Donnerstag, 13. Februar 2020

Bitter süßes Wort


Predigt an Sexagesimae (16.2.2020)

Hesekiel 2, 1-3, 3
1 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, stelle dich auf deine Füße, so will ich mit dir reden. 2 Und als er so mit mir redete, kam der Geist in mich und stellte mich auf meine Füße, und ich hörte dem zu, der mit mir redete. 3 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, ich sende dich zu den abtrünnigen Israeliten und zu den Völkern, die von mir abtrünnig geworden sind. Sie und ihre Väter haben sich bis auf diesen heutigen Tag gegen mich aufgelehnt. 4 Und die Kinder, zu denen ich dich sende, haben harte Köpfe und verstockte Herzen. Zu denen sollst du sagen: »So spricht Gott der HERR!« 5 Sie gehorchen oder lassen es – denn sie sind ein Haus des Widerspruchs –, dennoch sollen sie wissen, dass ein Prophet unter ihnen gewesen ist. 6 Und du, Menschenkind, sollst dich vor ihnen nicht fürchten noch vor ihren Worten fürchten. Es sind wohl widerspenstige und stachlige Dornen um dich, und du wohnst unter Skorpionen; aber du sollst dich nicht fürchten vor ihren Worten und dich vor ihrem Angesicht nicht entsetzen – denn sie sind ein Haus des Widerspruchs –, 7 sondern du sollst ihnen meine Worte sagen, sie gehorchen oder lassen es; denn sie sind ein Haus des Widerspruchs. 8 Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs. Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir geben werde. 9 Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. 10 Die breitete sie aus vor mir, und sie war außen und innen beschrieben, und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh.
1 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, iss, was du vor dir hast! Iss diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause Israel! 2 Da tat ich meinen Mund auf und er gab mir die Rolle zu essen 3 und sprach zu mir: Du Menschenkind, gib deinem Bauch zu essen und fülle dein Inneres mit dieser Schriftrolle, die ich dir gebe. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.

Wortschwangere Welt
Gottes Wort ist im Schwange, von Anfang an und bis zum Ende, von der Schöpfung von allem, der Welt und uns, bis zu ihrer Vollendung, in jedem Moment, Augenblick, Atemzug und Geschehen- und im Ganzen  Gottes heiliges, lebendiges, scharfes, alles beherrschendes, demütiges, wunderbares, zartes, Leben erhaltendes Wort.
Hörbar ist es. Vernehmbar. Anzutreffen. Da. Ist es. Treu und gewiss allen Zeiten, allen Menschen, jedem, der selbst ist und da ist. Gottes Wort trifft und schafft, berührt, erreicht. Gottes teures Wort erfüllt Herzen, Szenen, Bücher, Gedanken, Geschicke, ganze Menschen und Epochen. Erfüllt und baut auf, erfüllt und erbaut, erfüllt und stärkt, rettet, befreit, tröstet, ist Licht und Erbarmen, Leuchte und Sinn, ist süß.
Gottes Wort ist bitter, schmeckt bitter. Es ruft heraus und macht einsam, er irritiert und provoziert, es reizt, reizt zum Widerspruch, erzeugt Widerwille, innerliche Rebellion, schafft, erlaubt, lässt zu, dass Menschen davon abrücken, die Ohren verschließen, es uminterpretieren, es ablehnen, abtrünnig behandeln, ihr Herz verstocken und im Kopf unzugänglich für es werden, es sind, hart, hart wie Stein und Beton. Wort Gottes süß, jetzt bitter, wie unter Skorpionen, wie unter Dornen und Stacheln. Auch bei uns. Auch wir. Was das Herze kränkt. Dunkles Wort!

