Sonntag, 26. Februar 2012

Gut genug

Predigt am Sonntag Invokavit (26.2.2012) zur Eröffung der Fastenzeit

Nass geworden (Jochen Kunath)
Aus den Fluten steigen. Nass geworden. Ein junger Mann, nicht unattraktiv. Das nasse T-Shirt klebt an seinem Oberkörper. Irgendwo ein Fluss, im Hintergrund Häuser, eine Stadt. Nicht nur das weiße T-Shirt ist nass, auch die Jeans und die Haare.
Schon merkwürdig: Mit nassen Kleidern in einem Fluss, aufrecht steht er da der Mann, er geht, sein linker Fuß langsam nach vorne. Sein Blick wirkt abgekämpft, müden, erschöpft, visionslos, irgendwie aber auch still bewahrt.
Seine beiden Hände fassen nach hinten, berühren seine Flügel, als wolle er sie halten. Warum hat der junge Mann Flügel? Ist er ein Engel? Sind sie ihm gewachsen? Wie kommt der junge Mann mit seinen Flügeln in diese merkwürdige Lage, nass im Fluss.
Seine nassen Kleider, seine Haltung, sein Blick erzählen: das wollte ich nicht. Das hätte ich nicht erwartet. Ich bin unfreiwillig im Wasser gelandet, abgestürzt, baden gegangen. Trotz meiner Flügel …

Flügel (Raimund Fiehn)
Abgestürzt, weil zu hoch geflogen?
Ich denke an Dädalus und Ikarus aus der griechischen Sage. Ikarus kam mit seinen Flügeln der Sonne zu nahe und stürzte ab. Zu viel gewollt – die Sache übertrieben.
Hab ich etwa doch nicht alles richtig gemacht?

Oder vielleicht ein gefallener Engel? Auch wieder einer, der zu viel wollte? Einer, der sein wollte wie Gott und dafür hinab- und ausgestoßen wurde.

Flügel sind doch eigentlich dazu da, dass sie tragen, empor heben, fliegen lassen.
Diesem hier hat wohl jemand die Flügel gestutzt.
Hier sind die Flügel wohl Teil einer Absturzgeschichte.
Ich habs doch aber gut gemeint. Ich wollte doch das Beste.
Ist das Beste denn nicht gut genug?

Fastenzeit/Passionszeit: das ist Zeit auch der Irritationen.
Das Beste ist manchmal wirklich nicht gut genug.
Das Beste ist manchmal zu viel des Guten.

Wir haben das Gesicht aus dem Bild herausgenommen. Stellen Sie sich doch einfach mal ihr eigenes Gesicht darin vor.
Wie geht es Ihnen da?
Wie ist das mit Ihrem Ehrgeiz?
Gibt es überhaupt guten, richtigen Ehrgeiz?
Leiden nicht auch immer Menschen unter unserem Ehrgeiz?
Andere oder auch nur wir selbst?

Ehrgeiz (Jochen)
Was macht den Ehrgeiz in uns drin? Dass wir etwas erreichen wollen? Dass wir nach etwas streben. Dass wir es einfach meistens, immer gut machen wollen? Dass wir es anderen, der Gemeinde, den Pfarrern, Gott recht machen wollen?
Ist nur der übertriebene Ehrgeiz die teuflische Versuchung? Wenn wir zu ehrgeizig sind, wenn wir zu hartnäckig sind, wenn wir zu zielorientiert sind, wenn wir zu hoch gesteckte Ziele haben, wenn wir nicht rauskommen aus dem Hamsterrad, wenn wir vom Ehrgeiz, dem Streben, den Zielen zerfressen werden.
Es gibt doch den gesundem, den guten Ehrgeiz, der mit den guten Zielen, dem guten Streben, dem guten Wollen. Und es wäre doch schlimm, wenn wir hier alle nicht zumindest ein bisschen Ehrgeiz für die Sache Gottes hätten, wir Hauptamtliche und Ehrenamtliche, nicht ein bisschen ehrgeizig für die Predigtbezirke, für die Pfarrgemeinde, für den Stadtkirchenbezirk. Oder wohnt jedem, auch dem besten, auch dem kirchlichen Ehrgeiz ein Keim inne, der Versuchung, der falsch ist? Der Keim, so wie Gott sein zu wollen?

Gut genug (Raimund)

Text: Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. Gal 5, 25f

Schön wärs! Aber es menschelt halt auch in der Kirche.
Wenn wir es wenigstens durchschauen, wenn wir vor allem uns selber durchschauen.
Eben nicht: jeden Tag ein bisschen mehr.
Eben nicht automatisch: höher – schneller – weiter
Wann darf ich mal nur „gut genug“ sein?
Wann können wir auch andere einfach nur „gut genug“ sein lassen?
Unsere Kinder, unsere Partnerin, unseren Kollegen, unsere Untergebenen?
Wer sagt mal zu mir im positiven Sinn: es reicht, mehr nicht?
Lege deinen Stift aus der Hand, schalte den PC aus, lass die Emails rot, verlier deine Ziele einfach mal aus den Augen, lege dich hin, mach die Augen zu, atme, lebe – einfach nur so.
Schauen Sie sich nochmal das Bild an
Von wo ist er abgestürzt? Wo bin ich abgestürzt mit falschem Ehrgeiz? Wo habe ich anderen oder auch mir selbst damit Schaden zugefügt?
Der abgestürzte Engel steigt unverletzt aus dem Wasser, irritiert aber nochmal davongekommen, er ist einfach nur nass und hat hoffentlich etwas dazugelernt.
Und wir?
Wir leben als Christen im Geist, behauptet der Apostel Paulus.
Der Geist Gottes bezeugt uns ganz grundsätzlich:
du bist gut genug, denn ich habe dich erschaffen
du bist gut genug, denn ich liebe dich, was immer passiert
Lass dir an meiner Gnade genügen.
Der abgestürzte Engel ist auf unangenehme Weise nass geworden.
Für uns Christen gibt es ein Nasswerden, das eine sehr positive Bedeutung hat, nämlich mit dem Wasser der Taufe.
Da sind wir auf heilsame Weise nass gemacht worden – und mit Gottes gutem Geist beschenkt.
Erinnern Sie sich heute ganz bewusst an dieses Wasser.
Da die meisten von uns keine eigene Erinnerung an ihre Taufe haben, laden wir Sie ein, jetzt nach vorne zum Taufstein zu kommen.
Benetzen Sie einen oder zwei Finger und zeichnen Sie sich ein Kreuz auf die Stirn.
Hören Sie die Zusage Gottes dabei: Du bist gut genug. Lebe in dem Geist, der dir von mir in der Taufe geschenkt wurde.
Amen.

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