Samstag, 21. Dezember 2019

Hohl


Predigt zu Heiligabend 2019

Ortsuche
Gott sucht einen Ort, seinen Ort. Seit der Schöpfung sucht er ihn. Ein Ort für sich, seine Liebe, seine Kraft, seine Herrlichkeit. Er sucht ihn durch den Mund der Propheten, durch den Weg mit seinem heiligen Volk. Er sucht ihn mit mir und mit dir, mit uns, schon immer und jeden Tag und er sucht ihn bis zum Ende aller Zeiten, wenn Gottes Gegenwart vollgültig hereinbricht und alles erfüllt, wenn er seine Hütte bei den Menschen aufgerichtet und alle Menschen aller Zeiten sein Volk sind. Solange sucht Gott einen Ort, seinen Ort, an dem er da ist, gegenwärtig ist, er auf die Welt kommt, auf meine und deine, der Ort, an der er sich verschenkt.
Menschen suchen Orte, mehr oder weniger. An einem bestimmten Ort werden sie geboren, an einem bestimmten Ort sterben sie, an Orten wohnen sie, meistens an verschiedenen, und alle diese Orte tragen Namen, sind Wohnorte und Lebensorte, gefühlte und gefüllte Orte - mit dem, was dort mit und durch Menschen geschieht, Orte, die weit beginnen und ihren Zirkel immer kleiner ziehen, die im Ort im Ort, im Raum, Zimmer, im Gegenüber am Tisch, im Wachen nachts im Bett, im Lieblingssessel, im Alleinsein enden. Menschen sind verortet, immer, irgendwo, daheim, da, abwesend, gesucht, verloren, zusammen. Menschen sind ortlos, manchmal, äußerlich und innerlich, entwurzelt, suchend, von Ort zu Ort vage ziehend, auf Lebenswanderschaft, und Menschen kennen Un-Orte, Schrecklich-Orte, Leidens-Orte, auch Innen und Außen. Orte, an denen besser nicht zu sein ist, die Schmerz, Verletzung, Demütigung an sich tragen. Orte, in all den vielen Orten, die Menschen haben, finden und suchen Menschen.

Gefunden
Gott hat einen Ort gefunden. Weit zuerst ist zu hören, dass sich alle Welt schätze ließe, und dass dann aus der Höhe für die Erde was geschehe, dass die Engel gen Himmel führen. Gott hat einen Ort gefunden. Immer näher: da Quirinius Stadthalter in Syrien war, wo zwei Menschen auszogen aus einem Land in das andere Land, vom galiläischen ins judäische, wo es immer konkreter wird, wo es der eine Orte den anderen wechselt: von Nazareth nach Bethlehem. Von Wegen und Straßen, Gegenden und von „auf dem Feld in der Nähe“ ist die Rede.
Und von keinem Raum in der Herberge ist die Rede. Als würde Gott im letzten Augenblick suchen und doch nicht finden, als würde er den Fokus seines Weges im Kosmos, zwischen Höhe und Erden, in den Gegenden von Ländern immer stärker konzentrieren und fast finden und dann doch nicht finden: Kein Raum, kein Platz kein Ort für Gott in dieser Welt.
Und dann findet Gott doch, hat er gefunden. In Windeln gewickelt hat er sich, zu schützen sich als Frischgeborener, und dann hat Gott sich hineingelegt in jene Krippe, in jenen Futtertrog, der im Notbehelf des Stalles, zufällig und absichtlich da stand, wahrscheinlich dreckig, voll Heu und voll Stroh, zweckentfremdet. Wo sonst Tiere daraus essen, hat er sich hingelegt, ins Grobe, Gebrauchte, Abgenutzte, für diesen Anlass Ungewöhnliche, in diesen hölzernen länglichen offenen Behälter. Gott hat seinen Ort gefunden.

Ich Futtertrog
Gott sucht und findet mich. Von Ferne kommt er mir nah, vom weit Abstrakten werde ich sein Konkretes. Im Suchen meiner Orte, im Bewohnen, Ziehen, Bleiben sucht Gott mich jede Weihnacht und findet mich.
Im Futtertrog, in meinem Futtertrog. Genau da, wo er an mir diese Erfahrung macht: Kein Raum. Kein Raum bei meinem Menschen, da findet er mich. Kein Raum für Gott, kein Platz im Leben für ihn, zu besetzt bin ich mit anderen Gedanken, mit mir und meinem gewollten Leben, zu abgeschirmt, zu unzugänglich, zu wenig Raum. Da findet mich Gott, wie damals.
Gott findet mich nicht an meinen mir üblichen, gewohnten Orten, an denen ich vielleicht denken mag, da könnte er mich finden, da würde er mich suchen. Er findet mich an meinem Not-Ort, an meinem Ausweich-Ort, an meinem unverhofften, überraschenden, eigentlich für die Begegnung mit Gott scheinbar ungeeigneten, unpassenden, ja unbrauchbaren Orte, dort sucht und findet mich Gott. In meinem Futtertrog.
In weiße Lebens-Windeln gewickelt legt Gott sich hinein an diesem meinen Ort. Ich, mein Stück vom Leben muss nur hohl genug sein, hohl, offen, länglich muss ich ein Behälter werden für ihn, wie jener merkwürdige Futtertrog von damals. Und Gott legt sich hinein an diese meine hohle Stelle, ja, vielleicht wird sie erst hohl und empfänglich durch sein Hineinlegen, wie damals, er macht mich ihm zart gefügig, ich werde geformt, gemacht, zum Trog seiner Liebe, seiner Gnade, seiner Herrlichkeit, seiner lebenslangen Suche.

Krippe werden
Und wie sich damals in jener einen Nacht der einfache Futtertrog, das Unpassende verwandelt hat zur Krippe für Gottes Sohn für alle Zeit, und wo seitdem Menschen den dürren Futtertrog ausschmücken, Bilder von ihm malen, den holden Knaben mit lockigen Haar hineinsingen, drumherum Figuren, Holzställe, Berge, ganze Landschaften stellen und sie das Ganze dann Krippe, ja Weihnachtskrippe nennen.
So auch ich und wir, verwandeln uns an Weihnachten, vom Futtertrog, vom hohlen Behältnis für Gottes Hineinlegen in die Krippe zu seiner Krippe in dunkler Nacht, zu Menschen, die er hohl gefunden hat, die er zu seinem wunderbaren Ort macht, zu einem zutiefst von ihm erfüllten. Amen.

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