Predigt an
Heiligabend 2018
Trotzdem berührend
„Stille
Nacht, heilige Nacht“, vielleicht Kitsch, vielleicht ein religiöser Schlager.
Aber doch berührt dieses Lied, geht es zu Herzen, durch seine einfache,
erhebende, wiegende Melodie, durch seinen schlichten Text. Irgendwie stellt es
uns an die Krippe, staunend, still, ist es ein Liebeslied für das
frischgeborene Gotteskind, trifft es unsere Sehnsucht. Ist diese „Stille Nacht,
heilige Nacht“ ein kleiner Seelenspiegel.
So wie das
Bild dazu. Ein Foto. Ein Foto einer Landschaft, einer vor unseren Augen still
gestellten Landschaft, in Blau getauchte Berge, ein ruhender mit verschiedenen
Blautönen getränkter See, ein Lichterbaum auf einem Steg, der sich im Wasser
spiegelt. Eine Momentaufnahme, vielleicht Morgendämmerung, ein Augen-Blick, der
im Schauen in unserer Seele auf Bewegung trifft und sie in Schwingung, in Bewegung
setzt.
Lied und
Bild. Und irgendwie auch bei beidem das Gefühl: Ganz so ist es nicht, selbst am
Heiligen Abend. Ganz so still, heilig und friedlich ist es nicht. Lied und Bild
siedeln sich direkt neben anderen Bildern, Tönen und Worte an, die von einer
viel unbarmherzigeren und unseligen Wirklichkeit sprechen, um sie wissen,
gerade auch heute am Tag der Gottesgeburt im Stall der Armen. Bild und Lied
sind nah am Kitsch, an der Übertünchung und Vertröstung, sie sind aber auch nah
an unseren Herzen und Seelen, an jener durch die Dunkelheit hindurch geborenen
Verheißung Gottes: So soll es für euch werden. Euch ist heute der Retter geboren.
Euch schlägt jetzt die Stunde, an der es für euch heilig wird. Bild und Lied
werden vor euren Augen zu eurer Wirklichkeit.
Ruhig geboren
„Stille
Nacht, heilige Nacht“ spiegelt sich hinein in die Nächte der Menschen, die
manchmal so weinig still und heilig sind, Nächte, in denen Menschen den Schlaf
suchen und nicht finden, unruhig sind, das Lebensdunkelheit in der Nacht noch
drückender ist, Nächte die von Lebensnächten erzählen, die unsere Seelen
verfinstern. In diesen Nächten geschieht jene Geburt, für diese dunklen
Lebensnächten geschieht sie.
Stille
Nacht heilige Nacht soll es dort werden. Als würde Gott in jener einen Nacht
tief Atem holen für sein Rettungswerk an allen Menschen zu allen Zeiten. Gott
hat jene himmlische Ruhe für uns im Sinn, alles schläft und er wacht über uns,
er legt uns schlafen und möchte unsere Ruhe, aus der wir Kraft schöpfen. Traut
und hochheilig bergt Gott still uns in sich, wiegend, haltend, seine Lieben
schenkend. Es ist sein Liebeslied für uns.
Gott gebärt
sich in unsere Nächte, die ganz realen. Dann dämmert es, dann bricht mitten zur
Nacht sein Licht langsam an. Dann bewegt sich vor unseren Augen das Bild und
wir haben Anteil an ihm, stehen dort am Seeufer, schauen still staunend und
wissen, spüren, Licht und Dunkelheit gehören zum Leben, die Weite auch, das ins
Dunkle Getauchte, was unsere Seele droht, aber Gott schenke uns Ruhe und
Stille, tief, tief in unsere Seele: Stille Nacht, heilige Nacht. Töne werden,
wir werden einbezogen, hören mit, was damals die Engel sangen, es wird am Ufer stehend
zu unserem Gehörten, mitten in der Stille klingt es in uns, fern und nah:
Christus, der Retter ist da.
Ein Anflug von Lächeln
In Himmel
ist nie nur, ganz Ruhe. Kann es nicht sein. Dort sind all die Schreie der
gequälten Schöpfung zu hören, das Weinen der Kinder, das Klagen der Leid
Geprüften, das Anfragen der geschundenen Seelen, das leise Wimmern der in den
Krieg Getriebenen. Das alles halt und ist laut, auch und gerade in der stillen,
heiligen Nacht. Das alles lärmt zu recht im Himmel und schallt wieder als
Gottes Schmerz über seine und mit seiner Schöpfung. Gott könnte das Lachen
schon längst vergangen sein.
Aber seine
Liebe macht Gott unruhig, unruhig, leidenschaftliche für seine Liebe, die immer
größer ist als alles anderem, größer als der Himmel, eine Liebe, die ihn zu
Erden treibt, zu Menschen, zu uns Menschen, dort in deren Leben als Liebe, als
Hilfe, als Kraft, als Trost geboren zu werden. „Gottes Sohn, o wie lacht Lieb
aus deinem göttlichen Mund“. Und Gott lacht doch in dieser Nacht, in jener damals
und in jeder, in die er uns Licht gebracht.
Nicht nur
wir sagen und singen „Du“ und „o“, nicht nur: unsere Nächte sind gemeint,
sondern: In der Krippe ist Gott anmutig zu sehen, hold, schön, wunderbar,
Gottes Mensch gewordenes Gesicht trägt lächelnde Züge. Wir dürfen uns Gott in
diesem Augenblick, in der selbstgewählten Art, im Dunkeln zu wohnen, glücklich
vorstellen, glücklich über uns, über unsere Rettung, glücklich lachend aus
tiefer Herzensliebe, uns heute hier und jetzt anlächelnd, sagend: Christ, in
deiner Geburt. Christ, in meiner Geburt Das Bild geht weiter, immer weiter.
Kein Moment, auch nicht der von Heiligabend, ist festzuhalten, unsere Seele
wird an Weihnachten neugeboren, sie spiegelt sich in jenes Bild hinein und
entdeckt es wie das Lied, wie dieser Abend, als ein Geschenk, als ein
geschenkter Augenblick Gottes, einer voller lebendiger Ewigkeit für uns: Stille
Nacht, heilige Nacht. Amen.
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