld war und ist und bleibt, bleibt in ihrem
Kopf, in ihrem Leben, sie drängt, jagt, besorgt, ergreift, festhält. Das vergessen,
das loswerden, das hinter sich lassen.
Was davon liegt alles in unserem
Leben, auf unseren Wegen? Und wie oft noch anderes, was uns nicht mal Schlimm
schien, sondern noch schlimmer: als Gewinn daher kam, was uns nicht Wunde war,
sondern zu glänzen schien, was uns nicht Sünde war, sondern eigenes scheinbar
gutes Tun. Auch das müssten wir hinter uns lassen, es vergessen, uns davon
lösen, es los bekommen, auch merkwürdig frei davon zu werden.
Vielleicht müssen Menschen es sich
noch einmal anschauen, noch und noch einmal. Und vielleicht muss da schon wie
im Verborgenen Christus mit schauen, mit in unseren Blick hineinwachsen,
unseren Blick beginnen zu leiten. So dass das Schlimme, und das, was uns Selbstgewinn
war und ist, etwas anders wird, es um-gedacht, um-gesprochen wird. Es zu etwas
wird, was sich verwandelt, aus Gewinn wird Schaden, aus Glanz Dreck, aus meinem
Blick seiner, aus eigenen Wegen Gottes. Und vielleicht kann ich es dann
vergessen, mich vergessen, mich abwenden und neu zuwenden, mich verlassen und
aufbrechen, zum Wertloses wertlos sagen, zum Unnützen unnütz, zum Schaden
Schaden und ich kann spüren: Engel tragen unsichtbar mit, mein innerer Lärm
verebbt, die Last wird leichter.
verwandeln
Selbstvergessen spüren Menschen dann eine
andere Bewegung in sich, eine eigentümliche Dynamik, ein Sehnen und Strecken in
ihren Gliedern, in ihrem Kopf, in ihrer Seele. Sie machen sich auf den Weg,
abgelöst von alten, sie strecken sich aus, ihre Wünsche, ihre Hoffnung, ihr
Sagen, ihre Worte und Blicke, sie werden selbst still-laute Sehnsucht nach
Gott. Sie jagen nach, se erkennen, sie gewinnen, ergreifen.
Noch nicht ganz, noch nicht
vollkommen, aber sie möchten und tun, sie wollen und können. Die Lähmung von schlimm
und Sünde, von Schaden und Unglück fällt immer mehr weg, sie werden verwandelt
in jedem Atemzug, der versucht Gott zu leben, in jedem Wort, das Gottes Nähe
sucht, in jedem Gedanken, der sich Gott herbeiwünscht, in jedem Augenblick, der
nach Gott ausschaut.
Ihr nach Gott ausgestrecktes Leben
verwandelt sich, nimmt eine andere Form an, in seinen Tagen und Nächten, in
seinem Dahinleben und Dahinsehnen. Christus gewinnt Gestalt, wie er schon in so
vielen Leben Gestalt gewonnen hat, in all den Nachfolgern in all den Zeiten,
von den Jüngern beginnend bis zu uns heute und so oft noch nach uns. Menschen
werden IHM gleichgestaltet, ein Stück seines Lebens, und in ihrem Leiden sehen
sie sein Leiden und in seinem das ihre und er durchschreitet Arges mit ihnen
gemeinsam, und sie spüren ungeahnte Kräfte, Kräfte von wo anders her, von ihm,
spüren mitten im alltäglichen Verfehlen, Vergehen und Sterben, wie sie gehalten,
beseelt, geliebt werden, spüren im Tod die Kraft seiner Auferstehung, sehen in
seiner die ihre und in ihrer die seine.
Menschen glauben, ganz aus Gott
heraus, sie werde ein ihm entsprechender, ein ganz und gar gerechter Mensch.
Sie werden in ihm gefunden, dort schon immer von IHM gesucht, von ihm gesuchte
und gefundene Menschen, Menschen in ihm. Endlich.
ergriffen
„Mein Herr“, das mag das stille,
intime, selige Wort in diesem himmlischen Augenblick von Menschen auf Erden
sein. Mein Gott, und überschwänglich, überströmend, überbordend ist das, was
passiert, ist diese Sehnen und Gefundenwerden, dieses Ausstrecken und Genommenwerden,
ist dieses Erkennen und Erkanntwerden, von IHM. Von Angesicht zu Angesicht in
Alltag von Gesichtern.
Das ist Ziel mitten auf dem Weg, das
ist ein nie erahnter Sieg mitten im gewöhnlichen Lebensringen, es ist Gewinn,
Geschenk. Bevor Menschen ihn ergreifen, ihm nachjagen, sucht Gott uns, hat er
uns schon längst ergriffen, sind Menschen von ihm ergriffen, ergriffen zutiefst
in ihrer Seele, so sehr, weil sich das Leben in Höhe und Tiefe erfüllt, mein Leben.
Jesus Christus ergreift uns, er hat
uns ergriffen. Dazu kam er als Gottes Sohn auf unsere Welt. Er kann und will
das, er kann und will uns ergreifen. Ich stelle mir vor: zart und vorsichtig,
wir sind zerbrechlich. Bestimmt und leidenschaftlich, wir brauchen das. Immer
und geduldig, wir leben davon. Er sucht uns beharrlich. Er streckt sich mit
allem, was er hat und ist, nach uns aus. Er jagt uns nach, durch unsere Zeiten
und Räume. Er sehnt sich nach uns. Er erkennt uns genau. Er berührt uns. Er
nimmt uns. Er gewinnt uns. Er besitzt uns. Zum Glück. Er liebt uns. Immer. Er
vergisst uns niemals. Amen.
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