Einverleiben
Mach den Mund auf. Mach dein Leben auf. Öffne dich. Nimm es. Das Wort. Es ist dir gegeben. Es ist vor dir. Es ist da. Es ist dir entgegengestreckt, vor dich hin ausgestreckt. Da! Da ist es!
Was verleiben Menschen sich alles ein? An Gutem wie Schlechtem. An Verdaubarem und Unverdaulichem. Was kommt alles in Menschen hinein, und fressen sie in sich. Durch Haut und Augen, durch Hände und Sinne, durch sich in sich. An Angst und Anmaßung. An Fragen und Übermaß. Mit was füllen Menschen ihr Leben voll und verleiben es sich ein – bis ihr Bauch, ihr Lebensbauch voll ist und sie satt. Nur: Mit was?
Nimm Gottes Wort. Nimm es in dich auf. Aber: Wie kommt es nur in mich hinein? Wie kann ich jenes teures schönes großes Wort mir einverleiben? Jenes, auf dem alles wie steht, ach und weh und Klage, aber doch auch Licht und Hoffnung, Segen und Leben, beidseitig vollgeschrieben von Gottes lebendiger unsichtbarer Hand.
Nimm und nimm es auf, fülle damit dich und dein Leben, zwischen dein Fragen, zwischen dein Suchen zwischen Hunger und satt, zwischen leer und voll, nimm und iss. Fülle dein Innerstes, dein Lebensbauch mit ihm, jenem teuren schönen heilsamen Wort, mit all seinen heiligen Buchstaben, die Gott in sich tragen, die Gott in dich trägt.
Niemals essen wir Worte, vielleicht mal aus Dummheit einen Zettel. Und ich esse Gottes Wort, führe es in meinem Lebensmund, kaue es, Satz für Satz, Sinne für Sinn, Verheißung für Verheißung, Liebeswort für Liebeswort, und spüre sein wunderbaren Nähstoffe, schlucke und trage es als teures Gut in mir, habe es einverleibt. Es schreckt mich, wie kann ich jene weltenschwere Kost nur tragen, und ich habe sie im Lebensbauch doch.
Fürchte dich nicht. Fürchte dich nicht vor Gottes Wort in dir. Lass es niemals sein.

Auf die Füße mit Dir
Oh Du, Menschenkind. Sechsmal wird dies widerholt. Als könnte da einer nicht genug davon bekommen, nicht genug es sagen. Du, Menschenkind! Du, Mensch, Du, Adam, Du, von Erde genommener, erster, wichtigster von Gott geschaffener Mensch. Angesprochen wird Menschen, werden wir. Angesprochen mit unserem Du, jenes Du, das wir für andere sind, das wir als unser Ich sind, im Spiegel unserer Nächte und unserer Morgen. Du: Ich benannt, ich angeredet.
Bereit zum Hören, bereit die Worte aufzunehmen, bereit aus dem Hören neu geschaffen zu werden, um selbst zu reden, um selbst Gehörtes zu sagen, hinaus und hinein zu sagen, Anteil zu haben an jenem einem vielem Wort, das schon immer schwanger geht, nun durch mich. Gott spricht und spreche ich ihn.
Gott stellt mich auf meine Füße. Immer wieder. So oft ich fallen mag, so oft ich stolpere, stehe, stürze. Gott stellt mich wieder auf meine Füße. Meine Füße, die so vieles sind, so müde, geschunden, behäbig, zögerlich, träge, fleißig. Meine Füße verborgen unter Decken und in schönen Socken, Füße, auf die ich manchmal nicht mehr stehen kann, auf die ich doch vertraue, um die ich ringe, die am Ende still im Sarg sind, wieder etwas kleiner, aber größer als sie frisch nach Geburt nur rochen, die auferstehen.
Auf diese Füße stellt mich Gott, selbst wenn ganz ruhig ohne welche ich bin. Er stellt mich auf weiten Raum, in die Spalte der Felsen wir Mose, in meinen Garten Gethsemane, auf die vielen Weg, wo mein Fuß gehen kann. Er stellt mich hin mit seinem Wort im Bauch, satt und doch irgendwie eigentümlich hungrig. Er stellt mich und sendet mich hinein in meine Welt. Ich habe sein Wort mir einverleibt und nun verkörpere ich es.
Widersprich nicht. Gehorche. Lass sein Wort. Sei Prophet im eigenen Land. Sei getragen von seinem ewigen teuren wunderbar süß bitterem Wort. Amen.

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