Donnerstag, 27. Februar 2020

Auch


Predigt am Sonntag Invocavit (1. März 2020)

1. Mose 3, 1-24: Der Sündenfall
1 Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? 2 Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; 3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! 4 Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, 5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6 Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. 7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.
8 Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des Herrn zwischen den Bäumen im Garten. 9 Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. 11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? 12 Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß. 13 Da sprach Gott der Herr zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.
14 Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. 15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.
16 Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.
17 Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. 19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.
20 Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. 21 Und Gott der Herr machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. 22 Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und nehme auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! 23 Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. 24 Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.

Orgelimprovisation

Es fehlt
Es scheint Eva etwas zu fehlen. Auch Adam und vielleicht auch der Schlange. Was es auch immer gewesen ist. Es fehlte ihnen etwas. Es fehlt immer etwas. Immer ist da irgendwo, irgendwann eine Lücke, ein Loch, etwas, was noch nicht da ist, noch nicht geschehen ist, was noch aussteht, was kommt, was sein könnte, was noch möglich wäre.
Und das, was fehlt, erweckt Sehnsucht im Menschen, hält sie wach, provoziert sie, vielleicht auch ein Bedürfnis, die Lücke zu schließen, das Unbekannte zu entdecken, das Ferne sich nah zu machen. Vielleicht ist es ein Verlangen, ein Kostenwollen, ein schon Schmecken, jener kleine Moment, bevor Menschen in den Sündenapfel, das dann sich als Böse Zeigende beißen, vielleicht Lust, vielleicht komisch-tragische Not.
Was fehlt, bietet eine bestimmte Angriffsfläche, und sei sie noch so klein, eine Angriffsfläche, für so etwas wie Begierde, Habenwollen, Habenmüssen. Das, was fehlt, markiert eine spürbare, immer stärker werdende Lücke: klitzekleiner Spalt im menschlichen Leben, ein Bruchteil von Sekunden offen, verlockt, verführt, überlistet, getäuscht zu werden, und hineinzubeißen in etwas, was die Lücke füllt, die sonst gar nicht da wäre, würde Mensch nicht sie füllen wollen.
Fein listig eröffnet die Schlange eine kleine Welt von Möglichkeiten, von Deutung, von „Könnte es sein …“, von „Wäre es nicht besser“ … Eine kleine Distanz, aus der Eva ein bisschen zu lange über Gott nachdenkt, sich ein Gottesbild vor ihren Gott schiebt und sie die Grenze im Kopf schon verrückt hat und zubeißt, kaut, runterschluckt, sich die Sünde und das kleine Böse einverleibt und weitergibt, ihren Biss dem Adam und der uns allen, so wie wir die Schuld weitergeben, auf einen anderen schieben, uns nur scheinbar entschuldigen, aber doch die sind, die wir sind: uns fehlt was, wir füllen es. Auf tragische Weise.

Nackt
Nackt werden Menschen geboren und im Grunde sterben sie auch nackt. Unsere Nacktheit verbergen wir und nur die Liebe kennt uns ganz entblößt. Eva und Adam reißt die Sünde die Augen auf, ganz weit, sie sehen alles, sie entdecken sich, und was sie sehen lässt sie fürchten, fürchten um das, was sie entdecken, nämlich fürchten um sich selbst.
Nackt sind Menschen wehrlos, ausgesetzt, auch sich selbst. Nichts bekleidet sie, nichts ummantelt sie, nichts kaschiert sie und macht sie anders als sie sind. Nackt wissen wir um uns, nackt an Leib und Seele sind wir pur, ganz pure Menschen. Und wir sehen, was wir immer schon wissen und sehen: wir sind anders als andere und wir sehen deutlicher unsere Scham, unser Intimstes, unser Ureigenstes, und wir müssen es schützen, behalten, bewahren, und können es doch nicht, nicht immer, sind verletzbar, verletzte selbst im Blick und erfahren Momente der Peinlichkeit. Wir verstecken uns, weil wir nie wissen, ob wir vor dem anderen ganz da sein dürfen, ob er uns sehen kann und mag. Wir werden zu gesuchten, gefragten, verborgenen Menschen, die sich, ihren Körper bedecken und sich fürchten vor dem Zugriff des anderen, und Gott wird uns zur Frage, es hallt bis in unsere Ohren sein Wo von damals, Sein: Wo bist du, Mensch?

