Freitag, 17. Februar 2012

Liebe wieder fließen

Predigt an Estomihi (19.2.2012)

Amos 5, 21-24:
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Am Fluss
An einem fließenden Fluss stehen. Den Blick dem Wasser entlang, sehen wie das Wasser von woher, von einer weit entfernten Quelle kommt, wie das Wasser wohin fließt, einem fernen Ziel entgegen; erinnert werden, wie gut Wasser tut, wie lebendig und kräftig es ist, wie es fließt, strömt, uns zu solchen macht, die von alters her an Flüssen ihr Leben wohnen lassen, zu, über Flüsse, an Flüssen entlang gehen.
Es ströme Recht wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Was fließt, was strömt bei uns, hier bei uns? Was fließt in unserer Gesellschaft, wenn wir auf unsere Straßen, Plätze, in unsere Häuser, auf uns und unser gegenseitiges Leben blicken? Geld fließt, vor allem, Millionen, so kann man lesen. Tränen fließen und Blut. Der Verkehr fließt, nicht immer. Informationen fließen, SMS, Emails ein ganzer Datenstrom umhüllt uns, Worte fließen, manchmal ein ganzer Wortschwall. Wir stehen im Fluss der Zeit, im Fluss der Geschichte. Sagt man.
Flüssigkeit verbindet. Feste Körper kann man schwerer teilen. Gasförmiges ist unsichtbar. Flüssigkeit fließt aber heraus, entlang einen Weg und hinein, Flüssigkeit verbindet, ist intim, ist gemeinsam von der Quelle bis zum Ziel. Was fließt bei uns gemeinsam? Ich kann nicht viel finden. Es stockt eher. Oder bestimmte, immer mehr werden ausgeschlossen, an ihnen fließt es vorbei. In aller Schnelligkeit, in aller Globalisierung, zerstückeln sich die Flüsse, die uns gemeinsam sind, in viele kleine.

Im Fluss stehen
Von Gemeinsamkeit erzählen die Feiertag, die Festtage. Feste, Feiern sind wie, als würde das Leben kurz angehalten werden, als würde wir das Leben für einen Tag, ein paar Momente lieb gewinnen und es feiern. Wir feiern Geburtstag, Hochzeit, Fasnet, die olympischen Spiele, Jubiläen und unterbrechen den normalen Alltag. Es verdichtet sich alles und wir spüren: Das Feiern wird zum geschenkten Fest, wir spüren die Verbindung zum Leben, spüren Dank und wie unverfügbar, aber uns gegeben es ist, wie schön und wie tragisch, wie brüchig und wie bewahrt wir sind, wir Einzelne und wir gemeinsam.
Als stünden wir im Fluss des Lebens, jenen Fluss, der uns nährt und auch zu fluten vermag; als stünden wir und spürten, wie der Fluss des Lebens an uns brandet, wie wir geboren sind, in Unheilsfluten manchmal getaucht und wieder heil heraussteigen, wie sehr wir im Fluss des Lebens stehen, aber er es ist, der Quelle und Ziel, das Fließen und Strömen in sich trägt, ist.

Es stinkt!
Für Amos, den zornigen Propheten, fließt in seinem Volk nichts mehr. Das Volk hat den Fluss des Lebens verlassen. Es trifft sich, betet, spricht zu seinem Gott, opfert und sucht, sich mit Gott zu verbinden in Geben und Nehmen.
Doch Gott will all das nicht mehr sehen, nicht mehr hören, nicht mehr riechen. Gott ist es satt, er ist zornig, wütend, enttäuscht. Es stinkt ihm. Es beißt in seinen Augen. Er dröhnt in seinen Ohren. Mit allen göttlichen Sinnen sieht er keinen Sinn mehr in diesen Menschen.
Für ihn, für Gott sind ihre Versammlungen, ihre Feste, ihre Gesten, ihre Worte leer geworden, hohl, inhaltslos, herzlos, lieblos, geschmacklos. In ihren Feiern, in ihren Worten, in ihren Gedanken wohnen nicht mehr die anderen Menschen, die Gemeinschaft, die Verbindung mit ihnen, mit denen, mit denen sich Gott aber immer wieder verbündet, besonders mit denen, die vom Leben geschlagen, benachteiligt, verletzt sind.
Für Gott fließt in seinem Volk nichts mehr vom lebendigen Fluss des Lebens. Als hätte sie sich selbst davon abgeschnitten oder herausgestellt. Und das stinkt Gott.
Was stinkt Gott bei uns? Wenn unsere Lebensflüsse stocken, ausschließen, versiegen? Steigt von all den Feiern, mit denen wir unser einzelnes und gemeinsames Leben laut oder leise feiern, noch etwas hoch in den Himmel zu Gott? Haben unsere Feste noch jene letzte Grundierung in und für Gott? Jenen letzten und ersten Bezug zu ihm, der Leben gibt und bewahrt und nimmt?
Was ist, wenn es bei uns stinkt, muffelte, Gott aber das schon lange nicht mehr riecht. Was ist schlimmer: Ein Gott der wütend ist über das, was ihm stinkt, oder einer, dem wir egal sind?
 
Gott fließe
Nein!! Gott bleibt bei seiner Vision von Mensch und Welt. Er bleibt, wenn auch wütend, bei seinen Menschen. Sein Zorn zeigt, wir sind ihm nicht egal. Vielmehr: Es fließe und ströme bei euch! Lasst es bei euch fließen und strömen, jenen Fluss des Lebens!! Stellt euch nicht nur an seinen Rand, ab und zu in ihn rein. Macht, dass er fließt und strömt!
Gott will keine versiegende Bäche des Lebens, keine Seelendürre, er will nicht, dass nur einer von uns und all den anderen abgeschnitten, ausgeschlossen ist von seinem Fluss des Lebens, von ihm als Quelle, als Ziel.
Deswegen: Lasst unter euch, in euch, zwischen euch fließen, ja strömen, unaufhaltsam, flutartig-kontinuierlich Recht und Gerechtigkeit, Gottes Recht und Gottes Gerechtigkeit, seine Vorstellung von unserem Zusammenleben, seine Bundestreue als Treue unter uns, seinen Bund, der unter uns lebet und Frieden gebiert. Jenen Frieden, der er ist, der dort ist, wo er ist, jener Frieden, der unseren Seelen Seelenfrieden schenkt und tief solidarisch ist mit allen, deren Seele verletzt ist, die ausgeschlossen sind, die am Rande sind, die arm sind, die stinken, deren Tränen, deren Blut zu oft fließt.

Feiert eure Feste mitten im Fluss des Lebens. Feiert euer Leben. Es ist von Gott geschenkt. Es gehört ihm. Es kommt von ihm. Es geht zu ihm. Feiert, so dass jeder genau dies spüren kann, dass die, die um euch wohnen, leben, sich verstecken, verkriechen, fürchten, klagen, duften oder stinken mit euch im Fluss des Lebens steigen, sind und davon leben. Lasst Gott unter euch fließen. Er ist die Quelle. Er ist, wo das Leben mündet. Er ist die Liebe, die alle verbindet.
Und wir? Wir leben. Wir sind ein Wohlgeruch, ein Augenschmaus, ein Hörgenuss Gottes. Amen.

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