Freitag, 12. Oktober 2018

Andere nahe Welt


Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis (14.10.18)

1. Korinther 7, 29-31
Das sage ich aber, liebe Brüder (und Schwestern): Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht

In jedem deiner Augenblicke
Ein brennender Dornbusch, der nicht verbrennt. Starre Steine, die lebendig werden. Blindgeborene, die wieder sehen. Ein Gottessohn am Kreuz der Menschen. Tote Menschen, die auferstehen. Eine heilige Gemeinschaftaus Sündern auf Erden. Alles eine merkwürdige Wirklichkeit. Wundersam. Wunderbar. Geheimnisvoll. So wie die Zeit manchmal. So wie Zeit, die Paulus empfindet:
Für ihn ist die Zeit kurz. Das Ende ist nah. Die Zeit ist zusammengedrängt, als müsste sie noch schneller vergehen. Die Zeit ist schnell und rennt vorüber. Die Zeit wird wie angesaugt vom immer schneller kommenden nächsten Augenblick. Das Ende der Augenblicke ist immer näher als ihr Anfang, das Vergehen stärker als das Bleiben, das Werden präsenter als das Ruhen. Alles wird zu kurz, zu knapp, vergeht und trägt schon sein Ende in sich.
Und das Ende bestimmt schon immer die Zeit in sich, der nächste Augenblick den derzeitigen. Und das, was nahe ist, ist schon da, bevor der Moment vergangen war. Alles bekommt seinen Wert, seinen Sinn von dem, was gleich kommt. So stark wie damals von Paulus gespürt: In der Schnelligkeit und der Vergänglichkeit der Zeit werden wir von dem bestimmt, was immer gerade nahe ist und am Ende da sein wird, da ist, schon da ist. Das Ende der Zeit ist nicht das Ende unserer Tage, nicht das Ende einer Welt, es ist das Ende des Augenblicks, der Minute, der Stunden, des Tages, und in jedem seiner Augenblicke ist nahe, was kommt am Ende und danach.

Anders werden
Rechnen Menschen damit: An jedem Ende ist Gott nahe, in jeder unserer vergehenden Minuten, Stunden, Tage, Wochen? In jedem unserer Augenblicke steht am Ende nicht nur der neue Takt des nächsten Augenblicks. Es steht dort Gott selbst, mit seiner alten und ewig gleichen und dann ganz aktuellen Frage: Wie lebst du Mensch? In jedem Augenblick ist Endzeit: Gott kommt uns nah, stellt uns zu jeder Zeit vor sich und fragt uns nach uns selbst.
In der Zeit sich dann auf Gott vorbereiten, in jedem Augenblick vorbereitet sein, sich in seinem Kommen, in seinem Nahesein auf diese Nähe sich auch hinzubewegen, im Lauf unserer Zeit immer auch mit Gottes Nähe, dem Takt seiner Zeit rechnen und mit seinem Augenblick für uns.
Das hieße: Anders leben. Anders als jetzt. Anders, weil hinleben auf den Gott, der alles anders macht, der verwandelt. Es hieße: Mit seiner Wirklichkeit rechnen, ja die Wirklichkeit der Welt, ihrer Dinge und Menschen, ihrer Worte und Geschehnisse, als seine Wirklichkeit, von ihm bestimmt und anders gedacht, gemacht, sehen, wahrnehmen, wollen und lieben. Und so im Vorbereiten auf ihn anders werden, so werden, wie wir gemeint sind, uns in seinen göttlichen Horizont stellen und all was wir sind, anders sein:
Unsere Tränen würden dann andere werden, die Menschen, mit denen wir zusammenleben, würden andere werden, das, was wir besitzen, würde anders werden, das, was wir gebrauchen auch, und auch unsere Freude würde eine andere werden. All das wäre nicht unser. Es stünde in Gottes Nähe: Unsere Freude würde ganz still und Gottes Lob würde das Dunkle in uns umhüllen. Das was wir gebrauchen, würde vergehen und das Wertvolle würde in uns weiterglänzen. Was wir besitzen, vergäßen wir und hätten das Wesentliche ewig. Die, mit denen wir gehen, werden zum Zeichen der Liebe zu Gott. Und jede Tränen, die geweint wird, trügen schon Zuversicht in sich. Das wahre und göttliche Wesen der Welt, der Dinge läge für uns bereit, wie ein Kleid der Zeit, in das wir uns hüllen dürften.
Nah zu Gott
Gott ist in jedem Augenblick ungeheuer nah, so ist jede Zeit Endzeit, Ende von dem, was gegen Gott steht und der Anfang eines neuen und anderen Lebens. Wo wir Gottes Nähe spüren, wo wir in ihr schon versuchen zu leben, dort tritt er ein in Ewigkeit. Unsere Zeit bekommt ein anderes Gesicht. Gott verwandelt Tränen, Freude, Liebe, Besitz und Nutzen. Er füllt alles mit sich und seinem Sinn.
Wir werden frei, befreit von all der Vergänglichkeit, dem Schmerz der Tränen, der Liebe, der Freude, des Habens und Gebrauchens. Wir kommen los und unser Herz wird ungeteilt sein, nach Weltzeit schlagen, aber Ewiges in sich spüren, von Gott selbst seinen eigenen Seelenpuls bekommen
Wir werden ungebunden, frei und los, Gott im Blick haben, uns von ihm fast kindlich im Augenblick erfüllen lassen und das Seine tun, ihm dienen und unsere Freude wäre sein, unsere Tränen auch, auch das, was wir besäßen und gebrauchen, wäre nur vorläufig und im letzten auch sein, und all die Menschen, die mit uns verbunden sind, wären auch sein, mit ihm verbunden und seine Liebe die Letzte und die Erste.
Ein Gott, der uns zu verwandeln mag. Der an jedem hastig gelebten Tag am Ende auf uns wartet. Der jeden Augenblick zu seinen zu machen vermag. Der unsere menschlichen Seelen anders ansieht und ihnen unheimlich nahe kommt. Sie göttlich hält. Merkwürdig. Wunderbar. Wirklich. Amen.

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