Beschwerlich
Und mühsam wird unsere Antwort, nur mühsam können wir Gott sagen, uns bei ihm benennen; wir haben die Natürlichkeit verloren. Es könnte immer auch anders sein, es könnte immer auch nicht sein. Eva und Adam wurde das Leben zum mühsamen, beschwerlichen Fluch. Unter Mühen und Qual erleben sie das, was sie ganz natürlich tun könnten: gebären und ernähren. Und dieses mühsame Leben liegt auch in unserem. So glücklich, so schön, so leicht vieles ist, genauso vieles und mehr ist es nicht, ist daneben schwer, mühevoll und müssen wir den Dingen, den Umständen, anderen abringen. Das Leben ein immerwährendes Alltagsringen, eines mit Macht, mit Herrschaft, mit Gegensätzen, mit Feinden. Als wolle man uns einfach nicht in Ruhe lassen. Ein Leben als Arbeit, mit Staub und Dornen, Disteln und Dreck, mit Händen, die sich schmutzig machen, mit Gedanken, die manchmal am Abgrund denken, mit zwiespältigen Gefühlen, mit Argwohn, Unlust und Bitterkeit zersetztes Leben.
Leben auch als Last, vergängliches, vertriebenes Leben, ein Leben, das sich verbraucht, die Jahre, die Hoffnung, die Nahrung, die Dinge, die anderen, Götter und manchmal auch die Liebe. Ein Leben hinausgetrieben zu leben, unstetes Leben, suchendes Leben, dem nachjagend, was es schon längst verloren hat, nie hatte: ein Paradies, eine ungeahnte Naivität, ein durch den Garten Eden schlendernder, nur ganz nahen Gott.

Behütet
So auch ist unser Leben, nie ganz und gar, aber auch. Wir sind beides, und heute im dunklen Schatten dieses Textes das zweite, in die Sünde gefallene Menschen. Es könnte auch anders sein, nur dieses Auch ist jenes trügerische Etwas, was uns als klaffende Lücke und Wunde heute erscheint.
Und trotzdem gibt Adam Eva einen Namen, zieht Gott den beiden Menschen Röcke an, bleibt Gott der Wächter im kalten Abendhauch und der Baum des Lebens scharf bewacht. Das sind nicht mehr als kleine Hoffnungsschimmer in einen durch und durch bedrohlich uns beschreibenden Text. Es sind aber solche Lichter durch das Dunkel hindurch:
Mitten in der Sünde erscheinen Adam und Eva als sich still Liebende vielleicht. Er gibt ihr einen Namen, sie ist ihm ein benanntes Gegenüber, ein lebendiges Du, die Mutter alles Lebens, der Anfang von allem, was Leben nach dem Paradies ist. Und Gott, der mitten in der Sünde schrecklich umdenkt, neu schafft die Schlange und die Bedingungen des Menschen, beide zu kriechenden und mühsamen Kreaturen macht, der gleiche Gott scheint einzusehen, dass sie Schutz doch brauchen, verwandelt ihren Schurz in einen festen Rock, scheint sie fast zärtlich mit Röcken zu umkleiden, fast fürsorglich, fast als verzweifelt Liebender und Gott bleibt auch hinter den Toren zum verlorenen Paradies immer noch der, der am Abend als treuer Wächter da ist und da bleibt, der unser Leben durchstreift und behütet, und der Baum des Lebens, ein Stück gesuchter, erhoffter, benötigter Ewigkeit, der bleibt auch stehen, als Grenze, als wahre Verheißung. Er bleibt inmitten der Sünde und wird ebenfalls bewacht, beschützt, als würde er von Menschen noch gebraucht werden.
Amen.



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