Predigt am 11. Sonntag nach
Trinitatis (16. August 2015)
Lukas 18, 9-14
Er sagte
aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern,
dies Gleichnis:
Es gingen
zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der
andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir,
Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher
oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten
von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die
Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach:
Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage
euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich
selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der
wird erhöht werden.
Zu Gott gehen
Menschen gehen zu Gott. Sie gehen
hinauf, hinauf zum Tempel. Sie gehen dorthin, wo sie Gott erwarten, wo er sich
ansagt, wo er gespürt wird, gegenwärtig sein möchte. Menschen suchen Gott, ab
und zu, in Verzweiflung, mit Hoffnung, tastend, fragend, trotzig, einen
bekannten Unbekannten suchen sie. Mehr als sich. Menschen leben.
Menschen gehen zu Gott, um zu, um zu
beten, stumm, mit vielen Worten, mit Gedanken, allein, zu zweit, sie gehen zu
Gott, um ihr Leben zu ihm zu bringen, vor ihn zu bringen, es ihm zu sagen, ihr
Leben: mit all dem, was darin liegt, offen, verborgen, beschlossen, ausstehend,
mit all den Sorgen, mit seinen Wünschen, mit seinen Wunden, Verletzungen, Sehnsüchten,
Qualen, Ängsten, Seltsamkeiten und Wundern..
Menschen gehen zu Gott hinauf, wo sie
ihn suchen mögen. Sie stehen vor ihm, aufrecht, gebeugt, fern, ganz nah, spüren,
danken, klagen, sprechen sich aus, kontaktlos, erwartungsvoll, bleiben still,
schlagen sich auf die Brust, blicken, werden gesehen.
Der eine wie der andere, Menschen
immer wieder, von Zeit zu Zeit, in ihrer Zeit, Du und ich. Werden gesehen, werden
gesehen von Jesus, wie sie da gehen hinauf zum Tempel, Schritt für Schritt
ihres Lebens. Werden gesehen, werden zum Gleichnis, zum Abbild für mehr, viel
mehr.
Für sich stehen
Menschen stehen für sich, stehen fest
auf ihren Beinen, auf ihrem Leben, auf all dem, was es ist, bedeutet, vermag,
kann; hingestellt, selbständig. Menschen beginnen mit Ich, im Kopf, im
Sprechen, den Satz, fast jeden Satz; mit Ich: Ich danke …. Ich faste … ich
spende … ich nehme … ich bin nicht wie die anderen. Sie beginnen mit ich, immer
wieder, mit sich: Sie denken sich, sprechen sich, danken für sich, bleiben bei
sich.
Menschen blicken von sich, von ihrem
Ich aus, wie von einem weiten Turm, blicken auf andere, auf sie umgebende Menschen,
auf andere Ichs, eigentlich auf ihre Du. Menschen sind überzeugt von ihrem Ich,
von sich, ganz vertrauend, bauend, lebend, bestimmt von sich, nur von sich. Maß
ihres Lebens. Alles andere ist weniger, ist nicht Ich, ist nicht und nichts.
Sie verachten, missachten, übersehen, blicken auf andere, auf andere hinab, über
andere hinweg. Nichts - der andere, nichts, nicht ein Du, das zum Ich gehören
könnte, höchstens ein schön glänzender, scheinbarer, täuschender Spiegel für
das eigene Ich, ein Nichts, mit dem sie immer wieder anfangen bei dem, was sie
tun, beim reden, denken, beten, beim fromm sein, bei sich. Gott sieht sie.
Menschen beginnen bei Gott, bei
seinem Du, notgedrungen, nicht beim Ich. Sie beginnen bei IHM: Du, Gott, sei
mir Sünder gnädig. Sie blicken gebeugt weg von sich, gesenkt, auf den Boden,
den Boden ihrer nackten Tatsachen, sie beginnen immer wieder vielleicht wirklich
bei Nichts, bei ihrem Nichts, bei der Nichtigkeit ihrer Sünde, bei dem, dass
sie verfehlen, verlieren, verletzen, Gnade, Verzeihen und der Liebe bedürfen.
Demütig gebeugt selbst nichts, fangen sie dort an und suchen Gott, werden
gefunden.
Von Christus erhöht
Jesus sieht diese. Sie werden zum
Gleichnis, zum Bild für die Liebe, die Gnade Gottes.
Menschen werden erniedrigt und
erhöht, erhöht von Gott, durch seinen liebenden Blick. Menschen gehen zu Gott,
den Weg zum Tempel hinauf. Dort gewesen: Menschen kehren zurück, wieder herab,
in ihr Leben zurück mit ihrem Leben, mit ihrem Leben, das vor, bei Gott war,
ein Leben vor Gott.
Menschen demütig beginnen bei Gott,
stammelnd, unsicher, suchend, blicken nicht auf sich, erwarten nichts und
alles. Menschen werden erhöht. Sich selbst kleingemacht werden sie wunderbar
groß gemacht, groß gesehen, groß gesprochen, groß erklärt, groß gemacht von
Gott, vom Augenblick seiner Liebe. Gottes Gnade erhebt Menschen aus dem Blick
der anderen, entzieht sie diesem vernichtenden Blick, erhebt sie aus dem Staub
dass ihre eigene Existenz fraglich gebrechlich, schuldhaft, gering, niedrig
ist.
Menschen werden von Gott gesehen, aufgehoben,
erhöht, aufgewertet und bekommen eine tiefe Ehre und Würde zugesprochen,
verliehen, unverlierbar. Gott steht den Fernen nahe, hebt seine Augen hinab vom
Himmel zu seiner Erde. Er verachtet nicht, noch blickt er herab, er denkt nie:
Gut, dass ich nicht bin wie sie. Er denkt viel mehr. Er denkt: ich werde wie
sie.
Gott selbst erniedrigt sich am Kreuz,
hinab zum Sterbepunkt menschlicher Existenz, um alle durch seinen und ihren Tod
hindurch mit sich wunderbar zu erhöhen. Gott schlägt immer wieder wie an seine
Brust, an seine Brust, in der sein liebendes Herz schlägt, ein Herz für seine
gequälte und oft von sich und anderen erniedrigte Geschöpfe. Und Gottes Liebe
erhöht den, der erniedrigt ist, sich erniedrigt. Er schenkt seine Liebe, dem,
der klein ist, der der Liebe zutiefst bedarf. Gott geht mit ihm seinen Weg vom
Tempel hinab und wird, ist zu Hause seinem Ich ein ewig liebendes Du, mit dem Ich
immer beginnen kann. Amen.
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