Predigt an Jubilate (7. Mai 2017)
Johannes 16, 16-17.19.20-23
Noch eine kleine Weile, dann werdet
ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich
sehen. Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er
zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und
abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. … Da merkte Jesus, dass
sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: … Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet
traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden. Eine Frau, wenn sie
gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das
Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass
ein Mensch zur Welt gekommen ist. Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will
euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand
von euch nehmen. Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.
Noch zweimal
Noch zweimal schlafen, zweimal zu
Bett gehen, die Augen zu machen und aufstehen. Nur noch zweimal schlafen,
angesichts der vielen Nächte, die du sonst schläfst, die du schon geschlafen
hast, die du noch schlafen wirst. Nur zwei kleine Zeitabschnitte. Mehr nicht.
Eine kleine Weile und dann noch eine kleine Weile. Zwei kleinen Weilen,
absehbar, klar bemessen, klar beschränkt, unmittelbar aufeinanderfolgend.
Angesichts all unserer Zeiten, Augenblicke, Momente, Stunden, Tage,
Lebensjahre. Mehr nicht: Zwei kleine vergehende Zeiten, bald, schnell
vergehend, zwei kleine Vergänglichkeiten – und dann werden wir sehen. Bald.
Dann endlich. Dann Großes.
Jesus sehen. Nicht leibhaftig, wie
die Jünger lange vor und kurz nach Ostern. Nicht leibhaftig, wie wenn er
erscheint, um alles neu zu machen. Jesus sehen: Jesus lesen in der Heiligen
Schrift, Worte über ihn, Worte von ihm, ihn zwischen und in den Worten. Jesus
sehen: ihn hören, wenn andere von ihm sprechen, wenn andere von ihm predigen,
wenn andere und wir selbst seine Worte sagen, weitergeben wie täglich Brot,
wenn wir seine Taten tun, Menschen seinen Gott näher bringen. Jesus sehen: ihn
überliefert bekommen, als Wort in den Worten, als Sinn zwischen den Zeilen, als
Lebensinhalt quer zu allen Zeiten, als zugesprochenes, heilsames, richtend
rettendes, nah fernes Liebes-Wort. Jesus sehen.
Noch zweimal schlafen, zweimal nur.
Noch zwei kleine Weilen, nur noch kurz. Dann sehen. Immer auch dann. Inmitten,
dass wir Jesus nicht sehen, ihn aus den Augen verlieren, unser Blick getrübt
wird, durch eigenes und fremdes Fragen, dass wir ihn ferner als nah,
unverständlicher als verstanden, fremder als vertraut sehen. Inmitten, dass wir
Jesus nicht sehen: Nur eine Weile und dann noch eine.
Österlich sehen
Und dann: Österlich sehen. Immer dann
österlich sehen. Genau so wie die Jüngerinnen am leeren Grab, die von der neuen
Wirklichkeit angesprochen werden, die von ihr beseelt, geschickt, gesandt, auf
einen neuen Lebensweg gesetzt werden; denen die Angst genommen wird, die auf
das leere Grab verwiesen werden, wie wunderbar leer es ist, die gehen, die
Jesus zu sehen bekommen, denen Jesus sich zeigt, die ihn umfassen, spüren, ihn
in der Mitte wissen, die neu, ganz neu sehen.
Österlich sehen: Von Jesus selbst
entdeckt in je unserer Zeit, von Jesus selbst mit seinen göttlichen Augen
gesehen. Österlich sehen: Selbst sehen, sich selbst sehen als von Jesus
angesehener Mensch, als von Gott gemachtes, gewolltes Geschöpf, als sein
Ebenbild, als Bild des Gekreuzigten und Auferstandenen, als von Gott geliebter
Mensch. Sich selbst im Blick Jesu ganz neu wiedersehen, die Welt im anderen,
neuen Licht sehen.
Eine österliche Verwandlung im
Augenblick. Der Blick, das Licht, der Horizont Gottes kommt in unsere
Wirklichkeit, in unser Leben. Wir verwandeln uns, Gottes Wirklichkeit
verändert, wie wir sehen, wie wir wahrnehmen, wie wir denken, wie wir
einordnen, bewerten, was wir erleben, erleiden. Aus Traurigkeit erwächst
Freude, im Schmerz wird die Neugeburt, in Angst keimt Hoffnung, im Weinen
trocknet Gott die Tränen.
Alles beantwortet
Und: Die Jünger fragen nicht mehr. Jene
Jünger, deren wiederholtes Fragen wir in uns tragen, fragen nichts mehr. Alles
Fragen hat in jenem Augenblick, in jenem Augenblick, wo Menschen Jesus sehen,
in sein Bild einer neuen Welt, einer siegenden Liebe, hinein genommen werden,
selbst dieses Bild sehen, daraus leben beginnen, alles Fragen hat sein Ende. Alles
Fragen hat ein Ende, all dieses Suchen, all diese ungewisse Offenheit, in der
wir hinein fragen. All unsere drängenden, sorgenden, quälenden, ängstlichen Fragen
im Kopf, in der Seele, im Herzen haben ein Ende. Für einen Augenblick. Für
einen wunderbaren Moment.
Alles ist beantwortet. Alle fehlende
Antwort wird gegeben, ist gegeben, Antwort auf Wohin und Woher, Antwort auf
Warum und Wozu von uns, wird gegeben, ist da. Wir sind wie angekommen, endlich.
Wir sind wie beantwortet und wir selbst sind Antwort, Antwort auf Gottes ewiger
Frage nach uns. Was für ein menschlich göttlicher Augenblick muss das sein:
keine Fragen mehr, alles drängende Lebenswichtige beantwortet.
Ein stiller, ein ruhiger, Atem
anhaltender, Atem holender Augenblick, voller Gewissheit, Ewigkeit in der Zeit.
Angekommen ….endlich. Nur zwei kleinen Weilen. Zweimal schlafen. Bald. Immer
wieder bald, immer wieder gleich. Immer wieder da. Grund ewiger Freude. Sie
kann uns keiner nehmen, Gottes Gabe ist sie, sein Lebensgeschenk. Sie lässt
immer wieder alles andere in den Hintergrund treten, vergessen, das Nichtsehen,
die Angst, den Schmerz, das Vorösterliche im Leben. Es ist eine tief in uns
geborenen, liegenden Freude, Freude über unser Dasein in Gott. Amen.
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